Kunst:Das Andere, das Fremde

Die Ausstellung "Primäre Gesten" in der Alexander-Tutsek-Stiftung

Von Evelyn Vogel

Manchmal trägt sie eine Idee über Jahre mit sich herum. Diese kann wachsen und sich verändern, größer werden oder sich verengen und mitunter - aber das ist wohl eher selten - wird eine solche Idee auch als unerfüllbar ad acta gelegt. Meist aber entsteht aus dieser Idee eine Ausstellung. Und weil Eva-Maria Fahrner-Tutsek Ausstellungsideen zur Grundlage ihrer Sammlungs- und Ankaufsstrategie gemacht hat, wächst auch die Kunstsammlung der von ihr und ihrem inzwischen verstorbenen Mann im Jahr 2000 in München gegründeten Alexander-Tutsek-Stiftung kontinuierlich.

19 Jahre nach Gründung der Stiftung zur Förderung von Kunst und Wissenschaft und 15 Ausstellungen später - die erste fand 2004 statt - besteht die Sammlung aus etwa 600 Exponaten. Ein Viertel davon sind Fotografien, drei Viertel Glasobjekte. Denn der Glaskunst gilt - neben der Fotografie - das besondere Interesse der Stiftungsvorsitzenden. Ankäufe sind für sie essenziell, zum einen zur Unterstützung der Künstler, zum anderen, um die Ideen und Ziele der Stiftung der Öffentlichkeit dauerhaft deutlich zu machen. Leihgaben finden sich nur selten in ihren Ausstellungen und wenn dann nur, um die Strategien zu verdeutlichen.

"Stiftungen sammeln anders als Museen, aber auch anders als Privatsammler", ist Fahrner-Tutsek überzeugt. Privatsammler hätten alle emotionalen Freiheiten. Museen seien eher Bewahrer, die durch ihre Sammlungsstrategien Epochen deutlich machten. Aufgabe von Stiftungen sei es, "zu bewegen - nicht zu belehren, aber anzuregen". Und weil das Herstellen neuer Zusammenhänge immer anregend ist, weil Neuentdeckungen Sammler wie Betrachter bewegen, wird Fahrner-Tutsek nicht müde, durch die Welt zu reisen auf der Suche nach der Weiterentwicklung ihrer Ausstellungsideen.

Kunst: Robert Rauschenberg: Untitled. Aus "Study for Chinese Summerhall", 1983.

Robert Rauschenberg: Untitled. Aus "Study for Chinese Summerhall", 1983.

(Foto: Sammlung Alexander-Tutsek-Stiftung/Robert Rauschenberg Foundation/Graphicstudio, University of South Florida, Tampa/VG Bild-Kunst, Bonn 2019)

Auf die aktuelle Ausstellung "Primäre Gesten" verweist sie deshalb auch nicht ohne Stolz. Fahrner-Tutsek versteht sie als Fortführung der vorangegangenen Ausstellung "Das Andere Sehen", bei der schon der grammatikalisch doppeldeutige Titel auf das Andere im Vertrauten wie das andere im Sinne des verschiedenen Sehens hindeutete. Beides mit dem Ziel, das Unvertraute zu erkunden und Brücken zu bauen. Auch bei den "Primären Gesten" steht ein Brückenschlag im Mittelpunkt.

Robert Rauschenberg, der trotz der Vielfalt der Techniken, mit denen er künstlerisch in Erscheinung trat, vor allem als Maler und Vertreter der Pop Art in Erinnerung blieb, war auch Fotograf. Und geleitet von dem Gedanken, das Andere, das Fremde zu erkunden, ging er Anfang der 1980er-Jahre nach China. Mit einer Hasselblad-Kamera reiste er durch das Land und fotografierte das ihm Fremde. Dabei wahrte er einerseits eine starke Distanz zu den Menschen, die selten in den städtischen und ländlichen Szenerien auftauchen. Andererseits verlieh er der Serie durch den Einsatz von Farbdiafilmen eine große Wärme. Die daraus entstandene riesige Bildmontage "Chinese Summerhall" wurde sehr erfolgreich erst in den USA, dann in China gezeigt. 28 Motive daraus edierte Rauschenberg 1983 unter dem Titel "Study for Chinese Summerhall" in zwei unterschiedlichen Formatserien, gekennzeichnet als "Printers Proof". Eva-Maria Fahrner-Tutsek hat die vollständigen Serien erworben und zeigt sie nun in der Jugendstilvilla der Stiftung in Schwabing.

Daneben sind - nicht minder bedeutsam - Neuerwerbungen von Glasobjekten von Mona Hatoum, Hassan Khan, Jana Sterbak und Terry Winters zu sehen. Die in Beirut geborene, in London lebende Hatoum zählt dabei zu den Künstlern, die immer wieder in den Ausstellungen der Stiftung auftauchen - anders präsentiert, verändert gesehen, neu entdeckt. Ihre Bodenarbeit aus schwarzen Glasmurmeln nimmt sich in dem halbrunden Raum der Villa aber auch besonders gut aus. Auch die von Zen-Kunst inspirierten Arbeiten der Kanadierin Sterbak fügen sich vielfältig in den Sammlungskosmos ein. Die biomorphen Gebilde des amerikanischen Künstlers Terry Winter, die mit ihren Holzkeilhalterungen wirken, als würden sie nur Zwischenstation machen, sind eine Entdeckung.

Kunst: Eine weitere unbetitelte Fotografie von Robert Rauschenberg, die in der Ausstellung "Primäre Gesten" zu sehen ist.

Eine weitere unbetitelte Fotografie von Robert Rauschenberg, die in der Ausstellung "Primäre Gesten" zu sehen ist.

(Foto: Sammlung Alexander-Tutsek-Stiftung/Robert Rauschenberg Foundation/Graphicstudio, University of South Florida, Tampa/VG Bild-Kunst, Bonn 2019)

Und ein Solitär ist der schwerelos scheinende gläserne Seilknoten von Hassan Khan. Der junge britisch-ägyptische Künstler, der 2012 auf der Documenta 13 ausstellte, wurde vor zwei Jahren mit dem Silbernen Löwen der Biennale von Venedig für den "most promising young artist of this year" ausgezeichnet. Mittlerweile wurde Khan als Professor an die Frankfurter Städelschule berufen. Ein weiterer Ankauf, der belegt, wie stringent die Sammlungsstrategie der Alexander-Tutsek-Stiftung verläuft.

Primäre Gesten. Fotografien aus China von Robert Rauschenberg und Arbeiten in Glas von Mona Hatoum, Hassan Khan, Jana Sterbak und Terry Winters, Alexander-Tutsek-Stiftung, Karl-Theodor-Straße 27, bis 30. August, Di-Fr 14-18 Uhr

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