Kunst der Kolonialzeit:Gebremst engagiert

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Bei der Raubkunst aus dem deutschen Kolonialismus gibt es weiter viele gute Absichten und wenig effektive Aktionen. Hermann Parzinger erwägt fürs Humboldtforum einen Gedenkraum, das wäre, als rein symbolische Geste, zu wenig.

Von Jörg Häntzschel

Wie es gelingen kann, in einem Preußenschloss und mit Exponaten, von denen viele in den Kolonien geraubt wurden, eine Haltung zur Kolonialgeschichte zu formulieren, das ist nach wie vor das Geheimnis der Macher des Humboldtforums. Hermann Parzingers Ansicht nach würde ein "Gedenkraum" dabei helfen. "Die Besucher werden in dem Haus sehr viele Informationen über die Zeit des Kolonialismus bekommen", sagte der Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, "es wäre wichtig, irgendwo auch einen Ort zu schaffen, der darüber hinaus nachdenklich macht und eigene Gedanken und Reflexion zulässt." Die Idee hat einige Unterstützer gefunden, auch unter Mitgliedern der afrikanischen Diaspora. Und dennoch: Sollten wir nicht eher über das fehlende Konzept des Humboldtforums sprechen als über eine Reflexionsoase?

Der Vorschlag ist symptomatisch für den derzeitigen Stand der Debatte um Kolonialismus und Restitutionen. Zwar haben CDU/CSU und SPD die Aufarbeitung kolonialen Unrechts vor einem Jahr als Regierungsziel in den Koalitionsvertrag aufgenommen, doch weder Merkel noch Steinmeier haben sich bislang dazu geäußert. Weil aber die Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy und der Hamburger Historiker Jürgen Zimmerer fast die einzigen sind, die sich öffentlich für entschiedene Lösungen stark machen, gehört die Bühne zur Zeit Ausweichern und Bedenkenträgern, die Scheinprobleme aufblasen, Nebenschauplätze beharken und Stellvertreterdebatten vom Zaun brechen.

Die Diskussion entzündete sich im Sommer 2017 am Humboldtforum. Wenige Monate später kündigte der französische Präsident Macron in Ouagadougou erstmals Restitutionen an. Und dann, im letzten November, legten Bénédicte Savoy und Felwine Sarr einen konkreten Plan vor, wie und nach welchen Kriterien diese ablaufen sollten. Was in den Kolonialregimen geraubt und nach Frankreich gebracht worden war, müsse zurückgegeben werden, so die Herkunftsländer dies wünschen. Wieder einmal war Macron den händeringenden Deutschen enteilt; Deutschlands Ruf als Meister im Erinnern und Aussöhnen war in Gefahr; und bald drohte die Paralyse bei der Eröffnung des Humboldtforums für alle Welt offenkundig zu werden.

Es dauerte dann auch nur zwei Wochen, bis Kulturstaatsministerin Monika Grütters und die Staatsministerin für auswärtige Kultur, Michelle Müntefering, in einem Beitrag für die FAZ reagierten. Sie machten sich darin die Forderungen von Savoy und Sarr zumindest grundsätzlich zu eigen: "Wie können es Museen und Sammlungen rechtfertigen, Objekte aus kolonialen Kontexten in ihren Sammlungen zu haben, deren Verbringung nach Deutschland unserem heutigen Wertesystem widerspricht?", fragten sie emphatisch und versprachen konkrete Schritte.

Beim Thema Rückgabe erklärt sich die Regierung für nicht zuständig: Ländersache

Doch nur wenige Wochen später fiel die Regierung wieder in altes Denken zurück. In der Antwort auf eine kleine Anfrage der Linken-Fraktion im Bundestag schreibt sie am 16. Januar, sie "unterstütze" die Aufarbeitung der deutschen Kolonialvergangenheit - als habe man sich diese nicht selbst zur Aufgabe gemacht. Nach konkreten Maßnahmen gefragt, verweist die Regierung auf eine lange Liste von Projekten der Bundeszentrale für politische Bildung. In den meisten übrigen Punkten - von der Aufnahme des Kolonialismusthemas in die Lehrpläne bis zur Rückgabe der Objekte aus den Museen - erklärt sich die Regierung für nicht zuständig: Ländersache.

Carsten Brosda, Hamburger Kultursenator und einer der in Sachen Kolonialismus profiliertesten deutschen Politiker, rät, der frostigen Regierungsprosa nicht zu viel Bedeutung beizumessen. Man sei schon viel weiter. Als Vorsitzender der auch zu diesem Zweck neu gegründeten Kulturministerkonferenz der Länder will er mit der Bundesregierung und den Kommunen bis Mitte März "politische und rechtliche Bedingungen schaffen, damit Rückgaben in ihrem Bereich leichter möglich sind".

Die Kleinteiligkeit des deutschen Kultursystems, wo die Museen teils dem Bund, teils den Ländern, teils den Kommunen unterstehen, soll Lösungen nicht länger verhindern. Langfristig schwebt Brosda eine zumindest moralisch bindende Regelung vor, wie es die Washingtoner Prinzipien für NS-Raubkunst sind. Man kann nur hoffen, dass er die zögerlichen Länder mitzieht, und dass diese ihre zögerlichen Museumsleute überzeugen können. Vielen scheint derzeit nicht klar zu sein, wie groß der Bruch ist, mit dem sie es zu tun haben.

Das erklärt auch die Unschärfe und Unentschiedenheit vieler jetzt eilig ins Leben gerufener Maßnahmen. Seit Januar etwa finanziert das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste in Magdeburg, das bisher nur für NS-Raubkunst zuständig war, auch die Provenienzforschung bei Objekten aus der Kolonialzeit, 1,9 Millionen Euro stellt Grütters dafür zur Verfügung. Das sind weniger als die 6,2 Millionen, die etwa die Berlinale bekommt, aber immerhin 1,9 Millionen mehr als bisher. Die Frage ist nur, nach welchen Kriterien das Geld vergeben und mit welchem Ziel geforscht werden soll. Die Informationen dazu sind dürftig. Von Restitutionen ist nirgends die Rede. In erster Linie geht es darum, aufzuklären, wie die Gegenstände in deutsche Museen kamen, nicht darum, die engere Frage zu beantworten, ob auf rechtmäßige oder unrechtmäßige Weise.

Was will man also? Geschichte und Umstände des kolonialen Kunstraubs erforschen? Oder, wie Savoy und Sarr, pragmatisch Restitutionen einleiten? Weil viele in der Politik sich gerne hinter der Wissenschaft verstecken und weil viele Wissenschaftler sich überrumpelt fühlen von der Debatte, tun viele, als seien beide Ziele austauschbar. Je mehr Gutes sie tun, darauf scheinen viele zu setzen, umso länger ließe sich der Status Quo erhalten. Grütters und Müntefering sind sich des Problems bewusst. In der FAZ schrieben sie: "Differenzierung und Klärung der Provenienzen müssen sein, es darf aber nicht der Eindruck einer Verzögerungstaktik entstehen, insbesondere dann nicht, wenn eine Rückgabe gerechtfertigt erscheint."

Den Mangel an politischer Klarheit scheint man in Deutschland durch Betriebsamkeit kompensieren zu wollen. Alles soll gleichzeitig passieren und möglichst, ohne dass je Entscheidungen getroffen werden. Die Forschungsgelder aus Magdeburg fließen, noch bevor sich Bund, Länder und Kommunen geeinigt haben. Und fragt man nach den Kriterien für die Vergabe, wird man auf den neuen Leitfaden des Museumsbunds verwiesen, über dessen endgültige Fassung die Autoren noch beraten.

Bremsen und Engagement, Idealismus und Karrieresicherung sind bei den vielen Projekten nicht immer zu unterscheiden. Und weil die Gruppe an Leuten, die für die vielen Symposien, Kommissionen und Projekte infrage kommen, so klein ist, drohen, wie üblich in Deutschland, Verflechtungen und Interessenskonflikte.

Das betrifft nicht nur die Museumsdirektoren, Ethnologen und Provenienzforscher, die in der Angelegenheit alle mehrere Hüte tragen, sondern auch die Institutionen. Wie das Auswärtige Amt, das mit seiner neuen Museumsagentur unter anderem afrikanischen Staaten helfen will, die Museen zu bauen, in die dann aus Deutschland restituierte Objekte gehen können. Dass es auch darum geht, mit Soft Power politischen Einfluss in Afrika auszuüben, sagt man nicht ganz so laut.

Symbolische Gesten sind nicht genug. Gefragt sind konkrete Aktionen

Solange Deutschland sein Vorgehen nicht koordiniert, verliert man Geld und Zeit, lässt das Vorhaben komplexer erscheinen als es ist und setzt es Zynikern und Pessimisten aus. Man sieht das an der für Ende Februar geplanten, sehr ehrenwerten Rückgabe einer Peitsche und einer Bibel aus dem Linden-Museum in Stuttgart an Namibia. In Stuttgart hoffte man, mit der Restitution der Gegenstände aus dem Besitz eines Anführers der Nama als Vorbild dazustehen. Doch nun protestieren die Nama dagegen, dass der Staat die Dinge erhält, während sie leer ausgehen.

Schon mit der ersten Restitution an ein afrikanisches Land in jüngerer Zeit muss man also die schwierigste Frage beantworten, die sich in der Sache stellt: An wen zurückgeben? Und abgesehen davon: Zwei geraubte Objekte - ist das 2019 nicht ein bisschen wenig für ein Museum, das Tausende besitzt? Ohne ein plausibles nationales Konzept droht die Restitution nun eher die Schwierigkeit von Rückgaben als deren Machbarkeit zu illustrieren.

In diesem Konzept müsste man sich dann auch darüber klar werden, dass man sich mit symbolischen Gesten - ein Gedenkraum hier, ein "Dialog" dort - nicht um konkrete Fragen wie die nach der Eigentümerschaft geraubter Objekte drücken kann. Und dass dem Eingeständnis historischen Unrechts die Frage nach dem gegenwärtigen folgen müsste - und die nach einem gerechten globalen Miteinander in der Zukunft.

© SZ vom 12.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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