Süddeutsche Zeitung

Ausstellung Jean-Michel Basquiat:Ein rundherum positives Bild

Jean-Michel Basquiats Familie kuratiert, und die Ausstellung zum Werk des Künstlers in New York ist ein Renner. Sogar Kindervideos werden gezeigt und ganz besondere Kulissen.

Von Christian Zaschke

Eine freundliche Interpretation wäre, dass es den Machern von "Jean-Michel Basquiat: King Pleasure" einfach etwas peinlich ist, dass die Ausstellung so irre gut läuft. Konnte doch niemand ahnen, dass diese Show der Hit des New Yorker Kunstfrühlings werden würde, und nun sind eben alle - könnte ja sein - so überwältigt, dass sie vornehm schweigen. Auch eineinhalb Monate nach der Eröffnung sind die Wochenenden oft ausverkauft, und an jedem beliebigen Wochentag bilden sich Schlangen, obwohl die Tickets wegen des immensen Andrangs für eine bestimmte Uhrzeit gebucht werden müssen. Wenn man daher mal freundlich fragt, wie viele Menschen die Ausstellung bisher besucht haben, erhält man die rundheraus unglaubwürdige Antwort: Dazu lägen leider keine Zahlen vor.

Das Ticket kostet am Wochenende 45 Dollar

Es ist fest davon auszugehen, dass darüber sehr exakte Zahlen vorliegen, dass aber zugleich die Ausstellungsmenschen keinerlei Interesse daran haben, dass jemand ausrechnet, wie viel Geld sie bereits umgesetzt haben. Das wiederum mag daran liegen, dass sie bei den Eintrittspreisen sowas von in die Vollen gegangen sind, dass man selbst in New York zweimal schlucken muss. 45 Dollar kostet das Ticket am Wochenende, 35 Dollar unter der Woche. Wer das Anstehen vermeiden will, hat die Möglichkeit, 65 Dollar hinzublättern und lächelnd an der Schlange vorbeizuspazieren.

Vorab gesagt: Die Ausstellung ist dieses Geld wert, sie ist fantastisch. Aber wenn man bedenkt, dass das MoMA oder das Metropolitan Museum oft Art 25 Dollar dafür verlangen, dass man eine schier unendliche Zahl an Meisterwerken betrachten kann, ist das schon ein bisschen happig. Dann wiederum: Jean-Michel Basquiat ist nicht nur in seiner Heimatstadt New York angesagter denn je. Allein im vergangenen Jahr haben drei seiner Bilder auf Auktionen mehr als 150 Millionen Dollar eingebracht.

Das Besondere an der aktuellen Ausstellung ist, dass sie von Basquiats Schwestern kuratiert wurde, Lisane Basquiat und Jeanine Heríveaux. Beide verweisen ausdrücklich darauf, dass sie keine Expertinnen für Kunst seien, aber eben Expertinnen für das Leben des Bruders und der Familie. Die Schwestern verwalten den Nachlass gemeinsam mit der Stiefmutter Nora Fitzpatrick.

Gezeigt werden mehr als 200 Arbeiten Basquiats, von denen die weitaus meisten noch nie öffentlich zu sehen waren. Gezeigt werden aber eben auch allerlei Memorabilia aus Basqiuats Leben, frühe Zeichnungen, Videos aus Kindheitstagen, und nicht zuletzt wurden das Wohnzimmer der Familie und Basquiats Atelier in der Great Jones Street mit der originalen Einrichtung nachgebaut. Das mag etwas kitschig klingen, ist aber im Rahmen dieser Art von Ausstellung, die mehr Erlebnis als Kunstschau ist, stimmig.

In einer gewöhnlichen Ausstellung schaut man dieses Objekt an, dann jenes, vielleicht läuft man zurück und vergleicht, man bewegt sich hin und her. Das ist hier nicht vorgesehen. Am Eingang erfährt man, dass dies eine Einbahnstraße sei. Man solle sich unbedingt alle Zeit der Welt lassen, aber bitte nicht zurück in Räume gehen, die man bereits besucht hat. Das liegt natürlich daran, dass von hinten ein beständiger Strom an Menschen nachdrängt. Man kennt das von fürchterlichen Touristenattraktionen wie Madame Tussauds. Man kennt es aber auch von ernsthaften Orten wie dem 9/11-Museum.

Die Familie will den Nachlass pflegen - und daran verdienen

Nun ist es aber so, dass das zum einen nicht sonderlich streng kontrolliert wird und zum anderen die Veranstalter nicht so gierig geworden wären, dass sie zu viele Menschen in die Räume pressen. Die Schlangen am Eingang entstehen dadurch, dass die Ordner tatsächlich abwarten, wie schnell oder langsam sich die Menschen durch die Ausstellung bewegen und entsprechend mehr oder weniger Besucher reinlassen.

Puristen dürften dieser Art der Präsentation des Werks eines Künstlers skeptisch gegenüberstehen. Zu viele Videos, zu viel Firlefanz. Es wäre jedoch falsch zu sagen, dass diese Ausstellung Basquiat als Künstler banalisiert. Man muss sich das Ganze vielleicht vorstellen wie eine Rowohlt-Monografie, die ins Anschauliche übersetzt wurde. Hier und da ein wenig betulich, aber doch von großem Wissen geprägt, dem Wichtigen ebenso zugeneigt wie dem erfreulich Abseitigen.

Keines der gezeigten Werke steht zum Verkauf. Die Familie will den Nachlass behalten und pflegen, und das ist vielleicht der wichtigste Aspekt dieser Ausstellung. Es ist glaubwürdig, dass es sich hier, obwohl die Schwestern, die Familie, mit Sicherheit sehr gut mit dieser Show verdienen werden, nicht um einen Ausverkauf handelt. Wenn die Familie auf einen Schlag sehr reich werden wollte, müsste sie nur das 12,5 Meter breite Gemälde "Nu Nile" verkaufen, das Basquiat für den Nachtclub Palladium gemalt hat, in dem er gern feierte. Es würde Dutzende Millionen einbringen. Man sieht es am Ende des Rundgangs in einem Nachbau des Palladiums, und man könnte es eine ganze Stunde lang anschauen, vielleicht zwei. Praktischerweise stehen in diesem Nachbau einige bequeme Sofas herum, und es läuft Discomusik der Achtzigerjahre. Es ist der einzige Ort der Ausstellung, der zum Verweilen einlädt.

Basquiat wurde 1960 geboren und starb 1988 im Alter von 27 Jahren an einer Überdosis Heroin. Mit keinem Wort erwähnt die Ausstellung die Drogenprobleme. Die Schwestern haben sich dazu entschlossen, ein rundheraus positives Bild ihres Bruders zu zeichnen. Das ist nachvollziehbar, aber man sollte es wissen, wenn man die Ausstellung besucht. Dies ist keine kritische Hinterfragung von Autor und Werk, sondern zunächst und zuvörderst eine Huldigung. Das ist aber, so erstaunlich das klingen mag, kein allzu großes Problem, denn dank der familiären Perspektive erleben die Besucher Jean-Michel Basquiat aus einer Nähe wie wohl niemals zuvor.

Jean-Michel Basquiat: King Pleasure im Starrett-Lehigh Building, 601 West 26th Street (Eingang auf 27th Street), New York, NY 10001, noch bis September 2022.

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