Kunst:Mystiker der Farbe

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Ahnherr der Avantgarde? Oder ein besonders religiöser Maler? Eine große Ausstellung im Pariser Grand Palais würdigt das Werk des 1541 geborenen El Greco und seine außergewöhnliche Erfindungsgabe.

Von Kia Vahland

Hoch zu Ross, auf einem weißen Schimmel, sieht die Welt beherrschbar aus. Man mag sich dem Himmel näher fühlen, wenn die Füße nur den goldenen Steigbügel berühren, nicht aber die braune Erde. Und so erscheint es dem Heiligen Martin schon eine Großtat zu sein, dass er einen Zipfel seiner Privilegien abzugeben gewillt ist und das Schwert ansetzt, um die wallende grüne Seide seines Mantels mit einem nackten Bedürftigen zu teilen. Martins Rüstung glänzt auch im Licht dieses Schlechtwettertages noch, seine Rüschen am Kragen und den Handgelenken schimmern weiß. Ein wenig melancholisch wirkt sein Blick, auch, weil er nach unten gleitet, ohne aber seinem Gegenüber, dem armen Jüngling, zu gelten.

Der ist mindestens so hübsch wie der junge Martin, sein schlanker Körper schmiegt sich an den Leib des Pferdes, die schmalen Beine von Tier und Mensch bilden eine Linie. Scheinbar dankbar wendet der Nackte sich dem Spender zu, doch seine Linke greift fest nach dem Umhang, als fürchte er, Martin würde freiwillig noch weniger hergeben von dem Stoff.

Offenkundig ist der Hochmut des Schönlings auf dem Pferd, der gar nicht daran denkt, dem Armen einfach den ganzen Mantel zu überlassen. Und doch agieren die Männer auf diesem Gemälde El Grecos harmonisch, als zwei aufeinander angewiesene Bildpartner, verbunden durch den Schwung des grünen Tuchs.

Eine große Ausstellung im Pariser Grand Palais würdigt das Werk von Domínikos Theotokópoulos, wie der 1541 auf Kreta geborene Künstler eigentlich heißt - "der Grieche", El Greco, nannte er sich nur, weil erst die Italiener, dann die Spanier sich keine Mühe gaben, den in ihren Ohren fremdländischen Namen zu lernen.

Leicht machten gerade die Italiener es dem gelernten Ikonenmaler nicht. Dass der sich auch kunsttheoretische Gedanken machte, wie seine hintersinnigen Bilder von dem Maria malenden Lukas zeigen, konnte die Venezianer noch nicht für ihn einnehmen, auch nicht, dass er das Ungefähre, Poetische der Malerei Tizians und Tintorettos schnell aufsog.

Zu welch ungewöhnlichen, manchmal gar bedrohlichen Bildfindungen das führte, zeigen die beschädigten, kleinformatigen Frühwerke in der Schau. Auf einem portablen Altar spreizt sich ein gefräßiger Höllenschlund, auf der Rückseite verbreitet eine karge Felslandschaft Unbehagen. Obschon der Maler im Land der Zentralperspektive angelangt ist, interessieren ihn deren Gesetze und überhaupt die ganze Regelhaftigkeit der Renaissance wenig - belesen war er trotzdem, wie ein eigenhändig annotiertes Vitruv-Exemplar in der Ausstellung zeigt. Schon eher als Geometrie und Mathematik fasziniert ihn der colorito der Venezianer, der lustvolle Einsatz der Farbe. Doch anstatt sich an die klassische Palette der Kollegen zu halten, experimentiert El Greco mit Mischtönen und bald auch mit einer metallisch wirkenden Strahlkraft vor Gewitterhimmeln.

In seinen Werken "spreizt der Wahnsinn der Moderne seine Fangarme aus", so ein Kritiker

El Greco sucht weniger das Reale als das Sinnliche, Geistige. Das war selbst den Römern zu viel mystische Religiosität. Er reüssierte auch in der Heiligen Stadt nicht, knüpfte hier aber Kontakte nach Madrid und Toledo, wohin er als Mittdreißiger auswanderte.

Die meisten Werke der Ausstellung kommen aus der spanischen Zeit, zu sehen sind etliche Stücke, die vor rund 100 Jahren in amerikanische Sammlungen gelangten (die Schau wandert nach Chicago). Im frühen 20. Jahrhundert wurde der Maler wiederentdeckt, Maler und Theoretiker der Avantgarden erklärten ihn zu ihrem Ahnherrn. Der Schriftsteller Herwarth Walden etwa schwärmte 1911, in El Grecos Werken "spreizt der Wahnsinn der Moderne seine Fangarme aus". Die vermeintlich manische Kunst des Griechen wurde gegen die angebliche Sachlichkeit von Diego Velázquez ausgespielt, obwohl jener El Greco als Vorgänger schätzte und sogar Werke von ihm besaß.

Diesem modernen Zerrbild begegnen die Kuratoren mit den Blicken der Historiker, die lieber Dokumente prüfen als ihren Leidenschaften nachzugehen. Sie betrachten den Maler im Kontext des spanischen Katholizismus, und man hätte sich hierzu noch weitergehende Informationen auf den knapp gehaltenen Saaltexten gewünscht. Welche Rolle genau etwa spielte die Inquisition und ihr Protagonist Niño de Guevara, den El Greco um 1600 mit hochmoderner Hornbrille malt? Ambivalent wirkt das Gemälde aus dem Metropolitan Museum of Art in New York. So flirrend das rosaviolette Gewand des Klerikers dem Auge schmeichelt, so bedrohlich wirkt die bildfüllende Figur, die einen fixiert. Und thront hier ein souveräner Kirchenmann, oder krallt er sich nicht doch ängstlich an dem Stuhl fest?

Im Spätwerk emanzipiert sich der Maler auch ein Stück weit von der menschlichen Anatomie

Wie schon bei seinem Heiligen Martin, so legt sich El Greco auch auf anderen Gemälden ungern fest. Er variiert viele Motive, etwa die Szene, wie Christus die Händler aus dem Tempel vertreibt. Er findet Formen, und löst sie dann wieder auf. Besonders im Spätwerk emanzipiert sich der Maler von allen gängigen Ikonografien und auch ein Stück weit von der menschlichen Anatomie. Seine Deutung der Apokalypse des Johannes mit den unterschiedlich großen, sich reckenden Figuren kündet von Ungewissheit und dem Bestreben, zwischen Traum und Erfahrung nicht mehr groß zu unterscheiden. In der Pariser Ausstellung hängen solche hoch konzentrierten Werke auf Weiß, weil auch die spanischen Kirchen weiße Wände haben - was die Wirkung der Andacht noch steigert.

El Grecos sehr eigene Mischung aus virtuoser Farbmalerei und inniger Frömmigkeit vermittelt sich heute nicht so leicht wie etwa der theatralische Realismus Caravaggios. Der Ausstellung gelingt es, Domínikos Theotokópoulos außergewöhnlicher Erfindungsgabe trotzdem in aller Nüchternheit gerecht zu werden.

Greco . Bis 10. Februar, Grand Palais, Paris. Katalog: 45 Euro.

© SZ vom 29.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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