Kunst:Der Käfer brennt

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Eine Begegnung mit Rafael Pagatini aus Brasilien, dessen Kunst Motive der Militärdiktatur aufarbeitet. Sein Werk beweist, dass die Technik der Druckgrafik eine Zukunft in der Ära des Digitalen hat.

Von Ingo Arend

Starrer Kopf, stahlharter Blick, geschlossener Mund: Als Jair Bolsonaro am 1. Januar vor den Kongress in Brasilia trat, wirkte er finster entschlossen. Mit martialischen Parolen hatte der Rechtspopulist den Präsidentschaftswahlkampf nach der Absetzung Dilma Rousseffs aufgemischt. Kritische Kuratoren, so hatte er mit Blick auf eine heftig umstrittene, schließlich abgesagte Ausstellung zu "Queer Art" 2017 im südbrasilianischen Porto Alegre dekretiert, würde er gern "füsilieren". Nun trat dieser offen mit dem Faschismus liebäugelnde Mann tatsächlich als Präsident vor die Nation.

Für den Künstler Rafael Pagatini muss Bolsonaros Auftritt ein Déjà-vu-Erlebnis gewesen sein. In seiner Serie "Retrato Oficial - Offizielles Porträt" aus dem Jahr 2017 hat der brasilianische Künstler Close-ups der Porträts der fünf brasilianischen Militärpräsidenten von 1964 bis 1985 mit einem komplizierten Druckverfahren auf die Köpfe rostfreier Stahlnägel aufgetragen. Hunderte in eine MDF-Platte getriebene Nägel ergeben jeweils einen vergrößerten Porträt-Auszug der Herren Castelo Branco, Costa e Silva, Médici, Geisel und Figueiredo. Im Mittelpunkt jedes der 20 Kilogramm schweren Bilder steht derselbe geschlossene Mund.

34 Jahre später trug ihr Nachfolger Bolsonaro zwar nicht die weiße Fliege, mit der die verflossenen Machthaber ihrer Diktatur ein ziviles Gepräge geben wollten, sondern einen dunklen Schlips. In Pagatinis Typologie der Militär-Politiker passt er dennoch. Nicht nur, weil er die Militärdiktatur wiederholt gelobt hatte. Bolsonaros zum Schlitz zusammengekniffener Mund machte die symbolische Kontinuität deutlich: Die starre Staats-Pose, die Verweigerung von Kommunikation. Auch für Pagatini, der im Jahr 1985 als Kind italienischer Einwanderer in der südbrasilianischen Stadt Caixas do Sul geboren, ist der neue Präsident ein Alptraum. Trotzdem sagt er, man dürfe sich nicht einfach auf "eine Figur einschießen". Pagatini wurde nicht als politischer Widerstands-Künstler geboren. Mit seinem Lockenkopf, dem Wollpulli und in seinem grünen Parka wirkt der Künstler, seit 2013 Professor für Druckgrafik an der Universität des brasilianischen Bundesstaates Espírito Santo (UFES), eher wie einer seiner Studenten. Während eines Besuchs in Berlin warnte er Ende Februar seine Zuhörer bei einem Symposium in der Berliner Kunsthochschule Weißensee: "Wir müssen die Strukturen im Auge behalten". Und erinnert daran, dass in seiner Heimat gerade die Waffengesetze gelockert wurden. Und die Regierung, wie in den Siebzigerjahren Augusto Pinochet in Chile, die sozialen Dienstleistungen wie Bildung und Gesundheit privatisieren will.

Er beweist, dass die alte Technik der Druckgrafik in der Ära der Digitalisierung eine Zukunft hat

Es war die alltägliche Erfahrung von Unterdrückung in seinem Land, die ihn zu einer ästhetischen Langzeitrecherche bewegte, die im Mittelpunkt seiner Kunst steht. "Ich wollte die Gewalt als Element unserer Kultur verstehen lernen" erklärt er den Studenten, warum er sich politischen und historischen Themen zuwandte.Druckgrafik und Holzschnitt, Pagatinis bevorzugte Medien, lagen für ihn nahe. Sein Vater war Tischler. "Ich habe heute noch den Geruch in der Nase. Es roch immer nach Holz", erzählt er in einem Workshop an der Berliner Kunstschule.Er betreibe die Druckgrafik aber nicht um ihrer selbst willen: "Sie kann ihre primäre Aufgabe, visuelle Effekte zu produzieren, übersteigern und historische Philosophie werden", doziert er, als er in der Grafikwerkstatt demonstriert, wie er die Nagelköpfe bedruckt hat.

Schon der Vater arbeitete mit Holz: Rafael Pagatinis Holzschnitt "Manipulações- Manipulations" (2016). (Foto: Edson Chagas/Rafael Pagatini)

Eines der markantesten Motive ist das Bild eines brennenden VW-Käfers, das Pagatini im Internet fand, bearbeitete und auf hauchdünnes japanisches Seidenpapier druckte. Die Arbeit "Manipulações - Manipulationen" von 2016 nimmt ein populäres Motiv aus der Zeit der Proteste gegen die brasilianische Militärdiktatur auf. Die Regierung lancierte damals in den Medien, um die Linke terroristischer Gewalttaten zu beschuldigen, die sie selbst instruiert hatte. In einem dieser VW-Käfer exekutierte die Geheimpolizei von São Paulo 1969 den marxistischen Befreiungstheoretiker Paulo Marighella. Pagatini präsentiert eine Ikone der Lüge und der Manipulation in der Aura der Authentizität der klassischen Druckästhetik von Dürer bis Munch. Wenn es eines Beweises bedürfte, um zu belegen, dass die scheinbar veraltete Druckgrafik im Zeitalter der Digitalisierung noch eine Zukunft hat - Pagatinis Werk liefert ihn.

Zu sehen ist das Werk in der Ausstellung "O Poder da Multiplicação - die Macht der Vervielfältigung". Mit der Schau, die noch bis Ende März in der Leipziger Spinnerei zu sehen ist, warf das Goethe-Institut in Porto Alegre im vergangenen Jahr genau diese Frage auf. Rafael Pagatinis Arbeit ist nicht nur ein Kommentar zum aktuellen Thema Fake News, ein Kommentar zu einer Ikone des Wirtschaftswunders und der Kollaboration der deutschen Wirtschaft mit den damaligen Machthabern. Sie schärft auch den Blick dafür, wie Bilder konstruiert werden und wie Politik, Geschichte und Erinnerung zusammen hängen. Dass sich das feine Material im Laufe der Ausstellung zersetzt, soll das Gefühl dafür wecken, wie fragil die Erinnerung ist.

Eine ähnlich schwebende Schwere verleiht es Pagatinis Arbeit "Bem Vindo, presidente! - Willkommen, Herr Präsident!" aus den Jahren 2015/16. Monatelang durchforstete Rafael Pagatini dafür die Archive der regionalen Zeitungen, vor allem der "A Gazeta", in Vitória, der Hauptstadt des Bundesstaates Espírito Santo, wo er lebt und lehrt. Für seine Arbeit wählte er Kopien der Anzeigen, die Firmen jedes Mal dann in der Zeitung geschaltet hatten, wenn einer der Militär-Präsidenten zu Besuch kam. Diese trägt er mit Tintenstrahl-Druck auf Haini-Papier auf, die er als großformatige Installation sanft wehender Fähnchen an einer Wand befestigt. Erst wer näher herantritt, versteht, um was es geht. Rafael Pagatini arbeitet mit Motiven aus Politik und Archiv. Aber er manipuliert sie digital, übersetzt sie zurück ins Analoge und bricht sie poetisch. Politkunst im landläufigen Sinne ist das nicht. Eher der intelligente Versuch einer politischen Ästhetik, die über die Techniken der Verwandlung funktioniert. "Ich habe noch nie ein Porträt von Bolsonaro in meiner Arbeit verwendet", unterstreicht er seine Reserve gegenüber einer abgenutzten Kategorie. Dennoch ist er mit seinen Arbeiten zum Protagonisten einer, in der Phase der Re-Demokratisierung seit 1985 geborenen, Künstlergeneration in Brasilien geworden. Sie versucht genau die etablierte Geschichtsnarration zu unterlaufen, die die Militärs schon 1979 mit ihrem Amnestiegesetz zementieren wollten. Dass sich die großen Firmen des Landes in den vergangenen Jahren in ähnlichen Anzeigen für die Absetzung der ungeliebten, sozialistischen Präsidentin Dilma Rousseff einsetzen, wie damals für die Begrüßung der Militär-Präsidenten, zeigt für den Künstler die ungebrochene Kontinuität der alten Machtstrukturen der brasilianischen Gesellschaft.

Der brasilianische Künstler Rafael Pagatini während eines Workshops an der Berliner Kunsthochschule Weißensee. (Foto: Ingo Arend)

Kein Wunder, dass Rafael Pagatini besorgt ist über die künftige Entwicklung. "Wir durchleben eine Zeit extremer Unsicherheit. Wir wissen nicht, wie unsere Zukunft aussehen wird. Kunst und Kultur sind ein Teil der Diversität, gegen die sich das autoritäre Brasilien wendet, das Bolsonaro predigt." In diesem Jahr plant Pagatini eine große Einzelausstellung in seiner Heimat. Drohungen wegen seiner kritischen Arbeiten habe er bislang noch keine erhalten, er sei sich aber darüber im Klaren, dass seine Arbeit mit dem neuen Präsidenten gefährlicher geworden sei. Wenn alles schief läuft in seinem Land, habe er immer noch seinen italienischen Pass - sagt es und öffnet dabei den Mund zu dem offenen Lachen, das ihn von den Politikern in seiner Heimat unterscheidet.

Die Macht der Vervielfältigung ist noch bis zum 23. März in der Leipziger Baumwollspinnerei

© SZ vom 07.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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