Süddeutsche Zeitung

NS-Raubkunst:Der Fehler liegt im System

Bayern weigert sich nicht nur, Picassos "Madame Soler" zu restituieren, es lehnt auch die Prüfung durch die Beratende Kommission ab.

Von Jörg Häntzschel

Picassos "Porträt der Madame Soler" ist wohl eines der bedeutendsten Gemälde der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen. Aber ganz sicher gibt es keines, um das schon so lange gerungen wird. Für die Erben des jüdischen Bankiers Paul von Mendelssohn-Bartholdy handelt es sich bei dem Bild eindeutig um Raubkunst. Seit 2009 fordern sie die Restitution - und wurden von der bayerischen Regierung, die die Frage auf höchster Ebene verhandelt, hingehalten.

Nun hat Bayern, so berichtet die New York Times, überraschend entschieden, das Bild sei nicht "verfolgungsbedingt entzogen". Und nicht nur das: Die Staatsregierung lehnt es ausdrücklich ab, den Fall von der Beratenden Kommission behandeln zu lassen. Sie vermittelt zwischen den Erben von Sammlern, die in der NS-Zeit ihre Werke verloren haben, und den deutschen Institutionen, in deren Sammlungen diese jetzt liegen.

Damit wird einmal mehr ein fataler Konstruktionsfehler im deutschen Umgang mit NS-Raubkunst offenbar: Nur wenn beide Seiten zustimmen, kann die Kommission aktiv werden. Dies ist einer der vielen Gründe, warum die Kommission in knapp 20 Jahren erst 20 Fälle behandelt hat - eine beschämende Bilanz. In den letzten Monaten gab es noch zwei weitere Fälle, in denen die Autorität der Kommission unterminiert wurde. Im einen Fall ging es um das wenig bedeutende Gemälde "Das Zitronenscheibchen", das die Staatsgemäldesammlungen trotz klaren Votums der Kommission anfänglich nicht restituieren wollten. Im anderen um eine Guarneri-Geige der Nürnberger Hagemann-Stiftung, die sich ebenfalls weigerte, der Empfehlung der Kommission zu folgen. In beiden Fällen führte vor allem der öffentliche Druck zu einem gütlichen Ausgang.

Mendelssohn-Bartholdy fürchtete seit 1933 um sein Leben und seine Sammlung, berichtet einer seiner Nachfahren, der bekannte Historiker Julius Schoeps, der die Erben vertritt. Deshalb schickte er "Madame Soler" zusammen mit vier weiteren Picassos 1934 und 1935 in die Schweiz, wo sie der ebenfalls jüdische Kunsthändler Justin Thannhauser in Kommission nahm, der mit ihnen später nach New York emigrierte. 1964 verkaufte dieser das Gemälde nach München.

Mit den Washingtoner Prinzipien haben sich Deutschlands Institutionen nicht nur dazu verpflichtet, Raubkunst zurückzugeben, sondern auch dazu, in strittigen Fällen auf eine gütliche Lösung hinzuwirken. Dazu gehört letztlich auch, der Anrufung der Kommission selbst dann zuzustimmen, wenn man den Raubkunst-Verdacht nicht teilt. Wozu bräuchte es sonst eine Schiedsstelle?

Bayern sieht das aber anders: Da es sich ja nicht um Raubkunst handele, so teilt das Kunstministerium mit, sei die Anrufung der Kommission "nicht angezeigt". Nur: Ein anderes Verfahren gibt es eben nicht.

Die harte Linie ist auch insofern bemerkenswert, als für die vier anderen Picassos längst eine Lösung gefunden ist. Das New Yorker Museum of Modern Art, die Guggenheim Foundation, die Washingtoner National Gallery und die Andrew Lloyd Webber Foundation haben sie restituiert oder sich mit den Erben anderweitig geeinigt. Nur Bayern mauert.

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