Süddeutsche Zeitung

Kunst:Das Sandmännchen ist nicht da

Nathalie Djurberg wurde mit Psycho-Knetanimationen zum Star der Kunst. Doch ihre Schau in Frankfurt wirkt nur noch opulent. Die bunten Tiere, die jetzt auftreten, sind einfach nicht mehr fies genug.

Von Till Briegleb

Der Trickfilm besitzt eine lange Vorgeschichte der Grausamkeit. Von den Looney Tunes bis zu Spongebob wird gemetzelt, was das Zeug hält. Aber in der langen Tradition von zerbombten, abgestürzten, durchlöcherten, skelettierten oder verbrannten Charakteren, über deren Unglück gelacht wird, gab es trotzdem lange Tabus, die nie verletzt wurden - jedenfalls bis die "South Park"-Macher damit begannen, genau diese auszuweiden. Sex war tabu, echter Ekel ebenso, und politische und soziale Gewaltthemen wie Missbrauch, Rassenhass, staatliche Übergriffe oder Krieg fanden die Trickfilmer auch nicht animierungswürdig.

Als Nathalie Djurberg vor 15 Jahren damit begann, aus dem Fundus dunkler Geschichten einen neuen Horror zu kneten, der die "lustige" Gewalt und die darin codierten sexuellen Anspielungen drastisch auserzählte, da gab es also noch eine Menge Rollläden, Talare und Masken hochzuziehen. 2006, auf der vierten Berlin-Biennale, kitzelte die schwedische Künstlerin bereits mit großem Erfolg am Schockpotenzial. In ihren ersten kurzen Plastilin-Filmen, die im sichtbar wackeligen Stop-Motion-Verfahren animiert sind, erzählte sie von der sodomitischen Beziehung eines Mädchens zu einem Tiger, der ihr ständig den Po leckt, oder von einem Vater mit zwei Töchtern in ausgesprochen anzüglichen Spielen mit Hinternversohlen. Und mit ihrer Installation auf der Venedig-Biennale 2009, einem Garten aus fleischigen Riesenpflanzen, in dem drei Zerstückelungs-Märchen mit eindeutigen Bezügen zum Kindesmissbrauch in der katholischen Kirche gezeigt wurden, war Djurberg schlagartig weltberühmt als die Frau, die Wallace & Gromit mit de Sade kreuzt. Wobei die Tatsache, dass sie eine Frau ist, die im scheinbar exklusiv männlichen Blut-Sex-Horror-Genre so radikal auftritt, ihre Operetten über Sadismus und Autoaggression zum Phänomen werden ließen.

In der Frankfurter Schirn, die nun als dritte Station nach dem Moderna Museet in Stockholm und dem Mart im italienischen Rovereto ihre große Retrospektive "A Journey Through Mud and Confusion with Small Glimpses of Air" zeigt, sind diese ersten Jahre, inklusive der Biennale-Installation, ausführlich präsent. Mal persifliert Djurberg mit ihrem grob geformten Knetstil das Dreamworks-Märchen "Shrek" als Parade fieser Ku-Klux-Klan-Rassisten, die schwarze Menschen in Lebkuchenform zerstören. Daneben verhöhnt sie Modeshows, indem sie das Stutenbeißen der Models zu einer Demütigungs-Choreografie umformt. Sie feiert die Verwesung eines Körpers im Wald als lustigen Geistertanz mit vielen ekeligen Maden und putzigen Waldtieren. Und in einem Kartoffelkino mit Keimen auf der Haut sieht man einen Wolf, dem ein Kind aus dem Hintern wächst, sowie fünf nackte Kinder, die gewaltsam zurück in den Uterus ihrer Mutter drängen.

Mit herzlich wenig Feingefühl und drastischem Humor erfand sich Djurberg eine Psycho-Welt, wie sie wäre, wenn man Menschen ungehemmt von der Leine ließe. Schamgefühl stumm gestellt, Schmerzempfinden blass, anarchische Freude riesengroß. Und in diesen Setzungen beschäftigte sich Djurberg mit allem, was eigentlich nicht geht, von Sodomie bis Nekrophilie, mit dem Tun also, das akribisch verborgen wird, ohne zu verschwinden. Und diese Freude an infantilen Albträumen, inszeniert als märchenhafte Kurzgeschichten, untermalte ihr Lebenspartner Hans Berg (der mittlerweile als gleichberechtigter Partner aufgeführt wird) mit kindischen Melodien, wie sie zum 70er-Porno und zum Kinderkarussell gehören.

Statt unbehaglicher Pflanzen sieht man nun bunte Fantasievögel

Doch irgendwann in den letzten Jahren wurde dieses Grauen der possierlichen Entfleischungen plötzlich reif und erwachsen. Die nackten Körper erscheinen jetzt super ausgeleuchtet, die Bewegungen flüssig, das Personal attraktiv und bunt wie in einer Flughafenboutique. Statt unbehaglicher Pflanzen, die man auch ohne Museumswärter im Rücken lieber nicht anfassen möchte, versammeln sich in den Sälen mit den neuen Arbeiten bunte Fantasievögel, die auch im Foyer eines Google-Hauptquartiers willkommen wären. Und die meisten der neuen Videos wirken wie eine Bewerbung für künstlerische Kanye-West-Videos, wo mit goldenen Maiskolben, aufgepumpten Popos und Harleys aus Wurst plötzlich sehr protzige Pop-Ästhetik aufscheint. In einem Video wird ein bisschen "Alice im Wunderland" zitiert, ein anderes zeigt ermüdend lang nacktes Afro-Voodoo im Wüstensand mit maskierten Schlangen. Die malkastenfarbigen Tiere, die immer mehr zu Hauptfiguren werden, lassen echte Zwielichtigkeit für banale Gier und Gehässigkeit vermissen. Plötzlich fühlt man sich nicht mehr eingeladen ins Unterbewusste, sondern abgefüttert mit Sandmännchengeschichten für Chill-Alkoven in teuren Diskotheken am Meer.

Das Gemeine, Fiese und rücksichtslos Treffende der ersten zehn Jahre Knet-Horror taucht eigentlich nur noch in einer aktuellen Arbeit wieder auf, einer klaustrophobischen Zerrissenheitsstudie, bei der eine Schlangenfrau ihr unschuldiges Baby abwechselnd zerfetzen und lieben möchte. Man verlässt ein wenig ratlos über diese unverständliche Selbstzähmung die große Schau in Frankfurt, wo alles, was früher provozierend und subversiv wirkte, plötzlich appetitlich scheint. Ist das vielleicht das Resultat einer destruktiven Political-Correctness-Diskussion, bei der immer öfter das Abbild hässlicher Seiten der Welt als persönliche Meinung missverstanden und denunziert wird, sodass es wie eine Forderung nach Selbstzensur in der Kunst wirkt? Das Rätsel der früheren Arbeiten ist jedenfalls umgeknetet zu einer rätselhaften Oberflächlichkeit. Demnächst auch als Louis-Vuitton-Tasche?

A Journey Through Mud and Confusion with Small Glimpes of Air. Schirn, Frankfurt. Bis 26. Mai. Der Katalog kostet 45 Euro.

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SZ vom 13.03.2019
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