Süddeutsche Zeitung

Kunst und Corona:Das große Fressen

Kunst wird gerade wieder zu Rekordpreisen verkauft. Doch die Mechanismen des Markts haben sich verändert - nicht nur wegen der Pandemie.

Von Ingo Arend

"Es war eine schwierige Entscheidung. Aber die Sicherheit und die Gesundheit unserer Community gehen vor": So oder ähnlich lasen sich Mitte Dezember die Mitteilungen. Hatte die Art-Crowd im Herbst in Basel, Köln oder Miami noch enthusiastisch die Wiederkehr der Kunstmessen gefeiert, zwang sie das runderneuerte Virus Omikron erneut zum Rückzug.

Die herannahende fünfte Welle vor Augen cancelten kürzlich die Antiquitätenmessen Tefaf in Maastricht und die Brüsseler Brafa kurzerhand ihre Ausgaben für das Frühjahr 2022. Die zugespitzte pandemische Lage treibt den Kunstmarkt aber nicht zum letalen Kollaps, sondern in ein Paradox: Er spaltet sich, seine Protagonisten gleichen sich aber auch an.

Auf der einen Seite formiert sich eine sozialökologisch besorgte Fraktion. Immer mehr Aussteller sorgen sich um die ökologischen und psychischen Folgen ihrer manischen Mobilität. In Zukunft wollen sie lieber auf lokale Messen setzen.

Auch wenn die Branche von den Tugenden "Demut, Zusammenhalt und Verantwortungsbewusstsein", die Messe-Impresario Lorenzo Rudolf zu Beginn der Pandemie von seiner Branche gefordert hatte, noch weit entfernt ist - unter dem Druck der Krise scheinen sich die Sitten in diesem Haifischbecken sachte zu ändern.

In der Krise merkten die Händler, dass sie ihre Kunden auch ohne die teuren Messekojen erreichen

Wenn sich die Art Basel plötzlich auf einen 1,6 Millionen Dollar schweren "Solidarity Fund" für schwächere Galerien besinnt, oder die in Köln die staatlichen Corona-Hilfen als Preisnachlässe auf die Standgebühren an Galerien weitergibt. Wenn eine Messe wie in Miami mehr auf Galerien mit "spannenden Konzepten" setzt, scheint die überall grassierende Diskussion um eine neue Solidarität und die Rückbesinnung auf Inhalte selbst in der elegantesten Spielhölle des Kapitalismus ein Echo zu finden. Natürlich wollen die Messen damit das Überleben des Kunstmarktes überhaupt sichern. Mit den Worten "Das zeigt, dass Galerien enorm kollegial sein können" nutzte Art-Basel-Direktor Marc Spiegler die Entscheidung aber auch zur Imagepolitur eines verrufenen Instituts.

Auf der anderen Seite kapselt sich ein splendides Hochpreis-Areal digital ein. So sehr die Pandemie die Händler in Verzweiflung stürzte, so sehr bewies sie ihnen, dass auch ohne die überteuerte Kojen-Wirtschaft in Weiß an neue Klienten heranzukommen ist. Folgt man dem "Gallery Insights Report" des Online-Kunstmagazins Artsy brachte das Pandemie-Jahr 2020 vor allem die Erkenntnis, "die bei weitem beste virtuelle Verkaufstaktik" seien Videokonferenzen und private "Walkthroughs" mit Sammlern über Facetime oder ähnliche Apps gewesen.

Die Onlineauktionsapp "Fair Warning", die Loïc Gouzer, Ex-Direktor des Auktionshauses Christie's, 2020 entwickelte, ist ein weiteres Beispiel für die kreativen Notgeburten dieser Phase. In dieser Digitalsphäre profilieren sich neuerdings nämlich auch die Auktionshäuser. 2021 meldeten sie nach den pandemiebedingten Einbrüchen im Jahr zuvor wieder Umsatzrekorde. Das gilt nicht nur für die deutschen Häuser Lempertz in Köln, Grisebach in Berlin oder Ketterer in München.

Der Trend geht von den Galerien zu den Auktionshäusern und vom Analogen zum Digitalen

Mit Christie's, Sotheby's und Phillips erzielten auch die drei internationalen Flaggschiffe der Branche im zweiten Quartal einen Umsatzanstieg von 405 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Diese Erfolge sind der eine Teil des "seismic shift" (Vanity Fair) vom stationären Kunstmarkt zu den Auktionshäusern. Der andere ist die Wende zum Digitalen. Ihr Gesicht ist Noah Horowitz, der frühere Amerika-Chef der Art Basel, der im August vergangenen Jahres zu Sotheby's wechselte.

Zwar hatten sich auch die Galerien zu Pandemiebeginn dem digitalen Markt geöffnet, Zwirner in New York etwa mit Online-Viewing-Rooms auf seiner "Platform". Und die geschrumpfte Frieze New York oder die Art Basel Hongkong ebneten im Mai dann mit ihrem zusätzlichen Online-Angebot der "hybrid fair" den Weg, den inzwischen alle Messen mehr oder weniger entschlossen gegangen sind. Zur selben Zeit bot freilich auch Sotheby's Händlern sein "Gallery Network" an. Auf der gut frequentierten Website des Auktionshauses konnten sie ganze Ausstellungen präsentieren.

"Die Auktionshäuser drängen noch stärker in das Terrain der Händler. Noah kennt sie alle. Schlechte Nachrichten für Kunstmessen", schrieb die renommierte britische Kunstkritikerin Georgina Adam nach dem Bekanntwerden der Personalie auf Twitter. Nun hat das größte Auktionshaus einen gut vernetzten Ansprechpartner für diese lukrativen "hybrid sales". "Die internationale Vertriebskraft von Sotheby's ist viel größer als die jeder einzelnen Galerie", erklärte Horowitz.

Dass die scharf gezogenen Grenzen zwischen Galerien und Auktionshäusern verschwimmen, hatte der Einstieg letzterer in die Galerien-Domäne Privatverkäufe und Ausstellungsorganisation erahnen lassen. Bei Sotheby's begann das Experiment Ende der Neunzigerjahre. 2007 zog Rivale Christie's mit dem Erwerb der später aufgelösten Primärmarktgalerie Haunch of Venison nach. Den Zuwachs dieses Segments bei Sotheby's, Christie's und Phillips beziffert das Magazin Artnet für das Jahr 2020 nun auf 50 Prozent. Doch auch die Komplementärbewegung gibt es: Der Berliner Galerist Johann König veranstaltet nicht nur eine eigene Messe. Wenn er dort neben den eigenen Künstlerinnen und Künstlern auch Einlieferungen Dritter verkauft, steigt er in den Sekundärmarkt ein. "Blobification" nennen Beobachter diese wechselseitige "Verschlingung" der Geschäftsfelder von Galerien, Messen und Auktionshäusern.

Die Stärkeren sind dabei in jedem Fall die Auktionshäuser. Als erstes der internationalen Häuser wird Sotheby's künftig auch von Deutschland aus Auktionen abhalten. Seinen vier europäischen Standorten hat es im Sommer mit Köln ein fünftes "selling centre" hinzugefügt. Mit Alexander Klabin leitet zudem seit Sommer 2020 ein Hedge-Fonds-Manager die neue Sektion "Sotheby's Financial Servives". Sie offeriert weniger finanzstarken Kunden maßgeschneiderte Kreditportfolios. Die Art Basel wird sich anstrengen müssen, wenn sie mit diesen digitalen Rundumdienstleistern gleichziehen will. An dieser Machtverschiebung dürften auch die Erfolge analoger Events wie der Berlin-Münchner Messe "Paper Positions", Regionalmessen wie der Art Karlsruhe oder Kleinmessen in Luxemburg, Rotterdam oder Antwerpen nichts ändern.

Ob die Frieze mit ihrer im Herbst geplanten Messe in Seoul reüssiert, dem jüngsten Fiebertraum des Marktes, steht ebenso in den Sternen wie die Kooperation der Art Basel mit der Singapurer Messe S.E.A. Focus im Januar. Schließlich vermissten selbst die Gäste der letzten Art Basel, trotz der durch die Pandemie angestauten "Überliquidität", die präpandemische Euphorie. Zudem setzten fast alle Messen mit einer Schwemme an konventioneller Malerei und Skulptur auf das alte Adenauer-Motto: "Keine Experimente". Auf Dauer lässt sich die gute alte Kunstmesse so kaum ins 21. Jahrhundert hieven. Als Kulisse zur symbolischen Feier der "unverzichtbaren" physischen Begegnung mag sie taugen. Doch den Kunstmarkt der Zukunft regiert die körperlose Macht des Online-Selling.

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