Süddeutsche Zeitung

Kunst nach dem Terror:"Wir fordern die französische Regierung heraus"

Wie lebt es sich nach den Anschlägen in Paris? Die Regisseurin Catherine Corsini spricht auf der Französischen Filmwoche über einen Zustand zwischen Angst und Aufbruch.

Von Ruth Schneeberger, Berlin

Liebe, Leben, Leidenschaft: Mit dem Film "La Belle Saison" wurde am Mittwochabend die 15. Französische Filmwoche in Berlin beendet. 42 neue Filme und Serien, darunter 13 Deutschlandpremieren, erinnerten das Publikum an das Frankreich vor den Anschlägen. Stars des französischen Kinos wie Isabelle Huppert, Charlotte Rampling oder Daniel und Emmanuel Leconte mit ihrer Dokumentation "Charlie Hebdo", die am Mittwochabend in Frankreich Premiere feierte, zeigten hier ihre neuesten Werke. Die Regisseurin von "La Belle Saison", Catherine Corsini (59, "Die Affäre"), spricht über ihren enthusiastischen neuen Film - und über das Paris nach den erneuten Anschlägen.

SZ: Sie haben einen Film über Feminismus und Lesben im Paris der frühen 70er gemacht. Warum jetzt und warum über diese Zeit?

Catherine Corsini: Die französische Gesellschaft hat sich total versteift auf die Diskussion über die Homoehe, die vor zwei Jahren geführt wurde. Viele Politiker sind gegen die Ehe für alle. Diese Zuspitzung macht mir Sorgen. Da findet eine Verdunkelung statt. Um das neu zu situieren, und nochmal zu zeigen, wie die homosexuelle und die feministische Bewegung in Frankreich angefangen haben, habe ich diesen Film gemacht. Die Frauen wollten nicht länger eine Lüge leben und ihre Homosexualität offen zeigen können. Sie wollten einfach zeigen, dass sie existieren. Die französische Gesellschaft ist damals nach diesen Ereignissen moderner geworden, weil da so ein Druck entstanden war, dass selbst diejenigen, die nichts davon wissen wollten, plötzlich nachgeben mussten. Das führte dazu, dass mehr Solidarität entstanden ist und man endlich angefangen hat, die Unterschiede zu akzeptieren.

Die französische Gesellschaft war damals schon einmal weiter und Sie wollen nun daran erinnern?

Ich will zeigen, dass die französische Gesellschaft damals sehr abgeschlossen war. Dann kam diese Utopie und man hat sich geöffnet. Heute neigt man dazu, sich wieder zu verschließen. Während man damals den Kopf gehoben hat, senkt man heute eher den Kopf. Weil man Angst hat, einen Schlag zu kassieren. Die Medien neigen dazu, diese Atmosphäre zu verstärken, indem permanent die Krise beschworen wird.

Ich habe gelesen, Sie hatten Angst, einen Film über Lesben zu machen, Ihren ersten Film über Homosexualität überhaupt, obwohl Sie mit einer Frau zusammenleben. Warum?

Ich habe die Gefahr gesehen, dass das Publikum sich den Film aus purem Voyeurismus anschauen könnte. Dieser Falle wollte ich entkommen. Es ist in erster Linie eine Liebesgeschichte. Ich habe versucht, an die Liebesszenen so heranzugehen wie in der Malerei. Auf keinen Fall wollte ich in eine Softporno-Ästhetik abgleiten. Trotzdem hat der Film in gewissen Kreisen harte Reaktionen hervorgerufen, und eine starke Ablehnung vor allem bei der extremen Rechten, die der Meinung war, das sei ein schockierendes Bild für die Jugend. Ich frage mich, warum es für ein großes Publikum anscheinend weniger problematisch ist, sich einen Film wie "Brokeback Mountain" anzusehen, wo es um homosexuelle Liebe zwischen Männern geht.

Ihnen wurde vorgeworfen, dass Sie explizite Sexszenen zeigen. Ist Paris noch die Stadt der Liebe, wenn solche Szenen heute wieder schockieren?

Die Liebesszenen sind eher soft. Was bei uns durch die Medien ging, ist, dass sich die zweite Hauptdarstellerin, Izïa Higelin, unwohl gefühlt hat, als sie die Sexszenen gespielt hat. Das hat zu Diskussionen in sozialen Netzwerken geführt. Aber der Film zeigt eigentlich eher Nacktheit als Sexszenen. Da muss man sich zurück in die 70er Jahre versetzen, wo Nacktheit etwas sehr viel Natürlicheres war. Man hatte einfach Lust, seinen Körper zu zeigen, das war die Post-Hippie-Kultur. Die Figur, die Cécile de France spielt, zeigt sich einfach sehr gerne nackt. Es schmeichelt mir eher, dass es gar nicht so viele Liebesszenen gibt und man sie trotzdem als so stark empfindet.

Sie haben als Hauptdarstellerin Cécile de France gewählt, die in Frankreich sehr beliebt ist. Sie wollten ein großes Publikum erreichen. Nun sagen Sie, das französische Publikum sei noch nicht offen genug für einen solchen Film. Warum?

Es hat sehr gute Kritiken gegeben für den Film, richtig enthusiastisch. Das Drehbuch hat allen gefallen. Es war auch relativ problemlos, den Film finanziert zu bekommen. Was mich überrascht hat, ist, dass es offenbar nach wie vor diese Spaltung innerhalb der französischen Gesellschaft gibt. Ich hatte zwar durchaus Erfolg mit dem Film, aber den Teil der Gesellschaft, den ich damit erreichen wollte, habe ich nicht erreicht. Ich habe nicht das Frankreich erreicht, das sich so massiv gegen die Ehe für alle ausgesprochen hat. Und das nach wie vor Homosexualität ablehnt. Das hat mich enttäuscht.

Sie leben in Paris. Wie wirken sich die Attentate auf Ihr Leben aus? Machen Sie Dinge anders als zuvor? Oder leben Sie extra genauso weiter wie immer, um sich Ihre Freiheit zu erhalten?

An der Art, mich in Paris zu bewegen, habe ich nichts verändert. Dazu muss ich sagen: Ich wohne in der Nähe der Orte, wo die Massaker stattgefunden haben. Das alles hat mich sehr aufgewühlt, sehr berührt und ich habe mich auch erst mal wie zerschlagen gefühlt. Aber ich bin trotzdem genauso unterwegs wie früher, benutze öffentliche Verkehrsmittel, gehe ins Kino und ins Theater. Ich stelle mir allerdings schon Fragen, was meine Arbeit angeht. Was zum Beispiel will ich mit dem Film, an dem ich gerade arbeite, ausdrücken? In gewisser Weise haben diese Massaker dazu geführt, dass ich meine Arbeit gestoppt habe und mir jetzt erst mal die Frage stelle, welchen Film ich überhaupt drehen möchte.

Haben Sie das Gefühl, auf diese Anschläge reagieren zu müssen?

Diese Frage stelle ich mir. Als Künstler reagiert man immer mit einer gewissen Verspätung auf aktuelle Ereignisse. Es entstehen nicht die besten Arbeiten, wenn man versucht, sofort zu reagieren. Ich war aber gerade mit einer ganzen Reihe von Filmemachern dabei, die katastrophalen Ereignisse in Calais, was die Flüchtlinge dort angeht, in kurzen Beiträgen filmisch zu dokumentieren. Um diese unmenschlichen Bedingungen festzuhalten und wie die Leute versuchen, da zu überleben. Dieses Projekt ist durch die terroristischen Anschläge eigentlich gestoppt worden. Weil man in diesem neuen Kontext sehr vorsichtig sein muss. Weil zurzeit alles auch gegen einen gewendet werden kann. Ich muss jetzt aufpassen, dass dieses politische Engagement nicht plötzlich gegen mich eingesetzt wird. In dieser hochemotionalen komplexen Situation in Frankreich ist das gerade ein Problem.

Es gab ja nicht nur die Massaker, sondern danach die Regionalwahlen, die dem Front National unglaubliche Zugewinne bescherten. Das macht mir durchaus Angst. Wahrscheinlich muss man als Künstler einfach mehr vor Ort sein. Und nicht den Fehler machen, sich wie die Politiker in den Elfenbeinturm zurückzuziehen. Man muss auf die Leute zugehen, auf die Gesellschaft.

Das heißt, Paris verharrt gerade in einer Angststarre? Was es für Künstler noch schwieriger macht, darauf zu antworten, weil man Angst haben muss vor den Reaktionen?

Die Atmosphäre ist von einer gewissen Tatenlosigkeit geprägt. Man leidet noch sehr unter dem, was passiert ist. Aber es gibt auch einen starken Widerstand dagegen, sich das alles gefallen zu lassen. Das Problem ist einfach, dass der Front National mit seinen Hasstiraden gegen Ausländer sofort nach einem Schuldigen sucht und davon profitiert. Deshalb muss man zurzeit vorsichtig sein, wie man argumentiert, wenn man nicht möchte, dass Migranten und Ausländer mit Terroristen in einen Topf geworfen werden. Es geht auch nicht darum, die Migranten auszuspielen gegen den Front National, sondern nach Verknüpfungspunkten zu suchen. Ich versuche selber, da mit Freunden etwas zu tun. Mit kleinen Filmen und bescheidenen Aktionen. Damit es wieder zu einer Form von Verbindung kommt und diese Opposition zwischen den Gruppen endlich aufhört.

Kann das der Film denn gerade überhaupt leisten? Französischen Filmen wird zum Beispiel aus Deutschland gerade vorgeworfen, sie seien manchmal zu stark am Blick des Staates orientiert, der sich vor Eindringlingen schützen muss.

Um welche Filme geht es da? Es ist in Frankreich eher so, dass sehr viele Filmemacher sich engagieren. Dass Flüchtlinge, die keine Papiere bekommen, legalisiert werden. Oder auch Kinder von Einwanderern, die Probleme haben, zur Schule gehen zu dürfen. Also ist eigentlich eher das Gegenteil der Fall: Man geht gegen den Staat und nicht mit dem Staat.

Zum Beispiel dem Film "Dämonen und Wunder", der gerade in den deutschen Kinos läuft, wurde das vorgeworfen. Oder auch dem Film "La tête haute" mit Catherine Deneuve. Da geht es zwar nicht um Einwanderer, aber um Kinder aus sozial schwierigen Milieus. Der Vorwurf war der gleiche: zu viel Staatsnähe.

Um "Dämonen und Wunder" hat es auch hier Debatten gegeben, aber daraus kann man nicht schließen, dass das französische Kino auf Regierungslinie ist. Interessant, dass das in Deutschland diskutiert wird. Ich finde: Das Gegenteil ist der Fall. Ich als Bürgerin bin mit anderen Filmemachern vor Ort, um die französische Regierung gerade herauszufordern. Die Regierung sagt das eine und tut das andere. Sie tut immer so, als würde sie das Leben der Einwanderer vereinfachen, die teilweise unter Brücken leben und wirklich nur dahinvegetieren. Und was die Regierung macht, ist, sie in irgendwelche Lager zu sperren. Das wird kritisiert von der Filmbranche. Aber auf einer Ebene, wie man sich als Bürger auch engagiert. Militantes politisches Kino zu machen, das ist natürlich nochmal etwas anderes.

Was glauben Sie: Warum war Paris das Ziel dieser Anschläge?

Darüber könnte man stundenlang diskutieren. Es hat natürlich etwas mit der kolonialen Vergangenheit zu tun. Aber auch mit der Rolle der USA, dem Mauerfall, den Irak-Kriegen. Das alles auseinanderzunehmen, führt jetzt zu weit. Paris ist zweimal getroffen worden in diesem Jahr. Im Januar war es Charlie Hebdo, da äußerte sich der Hass auf den Westen, der aus vielen Faktoren besteht. Die Anschläge waren zweimal im selben Gebiet von Paris - das vor allem für kulturellen Mix steht, weniger für einen sozialen oder gesellschaftlichen. Natürlich wollte man schockieren, Chaos stiften, wehtun. Man wollte ein Symbol treffen für die Gesellschaft. Eine Gesellschaft, die auch in Bezug auf Migranten viel sensibler geworden ist, was wiederum erklärt, dass der Front National zurzeit solche Wahlerfolge feiert. Auch das ist mit Sicherheit ein Faktor.

Glauben Sie, dass die französische Gesellschaft sich weiter zurückziehen und noch ängstlicher wird als ohnehin schon in den vergangenen Jahren? Wird Frankreich noch unfreier?

Eigentlich bin ich Pessimistin, aber eine kämpferische. Ich versuche schon, mich zu engagieren und dafür zu sorgen, dass das Gegenteil eintritt: eine Öffnung der französischen Gesellschaft. Diese Öffnung gibt es auch, in Paris und in den Großstädten. Aber die Globalisierung hat dazu geführt, dass es regionale Unterschiede gibt: Es gibt Gegenden, wo Fabriken geschlossen werden, da gibt es Arbeitslosigkeit, da schlägt die Krise zu. In den Großstädten im Gegenteil: Da gibt es Leute, die sehr gut leben, auch materiell. Wenn es einem gut geht, ist es leichter, sich zu öffnen. Die Gesellschaft ist einfach nicht gleich und man muss dafür sorgen, diese Ungleichheiten zu überwinden. Es muss wieder mehr geteilt werden. Die ganze Gesellschaft müsste wieder harmonischer werden.

Aber wenn es in Schlagzeilen immer nur darum geht, wie schrecklich alles ist, dass die Welt sowieso bald explodiert, dass die Krise uns fertigmacht: Auch das terrorisiert die Menschen. Kaum jemand zeigt, was alles funktioniert, dass viele Migranten den Aufstieg durch Bildung schaffen. Das ist zwar die Aufgabe von Politik, aber auch von uns Bürgern. Dass man viel mehr aufeinander zugeht, dass diese hierarchischen Strukturen, die es immer noch gibt, aufgebrochen werden. Wenn man schon immer von einem Europa redet, dann kann das kein Europa sein, das nur von oben kommt. Da müssen sich auch die europäischen Künstler und Filmemacher fragen, ob man nicht versuchen muss, sich ganz neu auszudrücken. Nach diesen Massakern in Paris haben viele gesagt: Wir werden der Angst und dem Terror nicht weichen. Ganz im Gegenteil: Wir werden versuchen, noch motivierter zu sein. Und noch mehr zu kämpfen.

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