Kunst und Integration:Bloßgestellt in der Kuriositätenschau

Kunst und Integration: Schöner Körper, schöner Geist? In Tod Brownings Film "Freaks" ist es genau andersherum.

Schöner Körper, schöner Geist? In Tod Brownings Film "Freaks" ist es genau andersherum.

(Foto: Verleih)

1932 thematisierte Tod Browning in seinem Film "Freaks" genauso liebevoll wie offensiv die Andersartigkeit von Menschen mit Behinderung. Am Residenztheater ist der Film nun begleitet von einer szenischen Lesung zu sehen.

Von Christiane Lutz

Es ist 1932, Frieda und Hans sind verlobt und wollen heiraten. So weit, so gewöhnlich. Jedoch sind Frieda und Hans kein gewöhnliches Paar, sie sind beide kleinwüchsig und Teil einer Kuriositätenschau in einem Zirkus. Kuriositäten, so nannte man damals, jedenfalls wenn man es gut mit ihnen meinte, Menschen mit offensichtlichen körperlichen Behinderungen. Wer es weniger gut meinte, nannte sie "Monster" oder "Freaks". "Freaks" heißt auch der Film von Tod Browning aus dem Jahr 1932, der die bizarre Geschichte von Frieda und Hans erzählt.

Die Reihe "Was geht? Kunst und Inklusion", die derzeit in ganz München läuft, beschäftigt sich mit der Frage, wie sich Kunst und Inklusion verbinden lassen. Am Residenztheater möchte Regisseur Maximilian Dorner zeigen, dass das sehr wohl geht. Dorner, der selbst im Rollstuhl sitzt, hat eine Art szenische Film-Lesung inszeniert. Während der Film "Freaks" gezeigt wird, synchronisieren Schauspieler und er selbst die Handlung. Dabei wird Dorner die Rolle der bösartigen Cleopatra sprechen, die sich an Hans wegen seines Geldes ranmacht und ihn hinter seinem Rücken auslacht. "Ich habe eine große Sehnsucht, mal den Bösewicht zu spielen", sagt Dorner. "Menschen mit Behinderungen sind heutzutage meist nur zwei Rollen vorbehalten: die des tapferen Kämpfers, der trotz Behinderung den Mount Everest besteigt, oder die des armen Opfers."

Früher wurde in Film und Literatur Bösartigkeit häufig noch durch körperliche Makel unterstrichen, schöne Seelen wohnten hingegen auch in schönen Körpern. Bei Brownings Film ist das genau andersrum. Nachdem Hans der fiesen Cleopatra auf die Schliche kommt, formiert sich eine Seilschaft zwischen den "Freaks", die die überheblichen "Normalen" angreift. Cleopatra wird verstümmelt und ist am Ende selbst Teil einer Kuriositätenshow. "Der Film fragt auch: Wer ist wir und wer sind die? Er gibt ein Bewusstsein dafür, dass wir und die gar nicht so weit voneinander entfernt sind. Das Leben ist filigran und zerbrechlich, immer wieder wird ein Mensch plötzlich durch einen Unfall wie die."

Tod Brownings Blick auf die Menschen mit Behinderung ist liebevoll, er begegnete den Schauspielern mit größter Hochachtung. Der Regisseur, der vor allem für seinen Film "Dracula" berühmt ist, lebte selbst mehrere Jahre mit körperlich Behinderten in einem Zirkus. Browning wollte mit seinem Film das Publikum zu mehr Akzeptanz im Umgang mit diesen Menschen erziehen - doch das Gegenteil trat ein. Entsetzte Besucher verließen die Kinosäle, Brownings offensiver Umgang mit der Andersartigkeit galt als unmoralisch, seine Filmkarriere war beendet, die seiner kleinwüchsigen Darsteller ebenfalls, der Film wurde in einigen Ländern sogar verboten. "Ich denke, wenn man den Film mit heutigen ästhetischen Mitteln machen würde, wären die Reaktionen nicht so anders", sagt Dorner."

Es gibt Widerstand, sich bestimmte Dinge anzusehen, Sexualität zwischen Menschen mit Behinderung zum Beispiel". Deswegen wollte er den Film unbedingt ins Theater bringen. Nicht nur fürs Publikum, auch für die Schauspieler. Denn die standen vor der Aufgabe, kleinwüchsige Menschen und anders körperlich Versehrte spielen und sprechen zu müssen. "Wie spielt man denn eine Behinderung? Darf man das überhaupt? Und darf man dabei auch lachen? Das sind Fragen, die wir auch verhandeln wollen an dem Abend." Eine Antwort gibt er aber schon vorher: Natürlich darf gelacht werden.

Freaks, Szenische Lesung mit Filmausschnitten, Montag, 23. November, 20 Uhr, Residenztheater, Marstall, Marstallplatz 5

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