Pierre Soulages:"Mir widerstrebt es zu weinen oder zu stöhnen"

Pierre Soulages: "Es ist tatsächlich wie eine Liebe, und die lässt sich nicht erklären", sagt der französische Künstler Pierre Soulages über seine Liebe zum Schwarz. An Heiligabend wird er 100 Jahre alt.

"Es ist tatsächlich wie eine Liebe, und die lässt sich nicht erklären", sagt der französische Künstler Pierre Soulages über seine Liebe zum Schwarz. An Heiligabend wird er 100 Jahre alt.

(Foto: AFP)

An Heiligabend wird der Künstler Pierre Soulages, der als "Schwarzmaler" berühmt wurde, 100 Jahre alt. Ein Gespräch über Kollegen, Höhlenmalerei und natürlich: die stärkste Farbe von allen.

Interview von Heinz-Norbert Jocks

Am 24. Dezember feiert der französische Maler Pierre Soulages seinen 100. Geburtstag. Er ist der letzte noch lebende Vertreter einer Künstlergeneration, die nach dem Zweiten Weltkrieg als Neue Pariser Schule bekannt geworden ist. In Paris würdigt jetzt das Musée du Louvre den Künstler, der auch als "Schwarzmaler" berühmt geworden ist, mit einer großen Ausstellung. Gleichzeitig zeigt das Münsteraner LWL-Museum für Kunst und Kultur ein großformatiges Gemälde aus jüngerer Produktion, das es vor wenigen Wochen erst erworben hat. Soulages, der vor 100 Jahren im südfranzösischen Rodez zur Welt kam, wirkt beim Interview in seinem Atelier in Paris Saint-Germain, als hätte ihm das Alter noch nicht wesentlich zugesetzt: agil und hellwach.

SZ: Monsieur Soulages, die erste Frage, die sich vor Ihren Arbeiten stellt, ist vermutlich für viele immer schon diese: Warum sind Sie so offensichtlich in die Farbe Schwarz verliebt?

Pierre Soulages: Von meinen Eltern wurde mir erzählt, ich wäre dem Schwarz bereits als Kind zugeneigt gewesen. Es gibt diese mir übermittelte Geschichte, die besagt, ich hätte mit dem Pinsel schwarze Linien auf weißem Papier gezeichnet. Auf die Frage, was es darstellen solle, soll ich geantwortet haben: "Schnee." Als Kind hatte man mir einen bunten Farbkasten geschenkt, doch ich habe schwarze Tinte bevorzugt. Vermutlich habe ich mich von Schwarz angezogen gefühlt, weil es eine heftige Farbe ist, von allen die stärkste. Es ist tatsächlich wie eine Liebe, und die lässt sich nicht erklären.

Interview am Morgen

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Für Sie hat Schwarz keine symbolische Bedeutung.

Nein, die Zeit ist vorbei, da Schwarz etwas symbolisierte. Es ist die Farbe sowohl der Anarchisten, als auch der Amtsleute, und auf Festen trägt man schwarz. Schwarz ist die Farbe unser aller Ursprungs.

Warum das?

Bei der Geburt eines Menschen sagt man: "Er hat das Licht der Welt am Tag X erblickt." Was heißt das? Dass vorher alles schwarz war. Wir entstammen dem Schwarz. Für die Malerei, die vor Hunderten Jahren gemacht wurde, stiegen die ersten Menschen hinab in das absolute Schwarz. In den Höhlen, wo kein Licht leuchtete, haben sie mit schwarzer Farbe gemalt. Für sie war das die Farbe der Erde.

Was empfinden Sie angesichts dieses Ursprungs der Malerei?

Mein Eindruck ist, dass deren Schöpfer uns sehr nahestehen, und ich empfinde nicht nur große Nähe, sondern enge Verwandtschaft. Ich fühle mich davon mehr angezogen als von den großartigen Meisterwerken der Renaissance. Sogar ein Raffael wirkt schwach dagegen. Ich bewundere natürlich Velázquez, ebenso Rembrandt und Veronese. Auch andere Spanier und Venezianer. Das alles berührt mich tief, aber auf andere Weise wie die mir brüderlich vertraute prähistorische Malerei.

Im Gegensatz zu Ihrer Malerei ist die prähistorische aber figurativ. Wie kam es zur Loslösung vom Figurativen?

Es vollzog sich langsam. Als ich mich 1946 dazu durchgerungen habe, meine Bilder im Herbstsalon zeigen zu wollen, waren sie bereits abstrakt. Die figurativen Bilder, die ich als Jugendlicher gemalt habe, waren nicht ausgereift genug, um sie der Öffentlichkeit zu präsentieren. Nichtsdestotrotz wurde ich abgelehnt, als ich mich 1946 für den Herbstsalon bewarb. Es war mein Glück, dass ich genau in dem Augenblick, Francis Bott traf - übrigens ein Deutscher, der sich in Südfrankreich vor den Nazis versteckt gehalten hatte. Als ich ihm von meiner Ablehnung erzählte, riet er mir, im Salon der Unabhängigen auszustellen. Das erwies sich insofern als ein hervorragender Rat, als ich dort einer jungen Künstlergruppe begegnete. Ihr gehörten neben auch später unbekannt Gebliebenen auch der damals schon berühmte Francis Picabia an. Meine Gemälde wurden deshalb bemerkt, weil sie als einzige dunkel und schwarz waren, alle anderen dagegen hell und farbig.

Wie reagierte Picabia auf Ihre Bilder?

Er lobte sie über den grünen Klee - als die Besten des Salons. Übrigens war er erheblich kleiner als ich. Bei einem Treffen, ein paar Tage später sprach er immer noch in höchsten Tönen. Mich von oben bis unten abmusternd, fragte er mich nach meinem Alter. Ich antwortete, ich sei 27 Jahre alt, und er erzählte mir daraufhin, er hätte zu seiner Überraschung eines Tages Pissarro getroffen. Und Picabia, dem der Impressionist Pissarro so fern schien, hätte ihm die gleiche Frage gestellt und danach gesagt: "Mit dem, was Sie machen, machen Sie sich Feinde."

Ab dem Jahr 1979 waren Ihre Bilder auf einmal nicht mehr rein schwarz. Was war passiert?

Ja, auch 1979 habe ich zwar Schwarz noch verwendet, aber es sah aufgrund der Reflexionen des sich über die schwarze Oberfläche ausbreitenden Lichts nicht mehr schwarz aus. Ich wollte dem Schwarz Licht entspringen lassen. Dabei steht diese Farbe von ihrer Definition her für die größte Abwesenheit von Licht.

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Pieere Soulages im Jahr 1984 vor einem seiner Werke.

(Foto: imago/Leemage)

Unter den sogenannten abstrakten Expressionisten in Amerika haben ebenfalls viele Bilder in Schwarz gemalt, Franz Kline etwa.

Ja. Ich selbst war aber nie abstrakter Expressionist. Meine Kunst ist keine Verlautbarung. Keine Projektionsfläche von Gefühlen. Auch kein Träger von Zeichen. Vielmehr ein Ensemble von Formen.

Wie haben Sie New York erlebt?

Zum ersten Mal bin ich 1957 nach New York gereist, als ich in den Vereinigten Staaten bereits bekannt war. Bei meinem Aufenthalt lernte ich so gut wie alle Maler kennen, die damals von Bedeutung waren: Robert Motherwell ebenso wie Mark Rothko und Franz Kline. New York war interessant, aber es hat mich nie gereizt, dort zu leben, und ich blieb auch nie lange. Mein dortiger Händler wollte, dass ich nach Amerika ziehe. Er bot mir ein Atelier an und wollte für meine Einbürgerung sorgen. Ich lehnte ab, weil ich schlecht Englisch spreche und meine Familie in Frankreich war. Auch sagte mir die Stadt nicht sonderlich zu. Was mir aber seltsamerweise gefiel, war die Geräuschkulisse. Der Lärm und das Hupen erzeugen diesen besonderen Raum mit den Wolkenkratzern. Man hört den Ton, der an den Fassaden emporsteigt, und kann dadurch diesen röhrenartigen Raum erkennen.

Trotz Ihres Erfolges scheinen Sie immer sehr bescheiden geblieben zu sein. Wie gelingt es, dass es einem nicht zu Kopfe steigt?

Einer meiner Freunde ist Astrophysiker. Er hat sich einmal das Hubble-Weltraumteleskop ausgeliehen und auf einen winzigen Punkt unserer Galaxie gerichtet. Unsere Milchstraße umfasst lediglich drei Milliarden Sterne. Mit dem Teleskop war er in der Lage, andere Galaxien zu beobachten, weit größere als unsere. Das Unendliche hat sich einem da auf eine zuvor nicht vorstellbare Weise offenbart. Im Angesicht dieser Unendlichkeit sind wir nicht mehr als ein winziger Schimmelpilz. Das Unendliche entzieht sich unserer Vorstellung.

Neigt man hinsichtlich dieser Erfahrung nicht zum Glauben?

Nein, mit Ihrer Frage rühren Sie an Fragen, die ich mir als Zwölfjähriger gestellt habe. Gott war mir als Idee zu anthropomorph, um wahr zu sein. Sich auszumalen, dass über uns ein alles bestimmender Gott thront, entspringt der kümmerlichen Vorstellungswelt des Menschen, der die Beziehung zwischen Vater und Familie auf den Kosmos überträgt. Ich bin kein Atheist, sondern Agnostiker.

Sie sind in einem Alter, wo der Tod zum Greifen nah ist.

Ich denke an den Tod nicht häufiger als früher, obwohl ich weiß, dass er näher gerückt ist als vor Jahrzehnten. Ich lebe so weiter wie im Alter von 50 Jahren. Solange ich den Wunsch verspüre, Dinge zu tun, mache ich sie. Mir widerstrebt es zu weinen oder zu stöhnen, und ich denke weder zurück an vergangene Zeiten noch an die mir noch verbleibenden Tage. Ich lebe ein glückliches Leben, und daran werde ich so lange wie möglich festhalten.

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