Süddeutsche Zeitung

Kunstausstellung in Bremen:Pariser Dandys

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Eine Ausstellung in Bremen zeigt, wie Édouard Manet und seine Kollegen neue Kriterien für die Kultur schufen.

Von Till Briegleb

Manche Künstler verblassen in der Erinnerung mit ihrer Epoche, über die sie nicht hinausgewachsen sind. Niemand merkt sich ihre Namen, wenn sie in Büchern über berühmtere Kollegen zitiert werden, oder macht sich eine Notiz vor einer Statue im Park, wo sie auf einer laubverschmierten Plakette am Sockel genannt sind. Selbst wenn sie einst wichtige Komplizen einer kunsthistorischen Umwälzung waren, taugen viele Kunstschaffende 100 Jahre später nur noch als Magisterthema aus Verlegenheit, weil über die wirklich berühmten Menschen mit Pinsel und Meißel schon alles gesagt ist.

Astruc war Teil der Galeere, die Kurs auf den Horizont der selbstbestimmten Kunst nahm - aber eben nicht an Deck

Sind diese Chorgestalten eines Stilwechsels weiblich, dann tauchten sie zuletzt in den musealen Feldzügen zur Wiederentdeckung der Frau in der Kunstgeschichte vermehrt an die Oberfläche. Sind sie männlich, eher nicht. Es gibt einfach zu viele von ihnen wie Zacharie Astruc, den Kunstkritiker der frühen Pariser Moderne. Als Journalist, der ab 1860 die neuen Realisten rund um Édouard Manet gegen die öffentliche Meinung verteidigte, dann dichtete, aquarellierte und Plastiken schuf, war Astruc Teil der Galeere, die Kurs auf den Horizont der selbstbestimmten Kunst nahm - aber eben nicht an Deck.

Und diese Stellung will die große Ausstellung "Manet und Astruc. Künstlerfreunde" in der Bremer Kunsthalle auch gar nicht korrigieren. Nichts in dieser Schau mit rund 120 Exponaten proklamiert, hinter dem Paravent der Kunstgeschichte ein neues Genie entdeckt zu haben. Zu deutlich ist die ästhetische Diskrepanz zwischen den blassen Frauenporträts und Nippes-Stillleben in vollgestopften Wohnzimmern des Großbürgertums, die Astruc akkurat mit Wasserfarben malte, und den atmosphärisch dichten Ölporträts derselben Situation, die Manet schuf. Ein Manet-Gemälde war deshalb auch der Anstoß für diese Ausstellung: das im Besitz der Bremer Kunsthalle befindliche Porträt, das er 1866 von seinem Freund Astruc malte.

Kuratorin Dorothee Hansen nahm das symbolisch aufgeladene Bild zum Anlass, um eine originelle Skizze von jener Epoche zu zeichnen, in der eine lose Gruppe Pariser Dandys, die heute weltberühmt sind, neue Kriterien für die Kultur schuf, darunter Manet, Monet, Renoir, Baudelaire, Degas und Zola. Das "Bildnis des Zacharie Astruc" eignet sich dafür aus mehreren Gründen hervorragend. Es vereint zahlreiche Verweise auf dominante Kulturaspekte jener Jahre, für die nicht nur der Publizist moderner Kunstansichten Astruc stand, sondern die ganze Szene im Aufbruch zur Moderne.

Elemente wie ein roter Bauchschal im Stil eines Toreros und eine geschälte Zitrone illustrieren die starke Spaniensehnsucht in Frankreich, die sich bei den Malern auch in ihrer Bewunderung für Velázquez, Goya und El Greco zeigte. Die geschälte Frucht neben einem Weinglas ruft als suggestives Element aber auch starke Geruchserinnerungen hervor, die auf die konkrete Sinnlichkeit verweisen, mit der Manet der stilisierten Affektiertheit jener Epoche widersprach. Ein japanisches Album kennzeichnet den gerade aufkommenden Japonismus, den Astruc mit mehreren Schriften befördert hatte. Und außerdem finden sich rund um das eigentliche Porträt des Kritikers, der sich mit der Hand in der Weste wie Napoleon abbilden ließ, Bekenntnisse zur niederländischen Genremalerei, zu Tizian und zum allegorischen Gehalt von Stillleben und Symbolismus.

Aus diesen Indizien entwickelt die Kuratorin ein großes Panorama mit vielen Beispielen für virulente Kultureinflüsse sowie zu der Etablierung einer Männerclique, die knapp zwei Jahrzehnte bis zu Manets frühem Tod im Jahr 1883 in Opposition zum offiziellen Salon das "echte" Leben wiedergeben wollte. Manet zeigte den Freundeskreis erstmals 1862 in dem dichten Versammlungsbild "Musik im Tuileriengarten", wo die fortschrittliche Kulturszene von Paris in Erwartung eines Parkkonzerts gezeigt ist: darunter Zacharie Astruc, aber auch Baudelaire, Théophile Gautier, Jacques Offenbach, Henri Fantin-Latour sowie diverse Kritiker und Kunstkäufer.

Astruc verteidigte in seinen Artikeln konsequent seine engen Künstlerfreunde

Diese freundschaftliche Verquickung von Künstlern und Kritikern mag nach heutigen journalistischen Maßstäben von unbefangener Berichterstattung zwar wie ein Sündenfall gegenseitiger Vorteilsnahme wirken. Aber im abschätzigen Klima gegenüber dem aufkommenden Impressionismus war die Kumpelwirtschaft offensichtlich die einzig adäquate Form, um Wandel in der Kultur zu fördern. Gerade Astruc verteidigte in seinen Artikeln konsequent seine engen Künstlerfreunde, bevor er begann, selbst ein solcher zu werden - was über gehobene Gebrauchskunst allerdings nie hinauskam.

Das Abbild einer inspirierten Kultur-Boheme im Gegenwind inszenierter Kunstskandale, das diese Ausstellung bietet, lebt im Kern von einigen prominenten Leihgaben, darunter Manets Porträt Émile Zolas aus dem Musée d'Orsay, das ähnlich des Bildes von Astruc den Autor in einer Komposition vielfacher kultureller Bezüge zeigt. Zahlreiche Beispiele aus Manets Werk, die seine Faszination für spanische Maler, Musiker, Stierkämpfer und Tänzerinnen zeigen, bilden ein weiteres Kapitel, das gefolgt wird von einem großes Saal der Selbstdarstellung durch Freundschaftsdienste, darunter Manet, wie ihn Alphonse Legros und Henri Fantin-Latours sahen. Zentrales Werk aber ist eine Atelierversammlung bei Manet, wie er gerade das Porträt Astrucs malt.

Am Ende blieb Astruc doch mehr Bewunderer als Erzeuger großer Kunst

Fantin-Latours "Atelier im Batignolles-Viertel" von 1870 versammelt unter anderem Renoir, Zola und Monet bei ihrem sitzenden Zentralgestirn. Trotzdem verweigert die merkwürdige Komposition von abwesend wirkenden Herren, die schweigend in verschiedene Richtungen blicken, den direkten Beleg des Cliquen-Charakters dieser Gemeinschaft. Aber über gegenseitige Bildzitate und gemeinsame Vorblieben für japanische und spanische Motive lässt sich die Gruppenseele der Früh-Impressionisten in dieser Ausstellung trotzdem sehr schön detektivisch nachvollziehen.

Warum Astruc am Ende doch mehr Bewunderer als Erzeuger großer Kunst blieb, zeigt sein berühmtestes Werk, die Skulptur "Maskenverkäufer" von 1886, die im Jardin du Luxembourg in Paris steht. Ein halbnackter Knabe bietet die Konterfeis französischer Kulturprominenz zum Verkauf an, darunter Balzac, Berlioz, Dumas, Hugo, Delacroix und Baudelaire. Auch hier dient Astruc mehr dem Ruhm anderer, worin er die größte Originalität bewies. Doch als sympathisierender Kritiker, ob in Wort oder Bronze, bleibt einem eben längerfristig nur die Rolle des Steigbügelhalters. Und an die erinnert später niemand mehr. Außer diese schöne kulturhistorische Ausstellung in Bremen.

Manet und Astruc. Künstlerfreunde in der Kunsthalle Bremen , bis 27. Februar 2022; der Katalog kostet 54 Euro.

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