Erinnerung an ein Treffen mit Picasso 1950:"Ein wahnsinniges Erlebnis"

Erinnerung an ein Treffen mit Picasso 1950: Der Meister und das Mädchen: Pablo Picasso signiert 1950 einen Schal für die junge Friedensaktivistin Alice Hornung.

Der Meister und das Mädchen: Pablo Picasso signiert 1950 einen Schal für die junge Friedensaktivistin Alice Hornung.

(Foto: Succession Picasso/VG Bild-Kunst, Bonn 2021 Foto: Kunstmuseum Pablo Picasso Münster)

Die westdeutsche FDJ-Aktivistin Alice Hornung traf als Jugendliche Pablo Picasso in Nizza. Sie lernte ihn weniger als Maler kennen denn als engagierten Pazifisten. Ein Gespräch über die Begegnung, die sie nie vergessen hat.

Von Thomas Balbierer

Vor Kurzem erschien in der SZ ein Interview mit der Kuratorin Julia Friedrich, die eine neue Picasso-Ausstellung im Kölner Museum Ludwig vorstellte. Neben dem Text ein historisches Foto, das Picasso zwischen jungen Friedensaktivistinnen zeigt. Eine davon ist Alice Hornung, Jahrgang 1934. Die Saarländerin hat sich auf dem Bild wiedererkannt und erzählt im Gespräch, wie die Begegnung ihren Kampf gegen Krieg und Atomwaffen geprägt hat. Das Foto erschien am 1. September, dem Antikriegstag - ein "schöner Zufall", sagt Hornung.

SZ: Frau Hornung, Sie durften als junge Friedensaktivistin 1950 Pablo Picasso in seinem Haus bei Nizza besuchen. Wie kam es dazu?

Alice Hornung: Das war anlässlich eines der ersten europäischen Friedenstreffen der Jugend, Picasso war Schirmherr. Im Mittelpunkt stand die Kampagne um den Stockholmer Appell, der die Ächtung der Atombombe forderte und für den weltweit Millionen Unterschriften gesammelt worden waren - auch von uns. Zwischen den Friedensaktivisten in Berlin, Rom und Paris fand damals ein Wettbewerb statt, wer die meisten Unterschriften sammeln würde. Die Berliner gewannen und sollten auf diesem Festival in Nizza geehrt werden, konnten die Reise wegen des Kalten Krieges aber nicht antreten. Ich war in der Freien Demokratischen Jugend im Saarland aktiv, und da wir direkt an der französischen Grenze lebten, wurde unser Verband zur Vertretung geschickt. Vor Ort wurden wir von Picasso eingeladen.

Wie erinnern Sie sich daran?

Vom Betrachter aus stehe ich auf dem Foto rechts von Picasso: das dunkelhaarige Mädchen, dessen Hand auf dem Tisch liegt. Wir waren ja keine Kunstkenner, sondern junge Menschen, die sich für Frieden einsetzten. Alle hatten in ihrer Familie oder im eigenen Leben Kriegserfahrungen gemacht. Wir waren erschüttert über die Folgen der Atombombenabwürfe über Hiroshima und Nagasaki. Unser Bestreben war, etwas für den Frieden zu tun. Auf einmal wurden wir von dem großen Picasso empfangen, den die ganze Welt verehrte - ein wahnsinniges Erlebnis.

Alice Hornung Picasso Friedensaktivistin

Alice Hornung, 86, ist noch immer in der Friedensbewegung aktiv. Nach der Saarabstimmung 1935 floh ihre Familie nach Frankreich, um den Nazis zu entkommen, Hornungs Vater war Jude. Zehn Jahre lebte die Familie im Exil.

(Foto: privat)

Was hat Picasso damals gesagt?

Er sagte uns, wie wichtig das Engagement der Jugend für Frieden ist, gerade so kurz nach dem Krieg. Er hob das Engagement der deutschen Jugend besonders hervor, wir hatten ja eine unrühmliche Vergangenheit. Dass ausgerechnet junge Deutsche nun so aktiv Unterschriften für den Stockholmer Appell gesammelt hatten, war für Picasso ein wichtiges Zeichen. Und er ermutigte uns, weiterzumachen. Nur im Frieden könne die Jugend eine glückliche Zukunft haben.

Woran erinnern Sie sich noch?

Picasso erkundigte sich nach unseren Biografien. Unsere Delegation bestand ja vor allem aus Jungen und Mädchen mit antifaschistischer Vergangenheit. Meine Eltern mussten nach der Saarabstimmung 1935 das Saarland verlassen, um sich dem Zugriff der Nazis zu entziehen. Mein Papa war Jude und in der sozialistischen Arbeiterjugend aktiv. Zehn Jahre lebten wir im französischen Exil. Das waren Dinge, die Picasso interessierten.

Welche Vorstellung hatten Sie vor dem Treffen von ihm?

Für mich war er der Schöpfer der Friedenstaube und des Antikriegsgemäldes "Guernica". Außerdem spielte er eine bedeutende Rolle in der Friedensbewegung.

War Picasso für Sie eher Künstler oder Friedensaktivist?

Er war beides, aber für uns in erster Linie Friedensaktivist. Sie können von 15- oder 16-Jährigen, die jahrelang nur Krieg gesehen hatten, ja kein großes Kunstverständnis erwarten. Er sprach uns Mut zu, noch mehr Menschen von der Friedensidee zu überzeugen.

Die neue Ausstellung "Der geteilte Picasso" in Köln zeigt, dass er in Westdeutschland eher unpolitisch dargestellt wurde. Wurde er missverstanden?

Er wurde zumindest falsch dargestellt. Ob die Bevölkerung ihn falsch verstanden hat, kann ich nicht beurteilen. Im Saarland waren wir stark von französischen Einflüssen geprägt. Dort wurde Picasso verehrt.

Hat das Treffen Ihren Einsatz in der Friedensbewegung geprägt?

Es hat mein Engagement bekräftigt. Nach dem Stockholmer Appell kämpften wir gegen den Krieg in Indochina, gegen den Korea-Krieg, gegen die Aufrüstung der Bundesrepublik. Später demonstrierten wir gegen die Lagerung von Pershing-Raketen in Deutschland. Das Erlebnis mit Picasso war immer präsent, sein Beispiel hat mir und anderen Orientierung gegeben. Picasso hat uns verdeutlicht, wie wichtig es ist, dass jeder Einzelne etwas tut.

Sie gehen auch mit 86 Jahren für den Frieden auf die Straße?

Ja, natürlich. Ich arbeite zum Beispiel in einem Friedensnetzwerk mit. Am 1. September haben wir mit Gewerkschaften Antikriegs-Aktionen veranstaltet. In Büchel (Luftwaffenstützpunkt in Rheinland-Pfalz, Anm. d. Red.) demonstriere ich gegen die Lagerung von US-Atombomben. Das Atomproblem ist ja nicht weg. Und wenn ich daran denke, dass wir in der Bundesrepublik einen Verteidigungsetat von fast 50 Milliarden Euro haben, und es Forderungen gibt, ihn bis 2030 um weitere 20 Milliarden zu erhöhen, dann machen mir diese wahnsinnigen Rüstungsausgaben Angst! Die Geschichte zeigt doch, dass man mit Waffen und Krieg keine Konflikte lösen kann.

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