Kunst:Malerei ist scheußlich

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Neben Malerei macht Sillman auch Zeichnungen, Siebdrucke und Filme wie „After Metamorphoses“, 2015-16, aus dem dieser Still stammt. (Foto: Amy Sillman)

Die Künstlerin Amy Sillman greift trotzdem zum Pinsel. Ihre Londoner Ausstellung ist eine Sensation.

Von Catrin Lorch

Der Ausstellungstitel "Landline" ist kurz und leise. Es lohnt sich, ihn zu übersetzen und etwas nachhallen zu lassen: "Festanschluss", so nennt man umgangssprachlich die analoge Telefontechnik, die, obwohl noch verbreitet, längst von digitalen Netzen und Mobilfunktechnik abgehängt worden ist. Das Telefonieren ist im Zeitalter des Digitalen ohnehin nur noch eine Kommunikationsform von vielen. Wenn die amerikanische Künstlerin Amy Sillman ihrer Ausstellung im Camden Arts Center in London so eine Überschrift verpasst, klingt Selbstironie an, das Beharren einer Künstlerin auf einem Medium, das nicht mehr unbedingt als zeitgemäß gilt. Andererseits - wenn sich einer erkundigt, ob der Gesprächspartner vielleicht über seinen "Festanschluss" zu erreichen sei, ist klar, dass er etwas Wichtiges zu sagen hat und darauf Wert legt, nicht durch Hintergrundgeräusche abgelenkt zu werden.

Steckt in dieser Ansage ein Versprechen? Die Ausstellung löst es jedenfalls ein. Die wohl umfangreichste Präsentation der Kunst von Amy Sillman in Europa ist die überfällige Würdigung der 1955 in Detroit geborenen Malerin. Der gewaltige Parcours, den die Künstlerin mit Dutzenden Gemälden, Zeichnungen, Siebdrucken und Animationsfilmen in dem etwas abgelegenen Camden Arts Center dazu aufgebaut hat, gilt schon jetzt als die Sensation des Londoner Kunstherbstes.

Was - zunächst - vor allem an der Intensität ihrer großen Gemälde liegt. "In Illinois" beispielsweise hält den Blick lange fest. Schwer zu enträtseln, was die Komposition in Magenta, Karminrot und hellen, kalten Tönen wirklich zeigt. Die leuchtende, satt verteilte Ölfarbe ist mindestens so präsent wie die beiden krakeligen Gestalten, die in der Horizontale zwischen monochromen Flächen eingezwängt daliegen. Die Männchen wirken so blass, als sei nicht ausreichend Farbe da gewesen, um ihnen auch noch Kontur zu verleihen. Aber sie sind da. Und das noch sanft nach Terpentin duftende Gemälde - Kenner sprechen von "atelierfrisch" - ist so nachdenklich aus Figuration und Abstraktion zusammengesteckt, dass man den einst so wichtigen Frontverlauf als endgültigen Stillstand umarmen möchte. Dabei bleibt das Bild ehrlich genug, die Schichten seiner Entstehung, all das Verworfene und Gelungene, noch durchscheinen zu lassen. Sichtbar ist: Virtuosität oder Könnerschaft interessieren Amy Sillman nicht.

Dem Kurator Fabian Schöneich hat die Malerin in einem langen Gespräch einmal genau erzählt, wie ihre Gemälde zunächst als "Unfälle, Zufälle, Fehler, Korrekturen und Entdeckungen" entstehen, die sie mit "ungefähr 50 Prozent Entscheidungen, Analyse, Editing, Konzeptualisierung" ausbalanciere. Form- oder Stildebatten perlen an solchen Leinwänden ab, dazu kommt, dass die Künstlerin - die zunächst Literatur und Japanologie studierte - selbst bei jeder Gelegenheit kundtut, wie obskur sie Malerei und den an der Farbe klebenden Diskurs empfindet.

Doch Künstlerinnen wie Amy Sillman, die mit der Arbeit einfach weitermachten, als vor allem männliche Kollegen in den Achtziger- und Neunzigerjahren auf zeitgemäßere Techniken umschwenkten, werden mit ihrem doppelten Beharrungsvermögen zu Rollenmodellen für eine junge Generation von Malerinnen. Zudem hat Amy Sillman bis vor Kurzem an der Städelschule, der Frankfurter Kunstakademie, gemeinsam mit Monika Baer eine Klasse unterrichtet, zu deren Absolventen unter anderen Eliza Douglas, Aileen Murphy und Babette Semmer gehören. Als Autorin hat sie in Kunstmagazinen wie Artforum oder den Texten zur Kunst über Kolleginnen wie Rachel Harrison, Maria Lassnig und Amelie von Wulffen geschrieben.

Die Kunst der Amerikanerin hat sich seit der Wahl von Donald Trump zum Präsidenten verändert

Noch bedeutender ist aber der Einfluss ihrer Malerei; Amy Sillman hat das uralte Medium neu austariert, sodass es als stabile "Landline" die Gegenüberstellung mit den unzähligen jüngeren Techniken aushält. Dabei hilft der Kunst der durchaus auch mal fiese Humor einer Künstlerin, die in einem Atemzug darauf hinweist, dass man ohne Witz nicht auskomme, und bekennt, "dass Malerei einfach auch meine sexuelle Vorliebe ist". Als Studentin hat sie schon mal Wände und Fußböden angemalt, ihre kruden Diagramme strichelt sie heute mit dem Kohlestift auf hochwertig verputzte Museumswände.

Zudem pflegt sie künstlerische Nebenlinien, zeichnet und malt auf Papier, entwirft Cartoons und Animationen für den Fernseher als Text-Bild-Montagen, die mal so klar sind wie Slogans und dann wieder so vieldeutig wie Hieroglyphen. Im Flur ihrer Londoner Schau liegt ein Fanzine aus, das man mitnehmen darf, aber nur, wenn man vorher ein Einpfundstück in das aufgerissene Maul einer kleinen Figur geworfen hat. Die gewichtige Reihe ihrer Gemälde unterbricht sie zudem mit Papierarbeiten und ausgreifenden Serien, die vollkommen unlesbar sind und vor der langen Fensterfront im Straßensaal in "Rebus - for Camden" ihren Höhepunkt finden, da hat sie eine lange, wie verklausulierte Suite aus Siebdrucken an eine Leine quer durch den Raum gehängt.

Lange hielt Amy Sillman ihre Leinwand rein von solchen kruden Erfindungen wie den "Mopers", kleine Kerlen, die im gezeichneten Universum der Künstlerin abhingen, lustlos und lethargisch, Ausgeburten des Ateliers. Doch die Kunst der Amy Sillman hat sich seit der Wahl von Donald Trump zum Präsidenten verändert - als die Mopers zuletzt zu sehen waren, drückten sie den Schock und das Entsetzen aus, wirkten deformiert, monströs, verzweifelt. Als nage die Zeitgeschichte an ihrer Anatomie. Inzwischen dürfen Typen wie die Mopers auch auf die Gemälde vordringen, als nehme sich Sillman nicht mehr die Zeit, ihre Befindlichkeiten zu sortieren, bevor sie nach Stift oder dem Pinsel greift.

Nur wenige können sich einen solchen Unterstrom an Gefühl und Leidenschaft leisten und zwar im vollen Bewusstsein dafür, dass die marktkompatible und elegante Kunstform "Malerei" letztlich immer auch dazu dient, wohlhabenden Sammlern alle paar Jahre die Wohnung mit brandheißer Kunstgeschichte neu zu tapezieren. Amy Sillman traut man zu, dass sie sogar das in den Prozess aufnimmt, jedenfalls weiß sie präzise, was sie am Leben hält. "Malerei ist scheußlich", sagt sie, langweilig, zu teuer. "Aber dann schaut man auf ein paar Bilder und muss sagen - komm. Das ist wirklich etwas von Wert." Amy Sillman hat die Größe und das Können, so etwas zu formulieren. Und sie hat auch ausreichend viele Mopers in sich, um das alles auszuhalten.

Amy Sillman. Landline. Camden Arts Center, London. Bis 6. Januar 2019.

© SZ vom 06.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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