Süddeutsche Zeitung

Kunst:Schmerz-, Druck- und Völlefarben

Das Münchner Lenbachhaus konfrontiert die schmerzerfüllten bis ironischen Körperbilder zweier sehr unterschiedlicher Künstler miteinander: Maria Lassnig und Martin Kippenberger.

Von Gottfried Knapp

Rein statistisch könnten zwei Künstler kaum weiter auseinanderliegen als Martin Kippenberger, der 1997 im Alter von 44 Jahren gestorben ist, und Maria Lassnig, die 34 Jahre vor ihm geboren wurde und 17 Jahre nach ihm gestorben ist, also weit mehr als doppelt so alt wurde. Auch biografisch lassen sich kaum Ähnlichkeiten zwischen dem Deutschen und der Österreicherin finden, obwohl beide irgendwann in New York und Berlin lebten und beide in Wien starben.

Dennoch macht die Zusammenstellung ihrer Werke auf geradezu fundamentale Weise Sinn, da sie sich wie kaum ein bildender Künstler zuvor mit dem eigenen Körper und dessen Ausdrucksmöglichkeiten auseinandergesetzt haben. Sie haben sich gefragt: Wie kann man diese eigentümlich geformte Masse, die man mit sich herumschleppt, in Bildern so darstellen, dass sie etwas vermittelt, was auch andere interessieren könnte. Und wie kann man die sensorischen Ereignisse, die dieser Körper bietet, bildnerisch umsetzen und zu einer Botschaft verdichten?

In der Kunstgeschichte ist das Selbstporträt das Genre, in dem Maler sich selbst analysierend betrachtet, aber auch kräftig gefeiert und idealisiert haben. Bei Kippenberger und Lassnig wird das Selbstporträt zum Medium, um einerseits intime innere Spannungen sichtbar zu machen, und gleichzeitig die Reaktionen der Welt auf die eigene Leiblichkeit und deren Äußerungen zu erkunden.

Die Impulse freilich, die zum Blick auf den eigenen Körper animiert haben, sind bei Lassnig und Kippenberger völlig unterschiedlich. Der Deutsche hat mit seinen Körperdarstellungen den Blick über sich selber hinaus auf die Absurditäten der Welt lenken wollen. Die Österreicherin aber hat mit ihrem Körper die Aufregungen sichtbar gemacht, die sich im Inneren des Menschen ereignen.

Das Publikum brauchte lange, bis es Kippenbergers sarkastischen Witz akzeptierte

Martin Kippenberger zeigte anfangs wenig Neigung zur Malerei. 1977 hat er, quasi als Antwort auf Gerhard Richters erfolgreiche Foto-Abmalungen, eine Serie von Porträtfotografien irgendwelcher Personen ziemlich lustlos nachgepinselt. Dann hat er Pause gemacht.

Die nächste Werkgruppe mit dem Titel "Lieber Maler, male mir" ließ er dann sogar von professionellen Plakatmalern ausführen. Die enormen darstellerischen Möglichkeiten der Malerei hat er also erst nach mehreren Anläufen entdeckt. Dann aber hat er sich als anarchischer Bildermacher, als Schauspieler, Clown und Sozialprovokateur malend und mimend so nach vorn geworfen, dass das Publikum lange brauchte, bis es den sarkastischen Witz seiner Bildwerke erkannte und akzeptierte.

Für Maria Lassnig war der eigene Körper lebenslang das Instrument, auf dessen sensitive Botschaften sie als Malerin nervös gespannt reagiert hat. Oder anders ausgedrückt: All ihre bildnerischen Äußerungen lassen sich auch als optische Vergegenwärtigungen von intimen psychischen Erfahrungen deuten. Die manchmal fremdartig wirkenden Farben waren für Lassnig die direkte sinnliche Entsprechung der empfangenen Gefühlsbotschaften, der bildhafte Ausdruck von Empfundenem.

In ihren Zeichnungen zielte Maria Lasnig direkt auf die Schmerzbahnen

Sie selber hat die emotionale Grundierung ihrer Farbauswahl am lebendigsten beschrieben, als sie zwischen "Schmerz- und Qualfarben, Druck- und Völlefarben, Streck- und Pressfarben" unterschied und sogar "Krebsangstfarben" benennen zu können glaubte. Die schroff nebeneinander gesetzten Fleischfarben Gelb, Grün, Rosa, Violett und Türkis jedenfalls stacheln sich in ihrer Widersprüchlichkeit zu großen sinnlichen Wirkungen auf.

Das Hineinhören in die Stille des Körpers beantwortete Lassnig aber nicht nur mit eigenwilligen Farben, die jede plumpe Naturähnlichkeit vermieden, sondern mehr und mehr mit drastischen Deformationen des Körperäußeren. Das Gesicht mit den breiten Backenknochen und dem meist offenstehenden Mund, der Leib, die Arme, die Beine werden zum Material für einen Verwandlungs- und Schöpfungsprozess von größter Dynamik und Vielfalt.

Da kann in dem Gemälde "Sprechzwang" der nackte Körper von der rechten unteren Bildecke dynamisch schräg ins Bild ragen, als hätte ihn ein Expressionist gemalt. Doch der zurückgeworfene Kopf und der wie zum Schrei aufgerissene Mund alarmieren den Betrachter so, dass er den Titel "Sprechzwang" nur für eine ironische Anmerkung halten kann. Da können aber auch Körperteile, die verbogen, zusammengestaucht oder zerschnitten sind, so seltsam miteinander Krieg führen, dass man nicht weiß, ob man Gelächter oder Schreie aus dem Leiberchaos hört.

In ihren Zeichnungen zielt Lassnig noch viel direkter auf die menschlichen Schmerzbahnen. Ihr Kopf dient als Modell für surreal grausame und grotesk komische Spiele. Der Zeichenstift bewährt sich als Sonde, aber auch als Skalpell. Ja mit dem Bleistift schabt sie so in ihrem gezeichneten Gesicht herum, dass das Mundloch sich schmerzhaft verzieht.

Aber auch Männerkörper müssen einiges aushalten, wenn sie unter den Stift Lassnigs geraten. Die Zeichnungen nackter schlafender Männer wirken wie manieristische Bewegungsstudien. Dass jeder Körper nach Fertigstellung aus dem Zeichenpapier ausgeschnitten und auf neutralem Grund ausgesetzt wurde, lässt die teils verstümmelten Leiber wie ausgegrabene Leichen Verschütteter aussehen. Kippenberger selbst hat sich durch den eigenen Körper, von dessen tödlicher Krankheit er früh gewusst haben muss, zu bildnerischen Überraschungstaten von anarchischer Wucht und derber Komik inspirieren lassen. In den "Hand Painted Pictures" von 1992 posiert er als Sportler, doch immer wirkt sein Körper eigentümlich versehrt, stets fehlt ein zur Leistung befähigender wesentlicher Teil. Die gespielte Geste und der angestrengte Gesichtsausdruck bekommen so etwas Bemitleidenswert-Komisches, aber auch zutiefst Menschliches. Woran die Figur leidet, beginnt man zu ahnen, wenn eine Hand nicht in Fingern, sondern in Malpinseln endet.

Er malte seinen schlaffen Körper als Frosch und von einem Kruzifix hängend

In seinem letzten Selbstporträt-Zyklus "Das Floß der Medusa" bezieht sich Kippenberger auf das berühmte Gemälde von Théodore Géricault, das den grausigen Überlebenskampf von Menschen auf einem im Atlantik treibenden Floß schildert. Vor einer Kamera hat er die Gesten der Sterbenden und Toten exakt nachgespielt und dann nach den Fotografien große Bilder gemalt, die ganz dem Ausdruck des Schmerzes gewidmet sind, aber auch etwas von der Hilflosigkeit der Trauer mitteilen.

Dass der Selbstdarsteller Kippenberger auch der witzigste Pointenschmied und der listigste Fallensteller der gesamten Malerzunft war, zeigen neben den Gemälden und den Installationen mit seltsam verbogenen Gegenständen auch die Zeichnungen, die mal altmeisterlich perfekt gestrichelt, mal wüst collagiert sind.

Scherz, Satire und tiefere Bedeutung prallen in einem Bild der Serie "Fred the Frog" aber am lautesten aufeinander. Da hat Kippenberger den schlaffen Sack seines nackten Körpers, der in der Serie öfter wie ein Frosch aussah, über ein historisch anmutendes Kruzifix gehängt und auf den eigenen Rücken das Wort "Bitteschön" gemalt, unten am Bildrand aber das Wort "Dankeschön" platziert. Was damals anstößig gewirkt haben mag, kann heute als bildnerisch eigenwillige Identifikation mit dem Schmerzensmann gedeutet werden.

Body Check. Martin Kippenberger - Maria Lassnig. Kunstbau des Lenbachhauses München. Bis 25. September. Katalog (Snoeck Verlag) 30 Euro.

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Quelle:
SZ vom 21.05.2019
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