Kunst:Der Schamane des Nichtwissens

Mobile Welten oder das Museum unserer transkulturellen Gegenwart

Was hat dieses Werk des nigerianischen Fotografen J.D.’Okhai Ojeikere mit Bauernschränken und ägyptischen Grabbeigaben zu tun? Die Antwort ist nur per „kollaborativer Imagination“ zu finden.

(Foto: J.D.'Okhai Ojeikere, Courtesy MAGNIN-A gallery, Paris)

Roger Buergel will mit der Ausstellung "Mobile Welten" den Eurozentrismus exorzieren. Doch mit seiner Kompilation aus Kitsch und Kunst entlarvt er nur die eigene Verblasenheit.

Von Till Briegleb

Der Begriff "Eurozentrismus" ist zu einer Moralkeule im Ausstellungsgeschäft geworden. Wer sich als Kurator oder Kuratorin mit dem Vorwurf konfrontiert sieht, allein aus europäischem Blickwinkel auf die Welt zu sehen, gerade auf die Welt außerhalb Europas, der hat schon verloren.

Diese Kritik ist Teil einer neuen Ethik, die sich im Zuge der Diskussion um ein faires Verhältnis zwischen Europa und seinen ehemaligen Kolonien gerade bildet. Sie verbietet es, aus dem alten westlichen Selbstbewusstsein kritischer Wissenschaftlichkeit heraus einen Gegenstand zu untersuchen, also Wertungen vorzunehmen, ohne diese in Relation zu den Ansichten jener zu setzen, über deren Kultur man spricht.

Das seit der Aufklärung eingeübte Gelehrtenverständnis von akademischer Recherche, in dem eine Autorität ein Objekt untersucht, wird in diesem Prozess also zunehmend verdächtig. Im politischen Diskurs wird weißen Experten, die sich so "eurozentristisch" mit anderen Kulturen beschäftigen, mittlerweile oft unterstellt, sie betrieben Methoden des Herrschaftswissens, versteckte Diskriminierung und neukoloniales Gebaren.

Die daraus resultierende Verunsicherung, die vor allem kulturhistorische Ausstellungen und Forschungen beschäftigt, hat durchaus ihr Positives: Wenn dadurch ein selbstkritischer Prozess beginnt, den Expertenkreis zu öffnen und den Zugang der Argumente zu fördern anstatt zu hemmen.

Ins Absurde wendet sich die Akzeptanz interkultureller Fairness aber, wenn sie die vergleichende Wissenschaft der freien Assoziation opfert. Dann findet man sich bei Roger M. Buergels Konzept einer "Migration der Dinge" wieder, das er 2007 als künstlerischer Leiter der Documenta zum Leitmotiv der Großausstellung wählte, und das er nun im kleinen Rahmen noch einmal auf die Sammlung des Hamburger Museums für Kunst und Gewerbe anzuwenden versucht. "Mobile Welten" heißt die Präsentation von Exponaten aus aller Welt, die Buergel während seiner Depotbesuche in neun Jahren für sich erschlossen hat und jetzt präsentiert.

Mit dem Auftrag ausgestattet, ohne kuratorische Scheuklappen die Schränke und Regale zu durchwühlen, um neue Ordnungsprinzipien auszuprobieren, hat Buergel tatsächlich eine Menge skurriler Objekte an die Oberfläche des Kunstgewerbemuseums geholt - ergänzt um Artefakte aus ethnologischen Museen sowie Künstlerarbeiten.

Alte Bauernschränke und Kimonos mit Weltkriegspropaganda, eine Opiumpfeife mit Nutzerfoto und geflochtenes Frauenhaar, Eisenknebel für Sklaven aus Brasilien neben einem weiblichen Frauenkopf aus Benin, ein pittoreskes "japanisches" Liebespaar aus Meißen unterhalb einer riesigen mesopotamischen Gottheit aus dem achten Jahrhundert vor Christus, das und noch viel mehr ist nun zu sehen.

Buergel sieht in diesem Mosaik der Objekte, denen er übrigens bewusst keine weiteren Erklärungen beigefügt hat, ein Prinzip der "kollaborativen Imagination" wirken. Jeder Besucher soll also unbelastet von Hintergrundinformationen Zusammenhänge der Weltkultur der letzten 3000 Jahre nach eigenem Gusto konstruieren.

Ziel dieses ahnungslosen Staunens sei es zu verstehen, wie die Leute "getickt" haben, die diese Sachen einst produzierten - wie Buergel es in seiner gewohnt saloppen Ausdrucksweise erklärt. Die enzyklopädischen Museen Europas bildeten nur eine "Geschichte der Plünderungen" ab, die der "Selbstvergewisserung einer europäischen Mittelschicht" diene. Er will die Prinzipien dieser Kultur-Konsumtempel aushebeln.

Nun könnte man sicherlich für alle Kulturen dieser Welt einwenden, dass wirklich sinnvolle Assoziationen niemals ohne begleitendes Wissen entstehen, und dass es dem Verständnis des Unbekannten kaum dient, wenn man seinen Kontext nicht bekannt macht. Aber Buergel hält das vermutlich schon wieder für eurozentristisch gedacht. Indem er jede erklärungslenkende Information verweigert, will er erreichen, dass "wir alle Objekte werden und die Dinge als Subjekte wahrnehmen." Oder, um eine weitere absurde Begründung zu zitieren für das Fehlen vermittelnder Zusatzinformationen, die der Kurator zwar kennt, aber für sich behält: "Ich weiß nicht, was man weiß, wenn man weiß, was ich weiß."

Tja, das weiß man tatsächlich nur, wenn man das Privileg eines Presserundgangs hat, wo Buergel ziemlich zusammenhanglos Anekdoten und Historisches zu den Artefakten erzählt, ohne einmal das "große neue Narrativ" konkret zu erklären, das er hier geschrieben haben will. Dieses Narrativ des produktiven Nichtwissens als didaktisches Konzept hat aber ziemlich offensichtlich den gegenteiligen Effekt. Darauf lassen jedenfalls die vielen, genau wie 2007 in Kassel irritierten und frustrierten Besucher schließen.

Denn dem Neugierigen bleibt nichts anderes übrig, als diese Ansammlung von Dingen als Kunstkruscht wahrzunehmen, der die Konfusion des Kurzschlusses feiert. Porzellankitsch mit ägyptischen Motiven hat hier die gleiche Bedeutung wie eine altägyptische Grabbeigabe. Zeugs aus Perlmutt oder Elfenbein steht kommentarlos zusammen. Fantasie-Chinesisch an der Wand und Fake-Porzellan in der Vitrine erklären sich auch nicht. Und in einem Verschlag werden westliche Konsumgüter gesammelt, um sie nach Guinea zu verschiffen, wodurch der Besucher eine spirituelle Beziehung zu dem neuen Nutzer aufbauen soll, die ihm den modernen Seehandel erklärt.

Von solch pseudoschamanistischem Kulturerspüren ist dieses Konzept der "Mobilen Welten" durchdrungen. Mit dieser Plünderung der Zeichen werden nicht nur bewährte Kriterien der Wissensvermittlung zugunsten von Desorientierung ausgelöscht. Die Strategie ist auch typisch für selbstverliebtes westliches Kuratoren-Klimbim. Noch mehr Eurozentrismus geht nicht.

Mobile Welten. Museum für Kunst und Gewerbe, Hamburg. Bis 14. Oktober.

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