Gurlitt-Ausstellung:Was ist diesem Menschen passiert?

Gurlitt in Jerusalem

Die Sammlung Gurlitt im Israel-Museum in Jerusalem.

(Foto: Israel Museum)
  • Im Israel-Museum in Jerusalem werden seit Dienstag Werke aus dem Nachlass des Kunsthändlers Hildebrand Gurlitt gezeigt.
  • Noch immer besteht der Verdacht, dass es sich bei einem Teil der Sammlung um Raubkunst aus jüdischem Besitz während der NS-Zeit handelt.
  • In der aktuellen Ausstellung, die den Fokus auf Gurlitt selbst legt, sollen sich keine Werke von jüdischen Besitzern befinden - trotzdem löst sie Kontroversen aus.

Von Alexandra Föderl-Schmid, Jerusalem

Im Vorfeld gab es Debatten, ob Teile der Sammlung Gurlitt in Israel überhaupt gezeigt werden sollen. Nach Bern, Bonn und Berlin werden im Israel-Museum in Jerusalem seit Dienstag bis Mitte Januar mehr als 80 Werke aus dem Nachlass des während der Nazizeit tätigen Kunsthändlers Hildebrand Gurlitt ausgestellt. Als die Sammlung 2012 in München und Salzburg entdeckt wurde, gab es den Verdacht, ein Großteil könnte jüdischen Besitzern während der Nazizeit geraubt worden sein. Am Eröffnungsabend stellte eine Besucherin dann die Frage, warum man diese Raubkunst in Israel ausstelle. Sie müsse beim Betrachten an ihre von den Nazis ermordeten Verwandten denken.

Diese Wahrnehmung, dass es sich beim Gurlitt-Nachlass vor allem um Raubkunst handle, versuchte der als Vertreter von Kulturstaatsministerin Monika Grütters nach Jerusalem gereiste Ministerialdirektor Günter Winands bei der Eröffnung in Jerusalem am Montagabend zu korrigieren. Nach "systematischer Provenienzforschung" seien bisher nur neun der Kunstwerke als NS-Raubkunst identifiziert worden. Sechs davon seien bereits zurückgegeben worden. Noch in dieser Woche werde Grütters in Berlin Werke an die jüdische Familie Deutsch de la Meurthe übergeben. "Das mag als geringe Anzahl angesichts der gesamten Anzahl erscheinen", sagte Winands. Denn bei Cornelius Gurlitt, dem Sohn des Kunsthändlers, waren 1590 Kunstwerke entdeckt worden.

Kritik an Gurlitt und seiner Opferrolle

Die Ausstellung in Israel, die in Zusammenarbeit mit dem Kunstmuseum Bern erarbeitet wurde, zeigt Gurlitts Beginn als Sammler vor allem von Avantgarde-Kunst, dann seine Zeit als NS-Kunsteinkäufer in Paris und beleuchtet seine Rolle in der Nachkriegszeit. Die meisten Bilder, unter anderem von Otto Dix, Max Ernst, George Grosz und Emil Nolde, waren bereits in den Ausstellungen in Europa zu besichtigen. Einige Werke aus dem Fund, wie die Zeichnung "Ein maurisches Ehepaar im Gespräch auf der Terrasse" von Eugène Delacroix, werden erstmals ausgestellt.

Gurlitts Lebens wird in einem viertelstündigen Dokumentarfilm in einer Box präsentiert, die in der Mitte des Raumes platziert ist. Es ist eine kritische Annäherung. Dem Aspekt, dass Gurlitt mit Werken, die die Nazis als "entartet" diffamiert hatten, Geschäfte gemacht hatte und auch Einkäufer für Hitlers geplantes "Führermuseum" war, wird breiter Raum gegeben.

Ein Fokus liegt darauf, dass Gurlitt jüdische Verwandte hatte: seine Großmutter, seine Großtante und die Frau eines Onkels. Dass er diesen Aspekt im Zuge seines Entnazifizierungsprozesses hervorhob und sich zum Opfer stilisierte, wird als besonders schändlich bezeichnet. Im Beitrag wird kritisiert, dass er weiter Kunstwerke verkaufte, deren problematische Herkunft ihm bekannt gewesen sein müsse.

"Diese Menschen haben die Geduld, die Wahrheit ans Licht zu bringen."

Nach Einschätzung von Museumsdirektor Ido Bruno ist die Figur Hildebrand Gurlitt für das israelische Publikum besonders interessant: "Was ist diesem Menschen passiert, der jüdische Wurzeln hatte, der ein begabter Kunstsammler war und der dann eine Kehrtwende vollzogen hat?" Diese Ausstellung werfe Fragen auf, "welche Wahlmöglichkeiten Menschen haben und wie man sie später beurteilt".

Dass die Ausstellung in Israel Kontroversen auslösen würde, war dem Museumsdirektor klar. Von der SZ danach gefragt, wie er Kritik begegne, antwortete Bruno: "Zuerst und am wichtigsten: Schaut euch die Kunst an! Wir beschäftigen uns aber auch mit der Geschichte, mit den ethischen und moralischen Fragen."

Die Kuratorin Shlomit Steinberg, die 2014 wie Yehudit Shendar von Yad Vashem von israelischer Seite in die Taskforce zur Aufklärung der Provenienz der Gurlitt-Funde berufen wurde, betont: "Wir haben vergessen, auf die Kunst zu schauen und haben uns mit anderen Sachen beschäftigt. Mein Ziel ist es, die Kunst in den Mittelpunkt zu stellen und dann in die Geschichte einzubetten. Die Kunstwerke waren über 70 Jahre nicht zu sehen, jetzt ist es an der Zeit, sie ans Tageslicht zu bringen."

Kein Hinweis auf Raubkunst

Alle in Jerusalem gezeigten Werke aus dem Gurlitt-Fund seien gründlich geprüft worden, erklärt Steinberg. Bei keinem bestehe ein NS-Raubkunstverdacht. Dennoch steht unter fast jedem Werk der Hinweis: "Die Provenienz wird untersucht. Gegenwärtig gibt es keinen Hinweis auf Raubkunst." Auf die Frage, ob die Provenienzforschung vorangetrieben werden müsse, antwortet sie: "Wir müssen uns die Zeit nehmen, Forschungen anstellen und herauszufinden versuchen, was geht. Auch wenn dann kein Skandal, sondern eine einfache Geschichte dahintersteckt."

Die Arbeit im Fall Gurlitt in Deutschland und in Bern sei herausragend, betont Steinberg. "Ich habe mit den besten Personen zusammengearbeitet. Ich danke den Leuten in Deutschland, die sich noch immer damit auseinandersetzen. Das ist nicht einfach. Es benötigt viel Zeit, Anstrengungen und Geduld. Diese Menschen haben die Geduld, um die Wahrheit ans Licht zu bringen. Wir vertrauen ihnen in Israel."

Im Katalog wird festgestellt, es sei schwierig, zu einem "haltbaren Ergebnis" zu kommen, auf welche Weise Gurlitt seine Sammlung vergrößerte. "Wir wissen noch immer nicht die vollständige Provenienz vieler Werke im Gurlitt-Fund. Aber wir haben jetzt die Möglichkeit, die Werke an die Öffentlichkeit zu bringen, während wir weiter nach Antworten suchen."

Bruno ist der Ansicht, dass diese Ausstellung den israelischen Besuchern zugemutet werden könne. Seine Großeltern seien aus Hamburg und Polen nach Israel geflohen. "Für unsere Generation ist es einfacher, solche Themen zu diskutieren, die komplex sind und mehr Facetten haben. Es gibt nicht nur Schwarz und Weiß."

Zur SZ-Startseite
Statue anthropomorphe 'bochio'

Raubkunst-Debatte
:Richtig, falsch, übereilt, nichtig und sehr mutig

Emmanuel Macron gibt 26 Kunstwerke aus Benin an Museen zurück - und am heftigsten reagiert der Kunstmarkt.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: