Kunst im Senegal:Selfie mit Thronsessel

Biennale Dakar

Die Kunstbiennale in Dakar kostet keinen Eintritt. Das bringt den Kurator Simon Njami einem seiner Ziele näher: Er will die Kunst "dem Dunstkreis der Eliten entziehen".

(Foto: Jonathan Fischer)

Die Biennale in Dakar zeigt Kunst aus Afrika und der afrikanischen Diaspora - und setzt auf die Wiederverzauberung der modernen Welt.

Von Jonathan Fischer

Es war ein Fehler, als erstes die National-Galerie des Senegal zu besuchen. Hier, in Dakars Regierungsviertel Plateau, zwischen blühenden Bougainville-Bäumen und Kolonial-Architektur trifft man auf pastorale afrikanische Stilleben, lehmfarbene Akte, Banalitäten für das bourgeoise afrikanische Wohnzimmer. Nein, dann doch lieber ein Besuch im schmiedeeisernen Pavillon des benachbarten Kermel-Marktes: Hier erzählen die Stände, die frischen Fisch, aus Europa importierte Äpfel und typisch afrikanische Wachsstoffe anbieten, spannendere Geschichten über das postkoloniale Afrika. Jeder Spaziergang durch Dakar bringt die Frage mit sich: Ist das womöglich Kunst? Oder doch nur ein Zufalls-Arrangement von buntem Plastikmüll? Die afrikanische Großstadt ist eine große sinnliche Verwirrung. Überall die Zurufe fliegender Händler: "Pssst, mon ami", Gebetsteppiche, Plastikuhren, Mini-Baobabs und Erdnüsse.

Die Ausstellungsorte der Kunstbiennale Dak'Art sind nicht leicht zu finden. Im Organisationszentrum stapft man auf der Suche nach dem angeblich bereitliegenden Journalisten-Pass von einem Büro ins nächste, am Ende ist niemand zuständig. Senegalesische Bürokratie. Sie legt der größten und wichtigsten Schau zeitgenössischer Kunst in Afrika, immer noch Steine in den Weg, in der Vergangenheit hat das dazu geführt, dass Künstler ihre Werke und Kuratoren ihr Gehalt nicht bekamen.

Doch dann tritt unverhofft Simon Njami, in diesem Jahr Kurator der Biennale, aus einer der Bürotüren. Und gibt zu verstehen, dass er Ausreden wie "wir sind doch hier in Afrika" schlichtweg nicht akzeptiere: "In vielen afrikanischen Köpfen lebt die Überzeugung, dass bestimmte Dinge für sie nicht erreichbar sind - und dagegen kämpfe ich." Njami, grauer Anzug, schwarze Sonnenbrille, versteht sich als Trickster, Vermittler zwischen den Welten. Es ist nicht seine Schuld, dass die rund 200 über die gesamte Stadt verteilten Off-Ausstellungen nach dem Flohmarktprinzip und ohne Auswahlverfahren laufen.

Für die Hauptausstellung hat der Kurator einen idealen Ort gefunden: den leeren Justizpalast

Was er aber in der offiziellen Show in Dakar zeige, sagt er, würde er auch überall sonst auf der Welt zeigen. Er ist als Kind kamerunischer Eltern in Lausanne aufgewachsen, hat in Paris studiert, den ersten Afrika-Pavillon der Biennale in Venedig gestaltet und zuletzt mit Ausstellungen wie "Die göttliche Komödie" im Frankfurter Museum für moderne Kunst brilliert. Wenn es darum geht, aus afrikanischer Perspektive in die eurozentrische Kunstblase zu stechen - dann ist er der richtige.

Für die Hauptausstellung der Dak'Art hat er einen spektakulären Ort gefunden: Die Ruine des alten Justizpalastes. Eine verwunschene Steinkiste, die seit zehn Jahren am südlichsten Zipfel Dakars unter einer dicken Schicht roten Staubes vor sich hin rottet. Rundherum grasen Ziegen. Im Hof eines unverputzten Nachbarhauses rostet ein Cadillac vor sich hin. Nur ein Busbahnhof lockt ab und zu Menschen in diese abgelegene Ecke Dakars. Nun hat Njami das Geisterschloss für die Kunst geöffnet, junge Künstler aus Afrika und der Diaspora eingeladen. Gut, dass es keinen Eintritt kostet: So geht Njamis Konzept auf, die Kunst dem Dunstkreis einer Elite zu entziehen. Taxifahrer, Jugendliche, Familien mit Kindern nehmen die Stufen hinauf zu den blau gestrichenen Türen. Darüber prangt eine Gedichtzeile von Leopold Senghor. Der erste Präsident Senegals, Mitbegründer der "Négritude", hat mit der "Stadt im blauen Tageslicht" den Optimismus des jungen unabhängigen Afrika beschworen.

"Ich sehe die Entzauberung der Welt als den schlimmsten Nebeneffekt des Fortschritts", erklärt Simon Njami. Das Biennale-Motto lautet "Reenchantements". Wiederverzauberung. "Ursprünglich sollte der Fortschritt einmal den Menschen dienen, aber nun dient er nur noch sich selbst". Das ist kein platter Kulturpessimismus - sondern spiegelt einen intellektuellen Diskurs, der Afrikas Ernüchterung 60 Jahre nach der Unabhängigkeit auch auf die Unzulänglichkeit westlich-materialistischer Ideen zurückführt. Kann die Konsum-Kultur diesen Kontinent wirklich voranbringen? Oder hat nur die Spiritualität, das gemeinsame Lachen, Reden, Kämpfen die Kraft, den Exodus junger Afrikaner "mit diesen verdammten Booten" aufzuhalten?

Njami sitzt, einen Laptop auf dem Schoß, im baumbestandenen Lichthof des alten Justizpalastes. Die Aufschriften der zahllosen Zimmer und Säle erinnern an die ehemalige Funktion des Gebäudes: Oberster Gerichtshof. Justizverwaltung. Gefängnis. Staubige Fenster und rissige Kachelwänden geben den Installationen ein geisterhaftes Flair. "Alchemisten" nennt Njami die Künstler. Sie allein hätten die Gabe, die verborgene Wildheit der Welt, ihre Magie für alle sichtbar zu machen.

Der Ägypter Nabil Boutros etwa: Seine Wolke aus aufgeblasenen Plastiktüten hängt unter der Decke wie eine Erinnerung an die nebligen Diskursblasen, die zwischen uns und der direkten Erfahrung des Sonnenlichts stehen. Mythisch-subversiv auch Lavar Monroes überlebensgroßer Don Quijote. Pferd und Reiter bestehen aus Pappe und Holzabfällen. Eine listige Verkörperung des Kampfes gegen die Windmühlen der Kunstproduktion?

"Kunst wird im Westen vor allem konsumiert", sagt Njami. "Der Galerist erklärt dem Künstler aus welcher Richtung der Wind weht, und der hat die Wahl, mitzuspielen oder seinen Geldgeber zu verlassen." Spirituelle Kraft aber lasse sich nicht planen. Und erst recht nicht erklären. Und so leben die stärksten Werke von ihrer unmittelbaren Sinnlichkeit: Etwa der Steinschleuderwald des in Frankreich lebenden Immigrantensohns Kader Attia. Die primitiven Waffen wachsen aus verzweigten Baustahlverstrebungen, Wurzelgeflechte des Widerstands, inspiriert von der Intifada in Palästina und den Aufständen des arabischen Frühlings. In einem anderen Saal steht ein Thronsessel mit goldenen Schwingen, eine Kulisse der Selbstherrlichkeit.

Wirkt nicht gerade das alte afrikanische Kunstverständnis heute aktueller denn je?

Trotz Sperrkordel wird er immer wieder als Selfie-Motiv genutzt: Gibt es ein besseres Gefühl, als auf die andere Seite der Macht zu wechseln? Nebenan drängen sich auf mehreren Tischen Hunderte von Holzfiguren: Die mit Zeitungsausschnitten beklebten Holz-Figuren des Nigerianers Abdulrazaq Awofeso sind nur grob geschnitzt - ein "work in progress" - und was umfällt, bleibt liegen. Die Großstadt als Gemeinschaft im ständigen Umbruch.

Die Dimension der Gemeinschaft ist Njamis ureigenes Anliegen: Wirkt nicht gerade das überlieferte afrikanische Kunstverständnis, in dem Tanz, Theater, visuelle Zeichen und Musik in einem größeren sozialen Kontext zusammenspielen, heute aktueller denn je? Kunst - von Beuys Filz-Installationen bis zum Video einer Blutwaschung der Tunesierin Héla Ammar - verkörpere zwar eine universale Spiritualität. Und doch gebe es einen wesentlichen Unterschied zwischen afrikanischen und westlichen Künstlern: "Niemand kann sich in Afrika seinen familiären Bindungen entziehen. Es geht niemals nur um dich." Ein Familienessen absagen, weil man gerade von der Muse geritten wird? Kein Geld spenden, wenn ein Cousin Medizin braucht? Unmöglich!

Vieles im Senegal stammt aus Ostasien: China, Vietnam, Korea. Auch das zeigt die Kunst.

Emigration, Immigration, das Eigene und das Fremde. Das Motiv zieht sich wie ein roter Faden durch die "Wiederverzauberungen". So hat Francois-Xavier Gbré eine Leuchttafel, wie sie sonst Restaurants bewirbt, mit chinesischen Schriftzeichen bestückt: "Ich bin Afrikaner". Ja, das Dakar überragende Monument der afrikanischen Renaissance stammt aus Korea, der Reis auf dem Markt aus Vietnam, viele der kleinen Motorräder aus China. In Alexis Peskines Video-Inszenierung sind schwarze Straßenverkäufer in Paris die Helden, Emigranten aus Westafrika. Wie Models tragen sie ihre goldenen Eiffelturm-Repliken als Kränze um den Kopf: Dornenkrone oder Anspielung auf die amerikanische Freiheitsstatue? Spielerisch stellt auch der Nigerianer Folakunle Oshun die Frage nach dem Eigenen: Seine blaubemalten, an UN-Helme erinnernden Kochtöpfe hat er vor einer Wand von Reissäcken aufgereiht. Ihre Aufschrift: UNJ für "United Nations of Jollof ". Verschiedene afrikanische Nationalitäten reklamieren das ursprüngliche Rezept für roten Jollof-Reis für sich, in sozialen Netzwerken wird endlos über dessen "richtige" Zubereitung gestritten.

Solche Diskussionen sind Njami zuwider: "Ich verachte die Idee der Authentizität. Sie begrenzt unseren Horizont." Ob Deutschland, Frankreich oder ein afrikanisches Land: Die Hybridisierung, der Austausch mit anderen Kulturen, habe schon lange vor der Kolonialzeit begonnen. Ein Blick vor die Türen der Ausstellungshalle bestätigt Njami: Ob Wolof-HipHop aus vorbeifahrenden Taxis, oder die am Strand schwitzenden Jugendlichen, die Musikvideo-Posen und traditionellen Ringkampf trainieren: In Dakar geht es wie überall in Afrika vor allem um den richtigen Mix.

Ein Besuch im Freiluft-Atelier von Issa Samb alias Joe Ouakam, den Njami als ersten modernen Künstler Afrikas bezeichnet, verläuft denn auch anders als erwartet: Free Jazz quäkt aus einem Recorder. Zwischen Baobab und Blätterhaufen wachsen Stühle übereinander zum Himmel. Eine Runde älterer Herren sitzt schweigend zusammen, während Joe Ouakam, weißer Bart, Baskenmütze, die drahtige Figur aufrecht wie ein König, in geraden Linien seinen Hof abschreitet: "Geh ihm aus dem Weg", erklärt sein Assistent, und legt den Baobab-Samen zurück, den man gerade mit einer unachtsamen Fußbewegung zur Seite schob. "Er erhält gerade eine Botschaft". Nebenan rattert der Kran einer der vielen Hochhaus-Baustellen von Dakar.

"Reenchantments", Dakar, bis zum 2. Juni

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