Süddeutsche Zeitung

Kunst:Malen nach Zahlen

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Ein von einer KI "gemaltes" Bild bringt unseren Kunstbegriff ins Wanken. Bei einer Tagung in Zürich versuchten Künstler, Juristen und Forscher, ihn zu retten.

Von Bernd Graff

Eine künstliche Intelligenz (KI) malt das Porträt eines Mannes. Nun gut, sie malt es nicht, sie errechnet es. Zum materiellen Bild wird es erst, wenn man es ausdruckt. Und ein Porträt ist es auch nicht, denn den Mann, den es darstellt, gab es nie. Das Bild wurde von miteinander konkurrierenden Netzwerken (GAN) erschaffen auf Grundlage eines Datensets aus 15 000 tatsächlich einmal gemalten Porträts. Es mutet also nur an wie ein Gemälde des ausgehenden 19. Jahrhunderts.

So aber druckt es eine Künstlergruppe aus, signiert es mit einer Zeile aus dem Code, der die KI angetrieben hat und lässt es bei einer Auktion versteigern, wo es eine knappe halbe Million Dollar erbringt. All das geschah im Oktober letzten Jahres. Jetzt die Preisfrage: An wen geht das ersteigerte Geld?

An die Künstler, die das Bild einreichten?

An die KI, die es errechnet hat?

An den Code, der ihr zugrunde liegt?

An den Drucker, der das Porträt aus reiner Virtualität befreite?

An den Schöpfer der Netzwerke, Ian Goodfellow, ein Superhirn im Dienste Googles?

An die Betreiber des GAN, ohne die diese ganze schöpferische Bilderkonkurrenz mit all ihren Adepten und Emanationen ja nur theoretisch existierte? Ohne funktionierendes GAN gäbe es ja nicht einmal das Artefakt eines Gemäldes, das ja schon deswegen keines ist, weil es keinen Maler gibt. Oder - in Zeiten von KI - nun etwa doch?

Oder aber in diesem speziellen Fall an jenen findigen Burschen, der auf die Idee kam, Goodfellows GAN-Idee und das funktionierende Netzwerk zur Produktion altertümlich wirkender Porträts einzusetzen? Er schuf tatsächlich Hunderte ähnlicher Bilder, die er lange vor der spektakulären Auktion veröffentlichte. Dieser Teenie ist Robbie Barrat, ein Junge, der nichts mit dem Künstlerkollektiv zu tun hat, die das Bild einreichte. Dieses hat seinen unter eine Open-Source-Lizenz gestellten Algorithmus in "tiefer Dankbarkeit" übernommen, er wie auch der Erfinder von GAN seien "ein großer Einfluss gewesen". So die offizielle Ehrerbietung des Kollektivs, das klug genug war, dieses Bild nicht selber zu signieren.

Oder, schließlich, sollte das Auktionshaus Christie's, das dieses Bild für eine Auktion annahm, sich nicht selbst für den irren Kunstmarkt - Coup belohnen , aus dem Nichts eines Nicht-Gemäldes eine halbe Million realer Dollar zu schöpfen?

Schwierig bleibt es rauszufinden, was man anschließend mit dem ganzen KI-Zeug machen soll

Diese, unser altbacken analoges Verständnis von einem Werk und seinem Schöpfer erschütternden Fragen waren der Anlass für eine ebenso schwindelerregende wie vergnügliche Tagung an der Zürcher Hochschule der Künste Ende der vergangenen Woche.

Denn anscheinend erblüht die bildende Kunst gerade neu unter dem Einsatz künstlicher Intelligenzen. Erblüht wie die "Tulpen" auf dieser Seite. Sie entstammen den etwa 10 000 Pflanzenporträts einer "Mosaic Virus" genannten Bilderstaffel der britischen Künstlerin Anna Ridler, die samt und sonders keine "echten" Pflanzen abbilden, sondern die Rechenerfolge der bildgebenden Verfahren einer KI.

Tatsächlich hat Ridler ihrer KI aber nicht einfach nur gestattet, ihrer Tulpenfantasie freien Lauf zu lassen. In Videos zeigt sie, wie die besonderen Ausprägungen der jeweiligen Blütenblätter in Abhängigkeit vom aktuellen Wert der Kryptowährung Bitcoin entstehen. Schafft virtuelles, verschlüsseltes Geld jetzt also auch noch Schönheit?

Um ein wenig Licht der Aufklärung in die vielen Fragen um die immer spektakulär inszenierten Fremdintelligenz-Bilder zu bringen, nahmen an der Zürcher Tagung nicht nur Künstler, Museumsexperten und Akademieprofessoren teil, sondern natürlich auch Urheberrechtler. Denn unsere gewohnte Zuordnung von Werk, Autor und Besitzer gerät derart ins Wanken, wenn nun Maschinen wie selbstverständlich als Autoren auftreten, wenn sie kreativ werden und ihre eigenen unverwechselbaren Werke schaffen. Und dann auch gleich noch Tausende davon. Denn AI-Systeme schaffen ja immer unermüdlich.

Das Schwierige, so hat es der AI-Künstler Mario Klingemann einmal formuliert, sei es herauszufinden, was man anschließend mit dem ganzen Zeug machen soll. Man könne ja eben kein einzelnes Bild aus dem Strom reißen. Interessant sei es darum, den Strom selber, also die Permutation der Bilder zu zeigen. Nichts anderes als eine unabschließbare Serie dokumentiert ja auch die Arbeit von Anna Ridler. In Zürich wird Klingemanns Werk von Sabine Himmelsbach vorgestellt.

Die Direktorin des "Hauses der elektronischen Künste" in Basel beschreibt den jungen Mann, dessen Morph-Werk "Memories of Passersby I" Anfang März für 40 000 Pfund bei Sotheby's versteigert wurde, als den weiterhin souveränen Künstler, für den KI tatsächlich nur ein Werkzeug darstellt, das er beherrscht, nicht umgekehrt.

Himmelsbach verweist auch auf die Arbeit "Godmother (feat. Spawn)" von Holly Herndon & Jlin, zu der Herndon ihre Stimme beisteuert, die Musikerin Jlin ihre Elektrokompositionen und die selbstlernende KI "Spawn" (englisch: Ausgeburt") miteinander künstlich-artifiziell verbindet. Ein akustischer Horrortrip, aber doch einer, der ausstellt - so Herndon -, dass "Spawn immer noch ein Baby" sei. Eines allerdings, das "wir nicht zum Monster großziehen dürfen".

Wie aber sieht es denn nun mit den Rechten am Werk aus. Die Künstlerin Cornelia Sollfrank - Slogan: "Smart artists make machines do the work" (kluge Künstler lassen Maschinen arbeiten) -, die den seit 1997 im Netz vor sich hinwerkelnden "net.art generator" betreibt, berichtet gut gelaunt von ihrem Frust.

Sie hatte einmal eine Ausstellung mit ihren aus Werkvorlagen, etwa Warhols "Flowers", entstandenen Generator-Collagen geplant, die wegen Urheberrechtsbedenken abgeblasen wurde. Einer der Juristen erklärte ihr damals: "Das Gesetz entscheidet, was Kunst ist und was nicht." Ihr Unverständnis machte sie dann produktiv. Sollfrank promovierte zu aktuellen Auslegungen dieses Urheberrechts. Mit dem Ergebnis: Wenn vier Juristen im Saal sind, gibt es keine zwei Meinungen, die sich auch nur annähernd gleichen.

Von "gewisser Schöpfungshöhe" sprechen dann in Zürich die Urheberrechtsgelehrten, von "Originalität" und "individuellem Charakter" des Werks und der "Angewiesenheit auf ein analoges Medium", davon, dass "es aber vielleicht nicht reiche, wenn ein Mensch einen kreativen Prozess nur in Gang" setze. Man weiß um die "Kopien ohne Originale" und "erweiterte Originale", räumt aber ein, dass jene "Black Box", die die KI immer noch darstellt, ein großes juristisches Fragezeichen bleibt.

Übrigens hat Christie's dem Künstlerkollektiv die halbe Million Dollar für das KI- Porträts natürlich anstandslos überwiesen. - Natürlich?

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Quelle:
SZ vom 19.03.2019
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