Ausstellung Lois Weinberger in Wien:Sentimentale Feldarbeit

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Der Künstler als in der katholischen Ikonografie verwurzeltes Männchen. (Foto: Belvedere Wien/Johannes Stoll)

Kunst ist, wenn der Ahorn wie von selbst wächst. Das Wiener Belvedere feiert den österreichischen Künstler Lois Weinberger. Es ist seine letzte Ausstellung geworden.

Von Almuth Spiegler

Es ist ein der Sparsamkeit geschuldeter Zufall, aber inhaltlich ein äußerst interessanter: In derselben Ausstellungsarchitektur, in der gerade erst die große Wiener Ausstellung zum Beuys-Jahr stattfand, in denselben eingebauten Boxen in der weiten, lichten Halle im Belvedere 21, wo sein Erdtelefon stand, die Honigpumpe, die Hirschdenkmäler, die Vortragstafel, zog jetzt Lois Weinberger ein. Mit seinem grün bemalten Gesicht, seinen Golems aus Holz und Erde geformt, mit seinen liebevoll umfangenen Tierskeletten, seinen aphoristischen Plakatständern. 1947 in Tirol geboren, ging einer der international erfolgreichsten österreichischen Konzeptkünstler ganz klar durch seinen Beuys hindurch. Und auch ganz klar über ihn hinaus. Er positionierte sich seit den 1980er Jahren gar als eine Art Anti-Beuys.

Der Ökosophie des französischen Denkers Pierre-Félix Guattari folgend, zeigte sich auch Weinberger "des Baumes müde". Statt solche zu pflanzen, säte Weinberger Samen aus oder ließ, noch besser, allein Wind und Wildwuchs walten. Statt Ordnung und Hierarchie, statt des Strebens zu etwas Höherem - wuchernde Strukturen, breite Vielfalt und anarchische Vernetzungen.

Vielleicht sollte man im Skulpturengarten des Belvedere 21 beginnen, sich der Ausstellung zu nähern. Da steht die unlängst gepflanzte Beuys-Eiche. Da stehen die großen gemusterten PVC-Taschen, in denen Migranten oft ihr letztes Gut verwahren, schwer gefüllt mit Erde, in der jetzt wurzeln darf, was ihr über die Zeit zufliegt. Da steht der "Wild Cube", den Weinberger 1991 konzipiert und 2011 hier aufstellt hat: Ein mächtig langer, hoher Eisenkäfig, der ein Gehege bietet für all jene Pflanzen, die es hinein verweht. Ein kleiner Urwald ist schon zu bestaunen, eine Pappel bahnt sich langsam den Weg hinaus, Ahornbäume stecken ihre frischen grünen Blätter durch die Stäbe. Wilde Natur, geschützt von einem von uns vor uns? Oder wurde die Natur versperrt, weil nicht zu zähmen? Ohne diese Ambivalenzen unseres Naturverständnisses, das wir ohne kulturelle Brille nun einmal nicht ausbilden können, hat Weinberger seine Kunst nie gedacht, das machte seinen Zugang so gesellschaftspolitisch, so pathosfrei poetisch, so angenehm unmoralisch in einer Zeit, in der ohne missionarischen Überton angesichts der Klimakrise nichts mehr zu gehen scheint.

Die Ausstellung ist seine letzte - Weinberger ist 2020 überraschend gestorben

Machte? 2020 ist der neben Franz West wohl international erfolgreichste österreichische Künstler seiner Generation überraschend gestorben, nicht an Covid, an einem Herzinfarkt. Die Wiener Ausstellung muss sich somit die letzte nennen, die er in ihren Grundzügen noch konzipieren konnte, die Feinarbeit leisteten dann seine Frau Franziska, mit der er immer wieder auch künstlerisch kooperierte, gemeinsam mit Belvedere-Kurator Severin Dünser. Die rund 130 Werke sowie den Titel "Basics" wählte er selbst noch aus, wobei es ihm dabei weniger um eine Retrospektive ging, als um die Überlegung, der Stadt, in der er lebte, Dinge zu zeigen, die es von ihm noch nicht gesehen hatte.

Der Künstler mit Poetenbrille, grün bemaltem Gesicht und unter die Nase geklemmten Muschelbart. (Foto: Paris Tsitsos)

Trotzdem umfasst die so entstandene Zeitspanne Arbeiten aus immerhin 50 Jahren - Weinbergers letzte museale Ausstellung in Wien liegt schließlich schon 20 Jahre zurück. Der Überblick kann also durchaus als ein gültiger über sein Werk betrachtet werden. Sein philosophisch-künstlerischer Ansatz, den er prominent bei der documenta X vorgestellt hatte, wird hier auch in seiner beeindruckenden Konsequenz deutlich: Immer das Periphere, das Randständige, das Unscheinbare in den Fokus zu nehmen, ins Zentrum zu rücken, ihm dadurch gesellschaftspolitisches Gewicht zu verleihen.

Es war ein stillgelegtes Kasseler Bahngleis, das Weinberger damals, 1997, mit Neophyten aus Süd- und Südosteuropa besiedelte, also "eingeschleppten", invasiven Pflanzen, einer Metapher für Migrationsprozesse, die erst viele Jahre später an den Bahngleisen in Deutschland und Österreich zur realen Situation wurde. Bei seiner nächsten documenta-Einladung, zur Nummer XIV, riss er dann eine Wunde, eine tiefe Furche in den gepflegten Rasen der Karlsaue - und überließ diese der Spontanvegetation. Ein Konzept, das er mit unterschiedlichen Gewichtungen immer wieder praktiziert hatte. Mit von Weinbergers bescheidenen Interventionen derart geschärftem Blick, ist an Brachland seither nicht mehr achtlos vorbeizugehen, mit so gewecktem Bewusstsein, kann Ruderalvegetation nicht mehr reinen Gewissens Unkraut genannt werden. (Wobei das "Reine" Weinberger wohl schon wieder skeptisch hätte werden lassen.)

Auf dem "Trümmerfeld" liegen Glasscherben, Katzenmumie und Zündholzschachtel

Ein Herzstück der Wiener Ausstellung aber ist die zweite große Installation, die Weinberger für diese "documenta XIV" schuf, "Debris Field", Trümmerfeld. In langen Vitrinen sind etwa 1000 banale, seltsame, schaurige Artefakte präsentiert, die Weinberger bei einer archäologischen Exhumierung des Dachbodens seines 700 Jahre alten Elternhauses in Stams entnahm, nahe eines Klosters gelegen einst mitunter Pilgerherberge. Auch hier reihen sich die Relikte, zivilisatorische sind sie allemal, ohne äußerlich getroffene Wertung aneinander, Glasscherben und eine Katzenmumie, Zündholzschachteln und eine unheimliche Reihe einzelner Schuhe, pechschwarz, wie verkohlt. Eine sentimentale Feldarbeit - so bezeichnete Weinberger seine Kunst - des abgelegten und abgelegenen kulturellen Unbewussten, ein kleines Museum im Museum, von den in diesem, in dieser Ausstellung versammelten Installationen die überzeugendste.

Denn dass der Museumsraum nicht im Mittelpunkt von Weinbergers Interesse stand, war zwar eine Stärke. Dass er trotzdem nicht auf eigene Arbeiten für diesen verzichtete, wohl systemimmanent auch nicht verzichten konnte, allerdings eine Schwäche. Der gleich am Beginn der Schau aufgestellte kurze Stacheldrahtzaun, von dem im Wind eines Ventilators lustige bunte Plastikfetzchen wehen, wirkt wie aus einer Puppenstube, der Schwarm neongrün bemalter getrockneter Baumpilze, der wie an die Wände des Museums gepickt wirkt, alles andere als spontane Vegetation. Ein auf einem sorgfältig abgezirkelten Schotterfeld platzierter knorriger Strauch, in dem sich Schuhsohlen wie Strandgut verfangen zu haben scheinen, allzu konstruiert und plakativ in seinem Hybrid aus Mensch und Natur.

Sehr überzeugend dagegen funktionieren die ins Überdimensionale, ins Ikonische vergrößerten Fotografien, die ganze Wände füllen: Weinberger mit runder Poetenbrille, grün bemaltem Gesicht und unter die Nase geklemmten Muschelbart als nachdenklicher europäischer Wilder, als in der katholischen Ikonografie verwurzeltes grünes Männchen, "Green Man", so auch der Titel. Auf der Wand gegenüber Weinberger bei einer Aktion 1994, als er mit einer Gießkanne loszog, um der wüsten Bewachsung des ehemaligen Todesstreifens an der Berliner Mauer Wasser zu bringen, fast möchte man sagen Wasser zu reichen, so hingebungsvoll scheint er sich der Pflege des sonst so Unbeachteten zuzuwenden. Das sind starke Bilder, das sind künstlerische Gesten, die Kraft haben, im kollektiven Gedächtnis zu bleiben. Das ist der Trost, der mitschwingt bei dieser Ausstellung, die letztendlich von dem Zwiegespräch von Arbeiten im Innen und Außen lebt, und das Mal einer "letzten" tragen muss.

Lois Weinberger. Basics im Belvedere, Wien, bis 24. Oktober.

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