Kunst:Purpur bis Graubraun

Das Kunsthistorische Museum in Wien widmet dem Maler Mark Rothko eine Retrospektive und zeigt neben den ikonischen späten Gemälden auch unbekannte Arbeiten aus dessen Frühwerk.

Von Catrin Lorch

Kunst: Als er das Gemälde "Underground Fantasy" um 1940 malte, nannte sich Marcus Rothkowitz schon Mark Rothko.

Als er das Gemälde "Underground Fantasy" um 1940 malte, nannte sich Marcus Rothkowitz schon Mark Rothko.

(Foto: g-williams; 1998 Kate Rothko Prizel & Christopher Rothko/Bildrecht, Wien, 2019 © Foto: National Gallery of Art, Washington, D.C.)

Marcus Rotkovich, 1903 im russichen Dwinsk (heute dem lettischen Daugavpils) als Kind eines jüdischen Apothekers geboren, hat lange gebraucht, um Künstler, um Mark Rothko zu werden. Die Emigration der Familie nach Amerika verlief traumatisch. Eine Laufbahn als Jurist oder Ingenieur brach er in Yale ab. Der Stipendiat floh vor der antisemitischen Stimmung nach New York, wohnte bei Verwandten, lebte von Gelegenheitsarbeiten und nahm erst mit weit über zwanzig Jahren systematisch Zeichenunterricht. So häufig er konnte, ging er ins Museum.

Die ersten Gemälde, die Marcus Rothkowitz ausstellte, waren modern, aber unentschieden. Es gibt das düstere Selbstporträt, auf dem die Brillengläser so verschattet sind, dass sie wie schwarze Kleckse die Augen verbergen. Es gibt Akte, die an Picasso erinnern und unbetitelte Stillleben, die Dalí oder Magrittes weite leere Bühnen kopieren. Anfang der Vierzigerjahre kommt der Künstler dann in der Gegenwart an, wird amerikanischer Staatsbürger, verkürzt seinen Namen und malt Bilder wie "Underground Fantasy" oder "Untitled (Subway Entrance)" die Szenen aus dem New Yorker Alltag zeigen. Passagiere, die auf Züge warten und nur deswegen am unterirdischen Bahnsteig stehen, weil sie weiter kommen wollen, oder einfach weg.

Den feingepinselten Surrealismus hat Rothko dafür durch einen kreidigen, milden Existenzialismus ersetzt. Doch wer Rothko kennt, fokussiert schon auf die sanft kolorierten Farbfelder, die sich den dünnen Figuren in den Rücken schieben. Ein Treppenaufgang zeigt Pendler im Gehen, es wirkt, als zögen sie aus dem Bildraum aus, um das Braungrau und helle Blau nicht länger zu stören.

"Mit großem Widerwillen wurde mir klar, dass das Figürliche meinen Zwecken nicht mehr dienen konnte", stellt Mark Rothko fest, "es war eine Zeit gekommen, in der keiner von uns die Figur verwenden konnte, ohne sie dabei zu verstümmeln". Fortan setzt er nur noch Farbe auf die Leinwand, zunächst als große Tupfen, gelöst wie Nebelschwaden oder kompakte Wolken. Und dann in gewaltigen Schichtungen: "No.7/No.11" komponiert er 1949 aus blauen und weißen Querstreifen, ein schwebendes, helles Quadrat in Pastellgrün und Rosa hält die Komposition zusammen und aus dünnen, roten Linien darf auch etwas Farbe rinnen, Mark Rothko vertraut ihr.

"Er gibt dem Betrachter das Gefühl, in einem Raum gefangen zu sein"

Eine Ausstellung im Wiener Kunsthistorischen Museum breitet noch einmal das ganze Werk aus. Zeigt - weil sie in enger Zusammenarbeit mit Rothkos Kindern Kate und Christopher entstand - unbekannte Arbeiten aus der Frühzeit, viele der ikonischen späten Gemälde und gleich sieben Werke aus der legendären Serie der "Seagram Murals". Die hatte der Architekt Philip Johnson beim Künstler im Jahr 1958 zur Dekoration des Four Seasons Restaurants im Seagram Building bestellt und einen so hohen Vorschuss gezahlt, dass Rothko eine ehemalige Turnhalle in der Bowery als Studio anmieten konnte. Dort ging es um nicht weniger als die Auslotung der gesamten "Größenordnung menschlicher Gefühle" in drei Serien aus Rot, Purpur, strahlendem Braun und Graubraun.

Dass Rothko nach seinem ersten Besuch im Luxusrestaurant wütend den Vorschuss zurückzahlte, ist Legende ("Niemand, der solches Essen zu derartigen Preisen genießt, wird jemals eines meiner Gemälde betrachten."). Inzwischen hängen die Bilder in der Tate Modern in einem eigenen Saal, in Museen in Sakura und Washington. Wer Malerei schätzt, fühlt sich vor ihnen so geborgen, als kehre er von einer langen Reise nach Hause zurück. Obwohl Rothko "unbewusst" an einem ganz anderen Effekt gearbeitet hatte. Diese Serie sollte das Publikum so bewegen, wie Michelangelos Gestaltung der Medici Bibliothek in Florenz ihn selbst. "Er gibt dem Betrachter das Gefühl, in einem Raum gefangen zu sein, in dem alle Türen und Fenster zugemauert sind, so dass er nichts weiter tun kann als für immer den Kopf an die Wand zu stoßen."

Kunst: Mark Rothko, "Untitled", 1950, Öl auf Leinwand.

Mark Rothko, "Untitled", 1950, Öl auf Leinwand.

(Foto: 1998 Kate Rothko Prizel & Christopher Rothko/Bildrecht, Wien, 2019)

Der Kurator der Ausstellung, Jasper Sharp, stellt solche Verbindungen des radikalen Neuerers zur Kunstgeschichte immer wieder heraus, vor allem zu den Altmeistern. Und dafür gibt es vermutlich keinen besseren Ort als die Säle in der Beletage des Museums, in denen Sharp zuvor auch schon Künstler wie Lucian Freud mit der Sammlung des Museums konfrontiert hat. Tatsächlich kann man die "Seagram Murals" nun gleichzeitig mit Andrea del Sartos "Beweinung Christi" aus dem Jahr 1519 in den Blick nehmen. Und Mark Rothko hält dem Vergleich mühelos stand. Doch was beweist das? Dass sich Rothko, wie alle Künstler, intensiv mit seinen Vorgängern beschäftigte, Europa bereiste und Gemälde und Fresken studierte sagt nichts über seine Kunst aus. Wer auch immer eine Tube Krapp oder Karmesin aufschraubt, tut gut daran, sich einmal genau das glühendrote Kleid von Raffaels "Madonna im Grünen", das ebenfalls im Kunsthistorischen Institut hängt, angeschaut zu haben. Farbauftrag, Komposition, wie man eine Oberfläche durcharbeitet und Farbe verschattet, aufhellt, zum Leuchten bringt, studiert man als Maler am besten vor Originalen. Aber man kommt dem Wesen von Mark Rothkos Kunst nicht näher, indem man den Künstler auf Europareise zeigt, manche Kapitel des Kataloges verwandelt diese Annäherung optisch in ein Fotoalbum.

Das Museum mit seinem Deckenstuck, den Vergoldungen und den bunt bespannten Wänden ist zudem für die konzentrierte Kunst Rothkos ganz offensichtlich ein schlechterer Rahmen als die Turnhalle in der Bowery. Das ist den Ausstellungsmachern wohl auch aufgefallen, sie haben einen Rundgang aus verschachtelten, künstlichen Kabinetten eingezogen und die großen Säle halbhoch mit mattgrauen Stellwänden ausgekleidet. Der Eindruck ist fatal. Mehr als die Präsenz von Rothkos Œuvre gegenüber den Altmeistern erstaunt es, dass sie auch der verkorksten Ausstellungsarchitektur standhalten.

Dennoch ist die Retrospektive nicht nur eine einzigartige Gelegenheit, das herausragende Werk von Mark Rothko zu erleben. Gerade die Konfrontation mit der Kunstgeschichte macht noch einmal deutlich, was wirklich große Kunst ausmacht: Am Ende des langen Saals mit den figurativen Gemälden und den suchenden, kleinteiligen Abstraktionen gibt es diesen Moment, der einen fühlen lässt, dass ein Künstler hier, mit seiner Malerei, ganz allein weiter läuft, dass er die Verstrickungen mit dem Hergebrachten einfach kappt. Weil er der Kunstgeschichte keinen neuen Weg bahnt, noch nicht. Sondern ihr einfach nur entkommt.

Mark Rothko. Bis zum 30. Juni im Kunsthistorischen Museum, Wien. Der Katalog kostet 38 Euro.

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