Kunst & Kopie:Unverfroren

Lesezeit: 3 Min.

In China werden gern illegale Nachbauten westlicher Produkte hergestellt. Diese Praxis ist auch auf dem Kunstmarkt üblich, wie die Künstlerin Wendy Taylor erfahren musste.

Von Alexander Menden

Wer vergangene Woche in Shanghai am Ufer des Flusses Huangpu entlangspazierte, sah an der Stelle, an der zehn Jahre lang eine auffällige Skulptur gestanden hatte, nur noch ein kreisrundes Blumenbeet. Eine Begrünungsmaßnahme mit heiklem Hintergrund: Bei dem in aller Eile entfernten Kunstwerk hatte es sich um eine unautorisierte Kopie gehandelt.

Alles hatte mit einer E-Mail begonnen, die ein Tourist der britischen Bildhauerin Wendy Taylor geschickt hatte. Angehängt daran war das Foto eines Kunstwerks, das er in Shanghai entdeckt hatte: Ein großer metallener Reifen, unterteilt in 24 Segmente, aus dessen Mitte ein langer Stachel in den Himmel ragt. Das Ganze ruht auf einem Dreifuß aus Kettengliedern, die wiederum in einem gemauerten, runden Sockel verankert sind. Taylor erkannte es sofort als eine ihrer eigenen Arbeiten mit dem Titel "Timepiece". Erstaunlich daran war, dass es sich bei "Timepiece" um ein denkmalgeschütztes Unikat handelt, das seit dem Jahr 1973 in der Nähe der Londoner Tower Bridge in den Docklands seinen Platz hat.

"Zuerst dachte ich, da hätte jemand einfach per Photoshop einen neuen Hintergrund eingefügt", so Taylor. "Aber dann sah ich es mir genauer an, und dachte, 'Oh Gott, das ist ja eine komplette Kopie!'" Nur der Winkel, in dem der Stachel der stilisierten Sonnenuhr nach oben zeigte, war etwas steiler als beim Original. Taylor war entsetzt: "Das Stück hat eine große persönliche Bedeutung für mich, es steht in den Docks, in denen meine Familie lange arbeitete", erklärt sie. Die Unverfrorenheit des Plagiats schockierte sie.

Nun ist es ein alltäglicher Vorgang, dass Nachbauten westlicher Produkte - Kleider, Luxusartikel, Technik - aus chinesischer Produktion entdeckt werden. Die Stadt Shenzen etwa ist bekannt dafür, dass man dort unlizenzierte Ersatzbauteile für nahezu jedes technische Gerät beziehen kann. Im vergangenen Oktober erst gab es einen besonders spektakulären Fall, als in China die nahezu baugleiche Kopie einer gerade erst entwickelten Maschine der schottischen Firma Pelamis Wave Power vorgestellt wurde. Bis auf die Farbe schien das Gerät, das die Energie von Meereswellen in Elektrizität umwandelt, mehr oder weniger identisch mit dem brandneuen britischen Produkt zu sein. Zwei Monate zuvor hatte der chinesische Vize-Premier die Fabrik der Firma besucht. Ein unmittelbarer Zusammenhang ist natürlich nicht zu beweisen.

Die Kunstproduktion macht nur einen vergleichsweise kleinen Prozentsatz dieses gigantischen Kopienmarktes aus. Dass man chinesische Kopien von Gemälden jeder Epoche in jeder Größe bei diversen chinesischen Anbietern übers Internet bestellen kann, ist bekannt. Der "Timepiece"-Fall wirkt allerdings besonders dreist, weil es sich um ein großformatiges Stück im öffentlichen Raum handelte. Einmalig ist dieser Vorgang aber keineswegs. 2013 etwa tauchten in China große Gummi-Enten auf, die eine bemerkenswerte Ähnlichkeit mit der berühmten "Rubber Duck" des holländischen Künstlers Florentijn Hofman aufwiesen. Diese Arbeit war im selben Jahr in Peking gezeigt worden.

Im Sommer 2015 beschwerte sich der Brite Anish Kapoor darüber, dass eine Kopie seiner berühmten, in Chicago stehenden Skulptur "Cloud Gate" im chinesischen Karamay aufgetaucht war. "Es scheint, als sei es heutzutage in China zulässig, die Kreativität anderer zu stehlen", sagte Kapoor damals. Er forderte die chinesischen Behörden auf, diese Art von Urheberrechtsverletzung zu unterbinden. Die Stadt Karamay wies die Vorwürfe mit dem Hinweis auf eine "zufällige Ähnlichkeit zurück": Kapoors Skulptur habe eine "Bohnenform", während ihr Kunstwerk eher wie eine "Ölblase" aussehe ...

Wendy Taylor wandte sich an die in Großbritannien bei Verletzungen des Urheberrechts zuständige Design and Copyrights Society, den chinesischen Attaché in London (von dem sie keine Antwort bekam) und an Tom Duke, den Beauftragten für die Wahrung geistigen Eigentums bei der britischen Botschaft in Peking. "Er informierte mich über mögliche rechtliche Schritte, die ich einleiten könnte", so Taylor. "Aber realistisch betrachtet waren sie alle unbezahlbar. Außerdem hatten sie in Anbetracht der bisherigen chinesischen Reaktionen auf Urheberrechtsklagen wenig Aussicht auf Erfolg."

1 / 1
(Foto: Niklas Halle'n/AFP)

Das Original von Wendy Taylors 1973 entstandener Skulptur "Timepiece" in London.

Die mittlerweile entfernte Kopie in Shanghai.

Wendy Taylor ist zufrieden mit der schnellen Reaktion auf ihre Beschwerde: Die Kopie ist fort

In der Zwischenzeit war in der Online-Zeitung Independent ein Artikel über das Shanghaier Plagiat erschienen. "Dieser Bericht und die sich daraus ergebende mediale Aufmerksamkeit waren anscheinend sehr effektiv", sagt Wendy Taylor. Der Daily Telegraph zitierte einen Sprecher der Stadtverwaltung von Shanghai, die Skulptur werde umgehend abgerissen, da es sich um die Kopie des Werkes einer britischen Künstlerin handele. Die "Timepiece"-Kopie wurde sichtdicht umzäunt. Einige Tage später beobachtete ein Korrespondent der Nachrichtenagentur AFP, wie Arbeiter das Plagiat entfernten und durch Blumen ersetzten.

Obwohl sie noch immer keinen direkten Kontakt mit den chinesischen Behörden gehabt hat, ist Wendy Taylor sehr zufrieden mit der überraschend schnellen Reaktion auf ihre Beschwerde. "Es scheint, als habe der Fall sogar einen Dominoeffekt gehabt", sagt die Künstlerin. "Auch andere Arbeiten in Shanghai werden offenbar gerade daraufhin untersucht, ob sie Plagiate sind." Tatsächlich wurde der AFP-Korrespondent Zeuge der Entfernung von zwei weiteren Plastiken im selben Park am Flussufer - einem sitzenden Lautenspieler und einer männlichen Figur, die ein Steuerrad umklammert hielt. Die eine war die Kopie einer Bronzestatue des schwedischen Künstlers Willy Gordon, die in Stockholm steht. Die andere wies eine verblüffende Ähnlichkeit mit dem Fischerdenkmal von Gloucester im amerikanischen Bundesstaat Massachusetts auf.

© SZ vom 10.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: