Süddeutsche Zeitung

Kunst und Gedenken:Heikle Opferbilder

Kontroverse um Beate Passows Triptychon im Kloster Irsee

Von Sabine Reithmaier, Irsee

Die "Gedenkstätte Prosektur" im Kloster Irsee wird inhaltlich neu überarbeitet. Bis das neue Konzept steht, bleibt sie geschlossen, denn der Bezirk Schwaben möchte "den leisesten Verdacht einer diskriminierenden Opferdarstellung" vermeiden. Ob Beate Passows Triptychon mit dem Titel "... möchte ich Sie noch höflich bitten, mir folgende Fragen zu beantworten", das seit 20 Jahren dort hängt, bei der Wiedereröffnung noch am alten Ort anzutreffen ist, bleibt einstweilen offen.

Die international anerkannte Münchner Künstlerin reagierte verärgert auf die Mitteilung. "Ich finde es unmöglich, dass hier Leute entscheiden, die keine Ahnung von Kunst haben." Sie werde darauf pochen, dass auch ein Kunstgutachten erstellt wird, kündigt Passow an. Gelingt ihr das, wäre dies die dritte Expertise. Dem Bezirk liegt bereits ein medizinalhistorisches Gutachten vor, geschrieben von Maike Rotzoll vom Institut für Geschichte und Ethik der Medizin in Heidelberg. Ein weiteres liefert Jörg Skriebeleit, Leiter der KZ-Gedenkstelle Flossenbürg.

Passows Arbeit basiert auf drei Fotos nackter Kinder, die zwei Pflegekräfte dem Betrachter entgegenhalten. Diese "Fotos wider Willen" haben die Debatte ausgelöst. Ihn beschäftige das Thema bereits seit 2011, sagt Stefan Raueiser, Leiter des Schwäbischen Bildungszentrums und Bildungswerks. Damals hätten die Mitglieder des Arbeitskreises zur Erforschung der nationalsozialistischen "Euthanasie", der in Irsee tagte, auf das Kunstwerk sehr ablehnend reagiert. Es entwürdige die Opfer, sie nur aus der Täterperspektive zu zeigen; das dürfe in einer Gedenkstätte nicht sein, hieß es. "Das hat in mir gearbeitet", berichtet Raueiser.

Als das Kunstwerk 1996 entstand - für eine Ausstellung, nicht für die Prosektur - - wusste man nichts über die Biografien der Buben. In den vergangenen Monaten ist es gelungen, die beiden Kinder zu identifizieren. Der Bub auf der mittleren Bildtafel wurde am 1. November 1943 in die "Kinderfachabteilung" der Heilanstalt für Geisteskranke Kaufbeuren eingeliefert und starb vier Wochen später. "Alle Indizien sprechen für eine Patiententötung", teilt der Bezirk mit.

Bei dem auf der linken und rechten Bildtafel gezeigten Jungen handelt es sich um einen 1936 geborenen Buben, der im Dezember 1943 nach Kaufbeuren kam. Er überlebte den Krieg und wurde im August 1945 in ein schwäbisches Pflegeheim verlegt. In dem Fall müssten die postmortalen Bildrechte erst geklärt werden, sagte Raueiser. Im anderen Fall wisse man, dass die drei Schwestern des Buben tot sind und es keine weiteren lebenden Verwandten mehr gibt. Offensichtlich aber war keines der Kinder in Irsee untergebracht.

Der Titel des Triptychons zitiert einen Brief, den ein Allgäuer Lungenfacharzt an Valentin Faltlhauser, Leiter der Anstalt Kaufbeuren/Irsee, schrieb. Die beiden führten von 1942 bis 1944 Tbc-Impfversuche an Patienten der "Kinderfachabteilung" durch. In Kaufbeuren, nicht in Irsee. Der Anriss des Briefs ist auf jeder der drei Tafeln zu lesen. "Die Platzierung des Kunstwerks erwecke durch die Kombination mit den historischen Briefausschnitten den Eindruck, es handle sich um Menschenversuche an den abgebildeten Jungen in der Irseer Prosektur", fürchtet der Bezirk.

Beate Passow findet das lächerlich. Für die Darstellung der entsetzlichen NS-Patientenmorde sei es völlig gleichgültig, an welchem Ort die Kinder gequält worden seien, sagt sie. "Es reicht die Tatsache, dass sie geschunden worden sind." Raueiser sieht das anders. Gerade in einer Gedenkstätte müsse man größtmögliche historische Exaktheit walten lassen, findet er. Ihn habe es immer gewundert, dass für die Gedenkstätte ein Kunstwerk gekauft worden sei. Schließlich sei genügend authentisches Material vorhanden. Sollte das Triptychon bleiben, müsse zumindest eine "Kontextualisierung" erfolgen, fordert er. Das heißt, der Betrachter müsse erfahren, warum das Bild dort hängt, obwohl die Kinder nie in Irsee waren und auch die Impfversuche nicht dort stattfanden. Falls es sich erhärten sollte, dass der zweite Bub kein Naziopfer sei, könne das Werk auf keinen Fall hängen bleiben.

Beate Passow wittert hinter der Schließung einen anderen Grund. "Die wollen, dass Gras über die Sache wächst und mein Werk loswerden", sagt sie. "Aber da irren sie sich, ich lasse nicht locker."

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SZ vom 22.09.2018
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