Kunst:Das Leben kam dazwischen

Die Malerin Pi Büchner debütiert mit ihrer ersten Ausstellung - und feiert 90. Geburtstag

Von Sabine Reithmaier

Pi Büchner geht voran. Vorbei am Flügel, an dem sie täglich übt - "Bach, was sonst" - hin zu den Sofas mit Kissen in allen Größen und Farben. Zwischen den Scheiben der Kastenfenster tummeln sich indische Stoffpferde, gläserne Schafe aus Glas und kunstvoll geschliffene Vasen, vom Kronleuchter baumeln Kugeln. Auf den Stühlen und Tischen stapeln sich Bücher und Fotos, an den Wänden drängen sich Gemälde und Zeichnungen, fast alle von Pi Büchner gemalt. "Lauter altes Zeug", sagt sie, schüttelt ihre roten Locken und weist energisch auf das einzige "neue Teil" im Wohnraum hin: eine Corbusier-Liege. "Mit etwas muss ich mich als Kind der Gegenwart ausweisen." Ihre kraftvollen Bilder signalisieren das zwar viel eindeutiger, aber das genügt wohl nicht.

30 Jahre war sie alt, als sie in dieses Haus zog, schwanger mit dem zweiten Kind. Im April feiert sie ihren 90. Geburtstag und lebt immer noch hier. Nicht allein, "dafür habe ich gesorgt." Mit ihr wohnen Musikstudentinnen, unterm Dach eine Klarinettistin, im Gartenhaus eine Sopranistin. Die körperlichen Gebrechen des Alters verschonen auch sie nicht. Gelegentlich stürzt sie, "weil ich zu schnell bin". Vor nicht allzu langer Zeit hat sie sich die Hüfte gebrochen. Der Rücken schmerzt auch dauernd, sehr sogar. Pi Büchner seufzt. Aber ihre Unabhängigkeit aufzugeben kommt nicht in Frage. "Ein Einzelzimmer mit einer traurigen Frau darin, das ist nichts für mich, ich muss meinen Garten sehen."

Die zierliche Frau serviert schwarzen Tee und redet weiter. Wahrscheinlich sei das Erzählen ihr stärkster kreativer Trieb, mutmaßt sie dann und überlegt, ob sie nicht doch besser ein Buch schreiben sollte. Falls das mit den Farben und den Pinseln irgendwann zu mühsam wird. Gemalt hat sie fast ihr ganzes Leben lang, aber ausgestellt nie. Warum? Pi Büchner wiederholt das Fragewort zwei-, dreimal. "Vielleicht weil ich noch mehr lernen wollte", sagt sie. Zeitlebens habe sie sich selbst eingeordnet, sich vorzustellen versucht, ob ihre Bilder neben den Gemälden anerkannter Künstler bestehen würden. Hatte sie Angst vor einem Versuch? "Das nicht", sagt sie und dehnt das a ganz lang. "Ich mochte es nicht, ich dachte, du wartest schön." Und ihr Ton deutet an: Widerspruch zwecklos.

Geboren wurde sie 1927 als Magdalene Pilgenroeder im Bielefelder Stadtteil Bethel, jenem Viertel, in dem sich die Bodelschwinghschen Stiftungen seit dem 19. Jahrhundert für Menschen einsetzen, die auf Hilfe angewiesen sind. Magdalene war die dritte von vier Schwestern. "Alle tot - bis auf mich", sagt sie und kramt nach einem Foto, das alle vier im Jahr 1972 zeigt.

Vier Jahre nach ihrer Geburt zog die Familie nach Hagen; der Vater, als Bethel-Diakon im Einsatz für die Ausgegrenzten der Gesellschaft, war dorthin versetzt worden. Die drei Schwestern, beeinflusst von seinem Engagement, wurden Krankenschwestern. Magdalene - mit e, weil dem Vater das a zu katholisch klang - wollte unbedingt ihre kreativen Talente nutzen, begeisterte sich für vieles. "Ein bisschen Außenseiter war ich immer." Aber nur ein bisschen, weshalb der Ausbruch in die kreativen Gefilde moderat ausfiel, die Eltern einverstanden waren. Pi hieß sie übrigens damals schon. Eine Schulfreundin hatte den Familiennamen auf zwei Buchstaben verkürzt, der Spitzname blieb hängen. Sie schrieb sich in der Dortmunder Werkkunstschule ein, schrieb sich, ganz brave Tochter, für Textilgestaltung ein. "Aber Sticken war nicht so mein Ding." Das erkannte auch Walter Herricht, Bauhausschüler und Chef der Schule. Dafür begeisterten ihn ihre Zeichnungen, er schickte sie sofort zur Freien Grafik.

Nach der Ausbildung stand sie 1951 erst mal auf der Straße. Weil untätig sein in ihrer Familie aber nicht vorgesehen war, half sie im Rheinland einer kranken Tante im Haushalt. Bei ihren Einkäufen schmökerte sie täglich in Kunstbänden. Die Mitarbeiter der Buchhandlung fanden sogar eine Stelle für sie: bei J. J. Heckenhauer in Tübingen, wo sich schon Hermann Hesse zum Buchhändler hatte ausbilden lassen. "Da musste ich doch hin." Pi Büchner strahlt, als sie von den Jahren in Tübingen erzählt. Vielleicht sei das ihre allerschönste Zeit gewesen, überlegt sie. "Man war frei, kannte aber alle, die ganze tolle Szene." In jenen Jahren entschloss sie sich, ihre künstlerische Ausbildung fortzusetzen, absolvierte erst noch die Buchhandelsschule in Köln. Dann ging sie nach München, übernahm bei Kaiser im Rathaus die theologische Abteilung. Es hätte bessere Angebote gegeben, aber sie hatte fest vor, sich an der Akademie zu bewerben.

Das Leben kam ihr dazwischen. Erst traf sie ihren Ehemann, den Verlagsvertreter Christian Büchner - in irgendeiner Linie tatsächlich verwandt mit Georg Büchner - und bekam zwei Söhne, Cornelius und Felix. Dass sie aufhörte zu arbeiten und sich intensiv den Kindern widmete - eine Selbstverständlichkeit. "Herrlich war es, wenn auch anstrengend." Der Mann war viel auf Reisen, die Ehe schwierig. "Wir haben uns getrennt, als die Söhne aus dem Haus waren", sagt Pi Büchner. Klingt einfach, war es aber nicht. "Ich bin lang mit einem dicken Herzen rumgelaufen."

Erst als der jüngere Sohn kurz vor dem Absprung war, suchte sie auf dem Speicher nach ihren alten Zeichnungen und entschied, jetzt sei es an der Zeit, wieder zu malen und zu lernen. Mitte 50 war sie alt, als sie sich an der Akademie bewarb und viel spöttisches Grinsen erntete. "Ich lief von einem zu anderen." Rudi Tröger bot ihr an, in seiner Klasse zu hospitieren. Doch dann lernte sie während einer Sommerakademie in Salzburg Wolf Vostell, Bildhauer, Maler, Happeningkünstler und Wegbereiter der Fluxusbewegung, kennen. "Er brachte mir bei, meine eigenen Sachen ernster zu nehmen."

Pi Büchner schweigt. Vostells Zuspruch tat ihr gut. Zum ersten Mal Lob von einem Künstler, nicht von irgendeinem, sondern von einer Persönlichkeit, die sie anerkennen konnte. Vostell setzte sich 1985 sogar ins Auto, fuhr nach Gräfelfing und sah sich alle ihre Bilder an. Er war begeistert, riet ihr auszustellen. Pi Büchner zögerte. "Ich konnte das nicht so ernst nehmen", sagt sie dann, fast so als müsse sie sich entschuldigen. Warum nicht? Sie zuckt die Schultern. Vielleicht die Erfahrung des Bombenkrieges. "Das tiefe Erschrecken - ich kann das niemals vergessen, das relativiert so viel." Vielleicht - darüber mag sie nicht groß nachdenken - auch die Folgen einer strengen Erziehung, die es ihr nicht erlaubte, sich selbst gut zu finden.

Kunst: Gemalt hat Pi Büchner fast ihr ganzes Leben. Zum 90. Geburtstag stellt sie ihre Werke erstmals aus.

Gemalt hat Pi Büchner fast ihr ganzes Leben. Zum 90. Geburtstag stellt sie ihre Werke erstmals aus.

(Foto: Margret Paal)

Die Freundschaft währte 15 Jahre, endete mit dem Tod Vostells 1998. "Viel zu früh, viel zu plötzlich", sagt Pi Büchner und holt eine kleine Zeichnung, die er ihr geschickt hatte. Zu früh für eine Künstlerin, die lange brauchte, bis sie den Glauben an sich selbst fand. Ihre Beziehung zu Hermann Nitsch später blieb distanzierter. "Sie kam als reife Künstlerin zu uns und es hat ihr gutgetan", notierte er. Und sie kommentiert lakonisch: "Ich musste mir nicht Nitsch vorstellen, um gerader zu gehen."

Oben im Atelier stapeln sich die Bilder in allen Formaten. Andere stehen gerollt in Ecken, liegen am Boden. Dazwischen Zeichnungen, Skizzen, Radierungen - "ich drucke auf meiner Presse im Keller". Meist stehen Menschen im Mittelpunkt - "ich beginne oft mit dem Kopf" - expressiv verfremdet, verzerrt, in starken Farben. Wie viele Bilder sie gemalt hat - keine Ahnung. "Mein Sohn behauptet, es wären 800." Das glaubt sie nicht. Jetzt eine erste Werkschau, die sie selbst gewollt hat und die dank des engagierten Gräfelfinger Kunstkreises vermutlich sehr gut ausfallen wird. Ein wenig neugierig ist sie schon darauf, was die Außenwelt zu ihren Bildern sagt. Aber bloß keine Übertreibung. "Wenn der Rummel vorbei ist, muss ich dringend wieder arbeiten." Wäre ja noch schöner, wenn sie sich von einer einzigen Ausstellung aus dem Konzept bringen lassen würde.

Pi Büchner. Ein Leben für die Kunst, Do., 30. März, bis So., 30. April, Mo., Di., Do., Fr.: 8-12 Uhr, Mi. 8-18 Uhr, So. 15-18 Uhr, Neues Rathaus, Ruffiniallee 2, Gräfelfing, Vernissage am 29. März, 19 Uhr

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