Süddeutsche Zeitung

Gespräch mit dem Künstler Ugo Rondinone:"Jede Ausstellung ist eine Erzählung"

Lesezeit: 4 min

Ugo Rondinone ist ein Weltstar, dessen Werke gleichermaßen geschätzt sind auf Biennalen wie auf Kunstmessen. Die Aidskrise, so sagt er im Gespräch, war für ihn der Moment , in dem er zum Künstler wurde.

Interview von Catrin Lorch

Von weitem sehen die Kerzen fast aus wie Konfetti, sie tüpfeln das Grau des Steinbodens mit strahlendem Rot, hellem Grün, Gelb, unzähligen Schattierungen von Blau, das funkelt, wo das Wachs schmelzend in kleinen Seen ausläuft. Doch es sind keine Flammen zu sehen, es wirkt, als sei gerade ein Windstoß durch die Halle gefegt und habe sie ausgeblasen. Der Ort, an dem der 1964 geborene Künstler Ugo Rondinone sich zum Gespräch verabredet hat, ist einer der schönsten Räume Venedigs, die Scuola Grande San Giovanni Evangelista. Der Schweizer ist als erster Künstler überhaupt eingeladen worden, dort auszustellen - und zeigt seine Schau "Burn Shine Fly", zu der auch die Kerzen gehören, in direkter Nachbarschaft zu Gemälden von Tintoretto. Es ist sein Sommer: sein Werk strahlt auf der Manifesta in Pristina, in Venedig, und die Frankfurter Schirn hat ihm eine Retrospektive eingerichtet.

SZ: Ihre Ausstellung in Frankfurt ist eine ungewöhnliche Kooperation: Sie haben Kinder um Beiträge gebeten.

Wir haben Schulklassen eingeladen, sich zu beteiligen. Und so mehr als 6000 Zeichnungen von Kindern im Alter zwischen sechs und zwölf Jahren erhalten. Es gab keine Vorgaben, außer, dass es ein Nachtbild sein sollte.

Ist das nicht eher ein Projekt, wie es sonst die Pädagogische Abteilung würde?

Es geht nicht um die Begleitung meiner Ausstellung. Sondern die Öffnung des Museums. Museen sind als öffentliche Häuser ein sperriger Ort, mir geht es da um eine Veränderung. Das könnte eine Initialzündung für die Kunst bedeuten, einen Moment, in dem prinzipiell etwas möglich wird.

Geht es auch um "Kunst für alle", ein Begriff, der ja in Frankfurt geprägt wurde.

Auf jeden Fall muss der Zugang zur Kunst erleichtert werden. Es wäre auch gut, wenn man keinen Eintritt zahlen müsste. Kinder sollten sowieso nichts bezahlen müssen für den Besuch eines Museums.

Waren Sie als Kind an Kunst interessiert?

Ich denke, meine Arbeit hat ihren Ursprung in den Eindrücken, die ich als Kind hatte. Ich bin in Brunnen geboren und aufgewachsen. Brunnen sitzt in einer Talsohle am Vierwaldstättersee. Eine Postkartenidylle mit hohen Bergen und klaren Seen. Die Sommerferien verbrachte ich jeweils bei meiner Großmutter in Matera in Süditalien. Da gab es diese zwei Welten, die unterschiedlicher nicht sein konnten: Auf der einen Seite der blaue See und die grünen Wiesen, auf der andern der grau-braune Stein. Matera ist ja die Stadt der Steine.

Würden Sie sagen, dass Sie damals schon Künstler waren?

Meine künstlerische Arbeit beginnt 1990 mit zwei gegensätzlichen Bildgruppen, deren Ausgangspunkt die Natur ist: den Landschaftsbildern und den Sonnenbildern. Das eine bezieht sich auf die Vergangenheit, das andere auf die Zukunft. Die getuschten Landschaftsbilder imitieren die Veduten des 16. Jahrhunderts wie sie Goethe in seinen Wanderzeichnungen gemacht hat, und "Sonnenbilder" verwendet ein ,Piktogramm' der Moderne: Kreise und Zielscheiben, wie man sie von Kandinsky bis Fangor kennt.

Wie begannen Sie, sich für die Natur zu interessieren?

Von 1985 bis 1990 studierte ich an der Universität für angewandte Kunst in Wien. Der Zeitabschnitt markierte auch den Höhepunkt der Aids-Krise. Mein damaliger Freund Manfred Welser starb 1989 innerhalb von drei Monaten daran. Mir wurde bewusst, dass das Leben plötzlich zu Ende gehen konnte, und als Schwuler erwartete ich, dass ich der nächste bin. So wollte ich den kurzen Rest meines Lebens nicht im Studio verbringen, sondern das Beste aus der Zeit, die mir bleibt, machen. So begann ich herumzuwandern, in der Natur und in der Stadt. Ich wurde zum Flaneur. Dabei sind meine ersten Landschaften entstanden. Mit ihnen habe ich diplomiert. Ein Jahr später habe ich mit den Sonnenbildern begonnen.

Sie haben ja auch viele Arbeiten für den öffentlichen Raum gemacht - geht es da auch um Zugänglichkeit, darum, auch die Flaneure zu erreichen?

Durchaus. Aber das muss nicht meine Kunst sein. Mich hat es im vergangenen Jahr schon fasziniert, wie ganz Paris Christos Verhüllung des Arc de Triomphe erlebt hat. Und die Stimmung war kein Ramba-Zamba - im Gegenteil. Es schien, als sei die Innenstadt in respektvolle Stille gehüllt.

Wie sind denn die Nachtbilder der Kinder als Motive mit Ihren eigenen Arbeiten verbunden?

Ich möchte einen Bogen schlagen von meinen Anfängen 1991 bis hin zur letzten Arbeit aus diesem Jahr. Es gibt eine unterschwellige Geschichte, sie heißt ebenfalls "Life Time", und einen Geschichtsbogen, der von der Nacht in den Tag hinein geht. Von den Sternen bis zu einer Gruppe von goldenen Sonnenbildern. Eine Reise, die retrospektiv gleichzeitig einen Bogen schlägt. Jede Ausstellung ist ja eine Erzählung, die biografisch motiviert ist, die Lebenszeit enthält.

Sie meinen, eine Autobiografie, die um immer mehr Kapitel erweitert wird?

Eigentlich nicht. Sondern eine Erzählung, die über die Jahre einfacher wird. Es kommen immer mehr Symbole dazu, universelle Symbole, die sich im Nachhinein zu so etwas wie einem Alphabet verdichten. Bei mir geht es vom Baum zum Regenbogen zum Fenster. Das sind Archetypen einer allgemeinen Sprache.

Hier in Venedig beginnt Ihre Ausstellung mit dem Sonnenbogen, der schon in Versailles aufgestellt war.

Auch hier sind Nacht und Tag dabei, "Burn Shine Fly" beschreibt einen Entwicklungszyklus, der auf einem Gedicht meines verstorbenen Mannes John Giorno basiert. Es hat den Titel "You've got to burn to shine". Er war Buddhist, und so wurde diese Zeile zum Auslöser dieser Progression. Er begleitet meine Arbeit auch weiterhin, er ist immer noch dabei.

Ist das eine Form von Trauerarbeit?

Das spielt schon mit, es ist die Arbeit nach seinem Tod. Natürlich war die Covid-Zeit auch eine gute Zeit für Trauer.

Sie haben Ihr Werk "Still Life Candles", das eigentlich 2013 entstand, hier auf Gräbern installiert.

Ja, die sollen schon markieren, dass da jemand liegt. Dieser Seitenraum ist ein geschlossener Friedhof. Der Zusammenhang scheint auf den ersten Blick schon sehr direkt.

Allerdings unterlaufen Sie das Pathos auch durch die sehr strahlende, muntere Farbgebung.

Mir ging es auch darum, dass die von Hand bemalten, hellen Kerzen sehr schwer sind. Dass sie aus Bronze gegossen sind und - während solche Güsse sonst innen hohl sind - mit Blei gefüllt wurden.

So wie sie dastehen, wirken sie fragil, als könne man sie als Besucher umstoßen. In Wirklichkeit haben Sie sie fest verankert - man würde sich vermutlich die Zehen brechen.

Wichtig war es, dass sie stehen bleiben. Ein Ideal der Skulptur ist, dass man drumherum tanzen kann.

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