Kunst:Eine Frage der Perspektive

Kunst: Auf den zweiten Blick als Collage erkennbar: Marcel Odenbachs "Tupac" aus dem Jahr 2015.

Auf den zweiten Blick als Collage erkennbar: Marcel Odenbachs "Tupac" aus dem Jahr 2015.

(Foto: Anton Kern Galerie, NYC © VG Bild-Kunst, Bonn 2021)

Marcel Odenbach ist ein Pionier der deutschen Videokunst. Die Kunstsammlung NRW widmet dem 68-Jährigen eine Retrospektive und zeigt, wie facettenreich der Künstler seit Jahrzehnten arbeitet.

Von Alexander Menden

Es ist kein bewegtes Bild, wie man es für typisch halten könnte bei Marcel Odenbach, dem Pionier der deutschen Videokunst. Auf den ersten Blick ist es ein recht konventionelles Porträt, wenn auch ein berühmtes: Tupac Shakur, 1996 in Las Vegas erschossener afroamerikanischer Rapper, der den Mittelfinger der linken Hand an die rechte Schläfe legt und durch eine Schlaufe der Bandana schiebt, die um seinen Kopf geschlungen ist. Die Vorlage ist ein Foto der Niederländerin Diana Lixenberg, das einen ähnlichen Wiedererkennungswert wie das früher allgegenwärtige Che-Guevara-Porträt hat. Odenbach hat es auf zweieinhalb Mal anderthalb Meter vergrößert.

Tritt man näher, erkennt man, dass Gesicht und Hand aus Schnipseln dokumentarischer Bilder aus der Zeit der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung und der Black Panther Party collagiert ist. Das Hemd hingegen setzt sich aus Szenen der Animationsserie "Beavis and Butthead" zusammen. Marcel Odenbach vereint im Abbild des längst zur Popikone verklärten Rappers Fotos des Kampfs um schwarze Bürgerrechte mit dem Inbegriff von White-Trash-Hirnlosigkeit in den Neunzigerjahren, noch dazu einer Show, die auf MTV lief, also dem Sender der den Pop-Mainstream jener Zeit abbildete. Man kann das als Illustration der heute weiter denn je klaffende Spaltung der amerikanischen Gesellschaft lesen, als Vorzeichen einer Entwicklung, die unter anderem in der Black-Lives-Matter-Bewegung mündete.

Odenbach erlebt derzeit seinen Augenblick: Er ist zeitgleich in München, in Krefeld, im Kölner Museum und in Düsseldorf zu sehen

Marcel Odenbach, der jüngst im Museum Ludwig den Wolfgang-Hahn-Preis entgegennehmen durfte, studierte in den Siebzigerjahren neben Architektur und Kunstgeschichte auch Semiotik. Die Kamera als Dokumentationswerkzeug lernte er während dieses Studiums kennen und nutzte sie inmitten der aufkeimenden Videokunst-Szene immer mehr als eigenständiges ästhetisches und konzeptionelles Medium. Was die Semiotik angeht, so ist die Zeichenfindung und -interpretation in seiner Kunst tatsächliche die größte Herausforderung, aber oft auch das größte Vergnügen. Odenbach erlebt derzeit seinen Augenblick: Er ist in München ebenso zu sehen wie in Krefeld, im Kölner Museum Ludwig stellt er seine Reihe "Schnittvorlagen" aus. Die größte Schau aber ist die Retrospektive, welche die Kunstsammlung NRW dem soeben als Professor für Film und Video an der Kunstakademie Düsseldorf emeritierten 68-Jährigen gewidmet hat.

Kunst: Marcel Odenbachs "Das große Fenster, Einblick eines Ausblicks" von 2001 ist eine Videoinstallation.

Marcel Odenbachs "Das große Fenster, Einblick eines Ausblicks" von 2001 ist eine Videoinstallation.

(Foto: VG Bild-Kunst, Bonn 2021)

Sie trägt den Titel "So oder so", und tatsächlich kann man all seine Arbeiten so oder so betrachten, also aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Der Interpretationsspielraum bleibt groß, obwohl die Thematik stets recht gut umrissen ist. Die Beschäftigung mit dem kolonialen Erbe Europas und den Folgen der Kolonialzeit auf dem afrikanischen Kontinent etwa, heute ein viel diskutiertes Thema, beginnt bei Odenbach bereits vor Jahrzehnten, mit Videoarbeiten wie "Stehen ist Nichtumfallen" von 1989. Szenen aus dem Unabhängigkeitskampf Namibias zwischen 1960 und 1989 werden mit Aufnahmen von Odenbach selbst beim Haareschneiden und Bildern von der blutigen Niederschlagung der Demonstration am Platz des Himmlischen Friedens in Peking 1989 gemischt. Der biografische Verweis ist bei Marcel Odenbach oft ebenso entscheidend wie der historische und schließt den Betrachter mit ein.

Man kommt im Laufe der Betrachtung dieser Arbeiten immer mehr davon ab, statische Collagen und Filme zu trennen. Sie alle sind zusammengeschnitten. Da ist eine Zeitungsseite vom Tag nach den Pariser Terroranschlägen auf das Büro der Satirezeitschrift Charlie Hebdo, die ihrerseits wiederum aus winzigen, vieldeutigen Zeitungsbildern zusammengesetzt ist. Da ist aber auch der Film "Beweis zu nichts" (2016), in dem Odenbachs Kamera das Mahnmal der Gedenkstätte im ehemaligen Konzentrationslager abfährt, es aber nie ganz zeigt. Der heroische, selbst durchaus totalitäre Gestus dieser auf Geheiß des DDR-Regimes mehrfach überarbeiteten Figurengruppe, wird so fragmentiert und unterlaufen.

Es ist ein vielschichtiger, im besten Sinne kleinteiliger Künstler, den die Odenbach-Retrospektive in Düsseldorf präsentiert - facettenreich, ironisch, subjektiv. Eine kongenial kuratierte Schau zur rechten Zeit.

Marcel Odenbach - So oder So in der Kunstsammlung NRW, K21, Düsseldorf, bis 9.1.22. Der Katalog kostet 39 Euro.

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