Süddeutsche Zeitung

Kunst:Das Ende der verklärten Bilder

Nach den Recherchen zu Emil Nolde und seiner nationalsozialistischen Gesinnung nimmt nun das Brücke-Museum in Berlin die anderen Brücke-Maler in einer dichten Lese- und Materialausstellung unter die Lupe.

Von Till Briegleb

Emil Nolde war Mitglied der Künstlergruppe Brücke. Alle Brücke-Maler (außer dem vorher in die Schweiz ausgewanderten Ernst Ludwig Kirchner) blieben während des Dritten Reichs in Deutschland. Sind dann also auch die anderen Heroen des deutschen Expressionismus "widerliche Antisemiten" gewesen, wie selbst der Direktor der Nolde-Stiftung, Christian Ring, seinen Künstler bei der kürzlichen Eröffnung der Ausstellung "Eine deutsche Legende" im Hamburger Bahnhof ehrlicherweise bezeichnen musste? Dieser Zirkelschluss liegt nahe, zumal nach dem Bildchen-Wechsle-Dich im Kanzleramt, als Angela Merkel erst ihre Noldes abhängte, dann aber auch ein Bild von Karl Schmidt-Rottluff, als ihr erklärt wurde, dass auch dieser antisemitische Fundstellen in der Biografie hat.

Doch bevor jetzt alle Lebensgeschichten von deutschen Avantgardekünstlern, die nach 1933 in ihrer Heimat geblieben sind, auf das geistige Verrottungs-Niveau von Emil Nolde gezogen werden, lohnt sich das genauere Hinsehen, wie es jetzt die Parallelausstellung "Flucht in die Bilder?" im Brücke-Museum Berlin tut. Kuratiert von Aya Soika, die mit ihrem Mann Bernhard Fulda auch die Nolde-Recherche zur Ausstellungsreife gebracht hat, sowie Meike Hoffmann, Berlins oberster Provenienzforscherin, zeigt diese dichte Lese- und Materialausstellung ein Bild von Duckmäusertum, Anpassung und Selbstverleugnung, aber keine Belege für aktive Täterschaft wie bei Nolde mit seinem "Entjudungsplan" und Denunziationswillen.

Es war ausgerechnet der Brücke-Kollege Max Pechstein, den Nolde nach der Machtergreifung als "Juden" anzeigte, was diesen dazu zwang, bereits 1933 einen Ariernachweis zu liefern. In einem Brief an den Schweizer Sammler Walter Minnich kommentiert Pechstein diese Nötigung aber klar: "Daß ich kein Jude bin, haben sie inzwischen eingesehen. Wäre ich es, so würde ich mir auch nichts daraus machen, für mich entscheidet der Mensch, und ich lasse mir meine jüdischen Freunde nicht nehmen, welche ich als zuverlässig und gütig erkannt habe; im Gegensatz zu dem rein arischen Kunsthändler (gemeint ist Wolfgang Gurlitt), welcher mich so skrupellos um den Erlös meiner Hände Arbeit betrogen."

Pechstein malte ein Wandbild mit Hakenkreuz, Heckel ein Triptychon mit Rassejungs

Max Pechstein ist trotzdem der rätselhafteste Fall unter den drei Zentralmalern der Brücke-Gruppe in Deutschland, um die sich diese Ausstellung dreht, denn im Gegensatz zu Erich Heckel, Karl Schmidt-Rottluff und selbst zum Parteimitglied Emil Nolde erhielt der einstige Sozialist Pechstein niemals Berufsverbot durch die Reichskammer der bildenden Künste, was sich auch die Ausstellungsmacher nicht wirklich erklären können. Heckel, der 1934 noch das Treuegelöbnis zu Adolf Hitler unterschrieb - wie mit ihm Nolde, Ernst Barlach, Ludwig Mies van der Rohe, Richard Strauß und Wilhelm Furtwängler -, erhielt drei Jahre später Ausstellungsverbot, Karl Schmidt-Rottluff verlor erst ebenso spät wie Nolde, nämlich 1941, die Parteizustimmung zur weiteren Kunstproduktion, die dem Berufsverbot gleich kam.

Doch im Gegensatz zu ihren vielen jüdischen Sammlern und Förderern wie Rosa Schapire, Alfred Flechtheim oder Thekla Hess, die unter Zurücklassung ihres Eigentums ins Ausland fliehen mussten, oder wie Robert Graetz im Warschauer Ghetto ermordet wurden, waren die Verluste der deutschen Expressionisten "arischer" Abstammung eher solche der Selbstachtung. Alle drei malten nun emsig echten Landschaftskitsch nach dem ungefähren Geschmack der Zensoren, um weiter ausstellen und verkaufen zu können, wie die Ausstellung mit lange verheimlichter Depotware aus dieser Zeit in zahlreichen Originalen beweist.

Max Pechstein entwarf sogar 1934 ein riesiges Wandbild mit Hakenkreuz für einen Wettbewerb der "Kraft durch Freude" und war beleidigt, als er nicht ausgewählt wurde, oder er tuschte für eine Grußkarte an die nazitreue Verwandtschaft seinen Sohn im Kostüm der Hitlerjugend. Heckel schuf unter anderem ein Triptychon mit nacktbadenden Rassejungs, das in Hitlers "Großer deutscher Kunstausstellung" niemandem als renitent modern aufgefallen wäre. Und Schmidt-Rottluff aquarellierte als spätes Echo des Gruppennamens von 1905 nun eine Autobahnbrücke als romantisches Motiv der Deutschlandverklärung.

Dass alle drei wie auch Kirchner und der bereits 1930 verstorbene Otto Mueller mit insgesamt 73 Werken auf der Wanderausstellung "Entartete Kunst" 1937 vertreten waren (dazu Nolde mit 33), war für die Künstler dann auch ein Schock. Denn sie hielten sich und ihre Kunstauffassung durchaus für kerndeutsch. Schließlich hatten sie in dem nationalsozialistischen Expressionismusstreit in den ersten Jahren des Dritten Reichs, als es darum ging, ob die Brücke-Kunst und die ihr verwandten Erscheinungen in Architektur und Handwerk nicht die natürliche Ausdrucksform des deutschen Menschen seien, als Kronzeugen blutreiner Staatskultur gedient - wovor man auch schon mal hätte ins Ausland fliehen können, wenn es einem wirklich zuwider gewesen wäre.

Aber nach dem Krieg verhalf eben diese Schmähung als "entartet" den Brücke-Kollegen sofort zum Sockel der Opfer-Prominenz. Zusammen mit Nolde, der seine braune Vergangenheit erfolgreich vertuschen konnte, erhielten Heckel, Pechstein und Schmidt-Rottluff den Heiligenschein des Widerstandskünstlers inklusive Professuren, Ehrungen, Ausstellungen und Funktionärstätigkeiten im "Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands", wo sie die Re-Education der germanischen Kulturseele unter amerikanischer Aufsicht leiten sollten.

Nach dem Krieg bekamen die Maler den Heiligenschein des Widerstandskünstlers

Prominente Kunsthistoriker wie der Gründungsdirektor des Brücke-Museums Leopold Reidemeister verstärkten dann mit ihrem Wunsch nach einer Rehabilitierung vormals verfemter Kunst die Mythenbildung um die Brücke-Maler, indem sie die nicht ganz richtige Erzählung von der "inneren Emigration" erfanden oder in Motive wie etwa einer Brücke mit Eisbrecher "Metaphern des Widerstands" hineininterpretierten.

Wie bei Nolde und der ihn vertretenden Stiftung in Seebüll brauchte es auch im Brücke-Museum einen Wechsel an der Spitze, um sich endlich mit mehr Ehrlichkeit dem verklärten Opferbild zu nähern. Lisa Marei Schmidt, die seit 2017 das kleine Museum im Grunewald führt, hat diese Ausstellung möglich gemacht, die nun nüchtern und faktenreich die Re-Education ihres Stammpublikums und der weiteren Öffentlichkeit betreibt, die in den schönen Bildern und Skulpturen, die das Museum verwahrt und ausstellt, einfach nur große Kunst sehen wollen.

Aber zur neuen Kontextualisierung im Sinne größerer Aufrichtigkeit gehört auch die hier präsentierte Information, dass Schmidt-Rottluffs angeblicher Antisemitismus sich auf zwei frühe Äußerungen aus seiner Soldatenzeit im ersten Weltkrieg bezieht, wie man sie vermutlich bei nahezu jedem Künstler jener Jahre finden könnte, der nicht selbst jüdisch war. Im Dritten Reich hält er dann intensiven freundschaftlichen Kontakt zu Rosa Schapire und fällt offensichtlich auch sonst nie durch Ergebenheit gegenüber der Staatshetze auf. Man könnte also "Häuser unter Bäumen" wieder aufhängen, wenn man im Kanzleramt grundsätzlich anerkennen kann, dass Menschen in ihrer Jugend idiotische Dinge sagen oder tun, für die man nicht ihr gesamtes Lebenswerk in Haftung nehmen sollte.

Flucht in die Bilder? Bis 11. August. Brücke-Museum, Berlin. Katalog (Hirmer Verlag) 45 Euro.

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Quelle:
SZ vom 25.04.2019
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