Süddeutsche Zeitung

Kunst:Gotik Chaotik

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Das Neue Museum in Nürnberg richtet Olaf Metzel eine Werkschau aus, in München wird seine umstrittene Skulptur "Türkischer Honig" gezeigt. Die Probleme der Welt geht Metzel mit der Säge an.

Von Gottfried Knapp

Anders als die jahrtausendealte Kunst der Malerei, die vom modernen Ausstellungsbetrieb schon mehrfach für tot erklärt, aber kurz nach ihrer Beerdigung von den Leichenrednern wieder als quicklebendiges Medium entdeckt worden ist, hat die Bildhauerei nach den Weltkriegen nie mehr ihre angestammte zentrale Rolle im Kunstgeschehen spielen können. Nur noch ganz wenige Ausstellungsinstitute fühlen sich heute dieser Urform des bildnerischen Schaffens verpflichtet. Um in Deutschland überleben zu können, müssen sich Bildhauer den Zwängen der Kunst-am-Bau-Wettbewerbe unterwerfen. Dass dabei auch Bedeutendes entstehen kann, ist derzeit in einem kleinen Raum des Neuen Museums in Nürnberg zu erleben. Die dort präsentierten winzigen Wettbewerbs-Modelle von Herbert Peters, Joachim Bandau, Ernst Hermanns, Alf Lechner, Rudolf Wachter, Leo Kornbrust und Hermann Kleinknecht geben eine Ahnung von den Ausdrucksmöglichkeiten dreidimensionaler Gebilde. Doch nur etwa die Hälfte dieser Entwürfe ist im öffentlichen Raum verwirklicht worden.

Dieser Bildhauer sägt und haut den Block nicht - sondern er zerhaut und zersägt alle Formen

Wie man sich als Bildhauer gegen die vom Ausstellungsbetrieb verhängten brutalen Einschränkungen wehren kann, zeigt die Ausstellung, die der Bildhauer Olaf Metzel in unmittelbarer Nachbarschaft, nämlich im großen Sonderausstellungsraum und im Foyer des Neuen Museums, aufgebaut hat. Um Metzels bildhauerische Arbeiten zu charakterisieren, könnte man vereinfachend sagen: Er haut oder sägt die plastischen Formen, die er präsentieren will, nicht, wie viele seiner Kollegen, aus rohen Blöcken heraus, nein er zerhaut und zersägt bestehende Formen, um etwas zu schaffen, was durch seine irritierende Präsenz die einen zum Denken, die andern zum Schimpfen anregt. Als er 2006 zur Fußballweltmeisterschaft in Nürnberg eine der touristischen Hauptattraktionen der Stadt, das gotische Meisterwerk des Schönen Brunnens, für ein paar Wochen in einem dreißig Meter hohen Chaosgebilde aus zertrümmerten Fußballtoren, geknickten Stadionsitzreihen und darübergestülpten Drehkreuzen verschwinden ließ, konnte er sich des Zorns der Passanten sicher sein. Man konnte seine schaurig heutige Überformung eines bedeutenden alten Kulturmonuments aber auch als bildnerisch treffende Antwort auf die latente Brutalität von Hooligans und auf die Hysterie, mit der die breite Öffentlichkeit auf Fußballereignisse reagiert, empfinden. Ein kleinerer Nachbau dieses Trümmerhaufens, der aussieht, als hätte der Künstler Pressebilder von demolierten Stadien nachgeformt, stellt sich jetzt im Museum den Besuchern in den Weg, die sich im großen Ausstellungssaal mit Metzels Werk beschäftigen wollen.

Wie intensiv sich der Künstler über Jahrzehnte hinweg mit den Problemen unserer Zeit, aber auch mit den Abbildungen dieser Probleme, die von den Medien in Umlauf gebracht werden, beschäftigt hat, lässt eine ganze Gruppe von Objekten erahnen. Im Jahr 1988 hat Metzel aus Hunderten Originaldruckmatrizen der italienischen Zeitung La Repubblica ein weit übermannshohes, sternförmig den Raum in Beschlag nehmendes Monument zusammengenagelt. Er hat die riesigen Aluminiumplatten, auf denen die Buchstaben der Texte und die Grafikelemente der Werbung plastisch aufgeschweißt sind, teilweise gequetscht oder angesägt. So ist eine Skulptur entstanden, die mit ihren spiegelverkehrten Botschaften, mit ihrer engen Zeit- und Ortsbezogenheit und ihrem schwer entzifferbaren Durcheinander von politischen, kulturellen und kommerziellen Nachrichten die Machenschaften und Ansprüche der Druckmedien drastisch ironisiert. Ja sie lässt sie ins Absurde hinüberspielen. Mit dem geliehenen Titel "Il Balletto della Crisi", der sich ursprünglich auf die von den Zeitungen kommentierten häufigen Regierungswechsel in Italien bezog, hat der Bildhauer seiner De-Konstruktion eine zusätzliche Deutungsmöglichkeit eröffnet.

Was das Adjektiv "deutsch" hier besagen soll, müssen Besucher sich selber zusammenreimen

Wie Metzel heute plastisch auf die von den Medien überlieferten Weltprobleme reagiert, zeigen mehrere Werke recht anschaulich. Er hat Zeitungs- und Illustriertenausschnitte, die bestimmten Themen gewidmet sind, auf dünne Metallplatten stark vergrößert drucken lassen und die ausladenden Bleche dann so zusammengestaucht und ineinandergewuchtet, dass die mehrere Meter großen, zentnerschweren Gebilde wie riesige Papierknäuel illusionistisch glaubwürdig auf dem Boden herumliegen oder an den Wänden hängen können. Die katastrophalen humanen Zustände in der von Flüchtlingen gestürmten spanischen Exklave Melilla oder die blutigen Unruhen auf dem Maidan in Kiew haben auf diese Weise ein Erinnerungsmal im Museum bekommen. Und mit den mächtigen Wellblechwänden, die Metzel unter dem programmatischen Titel "Dermaßen regiert zu werden" in Nürnberg mit riesig vergrößerten, fragmentierten Presseverlautbarungen, Firmenlogos, Werbesprüchen und Mauerbildern behängt hat, weitet er das Spektrum seines enttarnenden Zur-Schaustellens auf weitere Bereiche des aktuellen Daseins, von denen man sich als Zeitgenosse nicht "regieren" lassen sollte. Die "Deutsche Kiste" schließlich, die der Nürnberger Ausstellung ihren Namen gab, hat äußerlich die Form feiner Pralinen- oder Eierschachteln. Sie ist aber aus rostigen Stahlgittern und geborstenen Betonwänden zusammengesetzt, sieht also aus wie eine Konstruktion, die nach mehreren schweren Bauunfällen aufgegeben worden ist. Was das Adjektiv "deutsch" in diesem Fall besagen soll, kann sich jeder Besucher selber aussuchen.

Dass Olaf Metzel seit ein paar Jahren auch auf bildhauerisch traditionelle Weise nach Ausdruck sucht, kann er derzeit als Gast in der Neuen Pinakothek in München zwischen den klassisch komponierten Gemälden von Hans von Marées beweisen. Seine expressiv realistischen Porträtköpfe lebender Zeitgenossen und die naturalistisch kühl geformte Aktfigur einer Frau mit Schleier kommunizieren auf vielfältige Weise mit den stilisierten Figuren auf den Bildern des bewunderten Malers. Ja man könnte sogar die unfreiwilligen Risse in den von Marées hingepinselten Farbmassen mit den Kerben in den Skulpturen vergleichen. Hat Metzel nach seinen vielen bildnerischen Weltbeschimpfungen also zum Ursprung des skulpturalen Gestaltens zurückgefunden? Olaf Metzel.

Deutsche Kiste im Neuen Museum Nürnberg bis 14. Februar. Katalog 22 Euro. Olaf Metzel - Hans von Marées . Eine Annäherung in der Neuen Pinakothek München bis 22. Februar.

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SZ vom 03.12.2015
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