Süddeutsche Zeitung

Kunst:Gattung und Geschlecht

In Düsseldorf ist Angelika Kauffmann zu erleben, die berühmteste Malerin des Klassizismus, die den Ausstellungsuntertitel als "Powerfrau" und "Influencerin" gar nicht nötig hat.

Von Johan Schloemann

Eine junge Frau steht am Scheideweg. Aber nicht wie die meisten ihrer Zeitgenossinnen damals zwischen Jungfernschaft und Ehe. Sondern zwischen einer Karriere als Sopranistin oder als Malerin. Es ist das Jahr 1757, ihre Mutter ist gerade gestorben. Angelika Kauffmann ist sechzehn Jahre alt. Sie entscheidet sich mutig für die Malerei, eine professionelle Musiklaufbahn hakt sie ab. Sie hat bisher in Graubünden, am Comer See und in Vorarlberg gewohnt, jetzt macht sie sich mit ihrem Vater, einem unbedeutenden Maler, nach Italien und dann nach London auf - und wird die berühmteste Porträtmalerin ihrer Epoche. Und zwar auch im Vergleich zu den männlichen Kollegen, das muss in einer Zeit der Relativierung weiblicher Leistungen dazugesagt werden.

35 Jahre später - Angelika Kauffmann residiert schon länger in einem Palazzo an der Spanischen Treppe in Rom, wo sie arbeitet und Salon hält - erinnert sie sich an ihre Lebensentscheidung und malt ihr "Selbstbildnis am Scheideweg zwischen Musik und Malerei", das jetzt in einer sehenswerten Ausstellung über sie im Düsseldorfer Kunstpalast hängt. Beide Künste sind dort als Frauenfiguren personifiziert, Kauffmann steht dazwischen, auf dem Weg zum Ruhm - von ferne könnte man meinen, hier würden ganz manierlich drei Grazien oder Tugenden gezeigt, aber dann erkennt man, dass die Künstlerin sich selbst unerhörterweise an die Stelle des Herkules gesetzt hat, der sonst am Scheideweg zwischen Tugend und Laster steht. Also des männlichen Helden schlechthin.

Der Untertitel der Ausstellung, der sagt, es handele sich hier um eine "Powerfrau" und "Influencerin", ist natürlich unglaublich albern. Angelika Kaufmann hat keine Youtube-Videos gedreht und kein Aerobic-Studio geleitet. Sie war eine Meisterin der Empfindsamkeit und des Klassizismus, dessen Propheten Johann Joachim Winckelmann sie 1764 in Rom so feinsinnig porträtierte, dass es sie in ganz Europa bekannt machte. Auch muss Angelika Kauffmann, die mit Goethe und dem Bildhauer Canova befreundet war, nicht neu entdeckt werden, wie jetzt manche ausrufen. Vor 22 Jahren gab es schon einmal eine große Ausstellung in Düsseldorf, zehn Jahre später, zum 200. Todestag, eine in Bregenz und Schwarzenberg.

Dennoch hat diese neue Schau besondere Vorzüge. Das liegt an der unermüdlichen Arbeit der Kauffmann-Expertin Bettina Baumgärtel, die auch die Düsseldorfer Gemäldesammlung leitet. Erstmals aus London verliehen sind Kauffmanns allegorische Deckengemälde von 1780 für die Royal Academy of Arts, wohin die Ausstellung in angepasster Form im Sommer wandern wird. Als diese Kunstakademie 1768 von Joshua Reynolds gegründet wurde, war Kauffmann neben einer weiteren Kollegin das einzige weibliche Mitglied. Kunst studieren durften damals gar keine Frauen, und auch als Mitglieder sollten die nächsten Frauen erst im 20. Jahrhundert hinzukommen. Von Aktzeichnungen nach männlichen Modellen blieb Kauffmann ausgeschlossen, echte Nacktheit gab's nur für Männer. Ein Selbstporträt mit Zeichengriffel aus der Zeit der Aufnahme in die Academy, zum ersten Mal aus Privatbesitz aufgespürt, drückt die Sensibilität und das Selbstbewusstsein der Künstlerin aus.

Den "Influencer"-Untertitel kann man wohlwollender gelten lassen als Hinweis darauf, dass Angelika Kauffmann als gebildete Kommunikatorin und Geschäftsfrau auch auf ihre Vermarktung bedacht war. So waren ihr die historischen und mythologischen Themen eigentlich am wichtigsten, das erhabenste (und "männlichste") Genre der Malerei. Aber mit den Porträts europäischer Adliger und Königinnen verdiente sie mehr Geld, und sie erkannte Shakespeare- und Mittelalter-Motive sowie empfindsame Heldinnen von Penelope bis Agrippina als Marktlücken.

In dieser Spannung zwischen den Genres, mit denen sie als Malerin geschickt spielte, führt die Düsseldorfer Ausstellung ebenso geschickt durch ihre Kapitel, mit vielen wertvollen Leihgaben. Kauffmann ließ Porträtierte in aufrichtiger Maskerade in literarische Rollen schlüpfen, setzte Modetrends und schaute italienischen Stegreif-Dichterinnen bei der Performance zu. Sie befeuerte als Kosmopolitin die Antikenbegeisterung und beeinflusste mittels massenhafter Reproduktionen ihrer Motive auf Tassen und Tapeten die Wohnkultur, das Kunsthandwerk und die eigene Prominenz. Sie malte die Skandal-Lady Hamilton als Muse und zeigte gerne das Androgyne und Männer mit Gefühlen. Zu solchen Kult-Phänomenen der Aufklärungszeit schreibt die Kuratorin im Katalog trocken: "Die Entpolarisierung des Geschlechterdualismus setzte sich jedoch nicht dauerhaft durch."

Ach so, und spät heiratete Angelika Kauffmann dann doch noch: mit 39 Jahren - nachdem sie vorher einem Heiratsschwindler zum Opfer gefallen war - den italienischen Maler Antonio Zucchi. Er durfte ihr Auftragsbuch führen.

Angelika Kauffmann. Künstlerin, Powerfrau, Influencerin. Museum Kunstpalast, Düsseldorf, bis 24. Mai. Katalog (Hirmer Verlag) 45 Euro, im Museum 39,80 Euro. Info: www.kunstpalast.de

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SZ vom 21.02.2020
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