Der Auftritt in den Farben des Sternenbanners beginnt mit einem klassischen Aufschwung, Brücke und Handstand, die ganze überdrehte Grazie, Pflicht und Kür einer turnenden Olympionikin im blau-roten, weiß bestrassten Elastikanzug, auf ihrer Schulter prangt das Emblem "USA". Vor der Tür trabt ein Läufer in der Junihitze, auch er ist ehemaliger Olympia-Champion.
Doch was sind das für Disziplinen: Das Laufband dreht sich auf den Ketten eines sandfarbenen Panzers, der umgedreht ratternd daliegt wie ein gestrandeter Käfer, und die Turner wirbeln nicht über Matte, Schwebebalken und Pferd - ihre Geräte sind Skulpturen aus bemaltem Holz, exakte Kopien der Komfort-Schlafsessel aus den Business-Class-Kabinen von Delta und American Airlines.
Jennifer Allora und Guillermo Calzadilla haben Bild-Schablonen übereinandergelegt, die zwar fugenlos passen, jedoch nicht wirklich zusammengehören: Krieg. Geschäftsreise. Olympischer Wettstreit. Es geht um Repräsentation, um das Versprechen statischer Ruhe bei 800 Kilometern pro Stunde. Um fairen Kampf und sauberen Krieg. Um nationale Leistung. Darum, dass Fortschritt immer auch mit Weiterkommen zu tun hat, mit Landnahme. Und die Biennale von Venedig, die älteste Weltkunstschau überhaupt, ist die Kulisse, vor der die endlosen Exerzitien in aller Gnadenlosigkeit aufgeführt werden, monatelang.
Dass der 1971 auf Kuba geborene Guillermo Calzadilla nicht einmal einen amerikanischen Pass besitzt und mit der drei Jahre jüngeren Amerikanerin Jennifer Allora seit Mitte der neunziger Jahre in Puerto Rico lebt und arbeitet, spiegelt, was sich in Venedig schon lange abzeichnet: Dass Künstler zwar gerne zur Großschau anreisen, dort aber ihre Vorbehalten gegen deren wesentlichen Elemente - die Pavillons und den Gedanken der Nation - formulieren.
Salman Rushdie, er ist auf der Künstlerliste des Pavillons der Roma aufgeführt, formulierte es während seiner Lesung: Die Kunst und die Künstler seien prinzipiell staatenlos und so die Avantgarde der Gegenwart: "Wer nicht verwurzelt ist, muss sich auf neue Weise erfinden, eine andere Person sein - nennt ihn glücklich oder verflucht, er ist das Massenphänomen unserer Zeit."
Die Welt der Kultur rotiert unter den Füßen der Wandernden - und wo man nicht auf der Stelle tritt, ist diese Reibung der pure Energiegewinn. Yael Bartanas Beitrag setzt genau dort an - indem sie das fiktive "Jewish Renaissance Movement in Poland" gegründet hat, eine Bewegung, die zur Rückkehr des jüdischen Volkes nach Polen aufruft.
War man im Vorfeld erstaunt, dass ausgerechnet Polen, das immer noch am Image des nationalistischen, konservativ-katholischen Landes krankt, eine israelische Künstlerin nominiert, so ist das Ergebnis atemberaubend: Eine Videotrilogie malt die Scharade im Stil des Propagandafilms aus, man sieht entschlossene Kerle und junge Frauen mit Kopftüchern, die versuchen, innerhalb von 24 Stunden in Warschau eine Siedlung zu bauen.
Als gälte es, die Wüste urbar zu machen, wird gegraben, gehämmert, geschleppt. Aus grobem Holz errichten sie in der Großstadt Baracken, Wachturm, Zaun - ein Camp, das aussieht wie eine Kreuzung aus Kibbuz und Konzentrationslager. Der anschließende Film zeigt eine Feier, für die Bartana Hunderte Statisten in Warschau versammelt hat, keine platte Inszenierung, die das Pathos solcher Aufmärsche ironisiert, sondern eine Gratwanderung voll bewegender Momente. Ihr Beitrag spielt mit dem Trauma des polnischen Antisemitismus wie mit der zionistischen Landnahme in Palästina, wo die Araber derzeit fordern, dass die Israelis "nach Europa zurückkehren" sollten.
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Überholt - aus künstlerischer Sicht - ist auch die Idee des Pavillons als Ausstellungshaus. Der dänische Pavillon ist um eine Speaker's Corner erweitert, die Niederlande und Spanien widmeten ihre Architekturen zum Theater um, der Brite Mike Nelson importierte aus Istanbul eine Karawanserei mit krummwinkligen Werkstätten und muffigen Kammern, und das Publikum steht begeistert Schlange - als hätte es mit "Totes Haus ur", das Gregor Schneider vor zehn Jahren einen Goldenen Löwen einbrachte, nicht schon die stärkere Setzung gegeben.
Künstlerisch überzeugend dagegen ist "Plan B", die Wasseraufbereitungsanlage, die Ayse Erkmen als türkischen Beitrag in den Arsenalen installiert hat; ein Konstrukt aus Geräten, wie sie das Technische Hilfswerk in Krisengebieten auffährt, nur dass Wassertank, Ultrafiltration und Revers-Osmose durch meterlange, blaue, lila, grüne Rohre verbunden sind.
Alle paar Stunden wird das aufwendig gereinigte Wasser wieder in den brackigen Kanal abgelassen, aus dem man es hochgepumpt hatte. Eine Sisyphos-Arbeit, die den Machbarkeitswahn des 21. Jahrhunderts konterkariert: Ein paar Meter weiter propagiert die Stadt Venedig ihr Mose-Großprojekt auf Riesenplakaten, während die türkische Regierung das Graben eines zweiten Bosporus zur nationalen Aufgabe erklärt hat.
"Plan B" ist künstlerische Grundlagenforschung im politisch kontaminierten Bereich. Noch lieber hätte die Öffentlichkeit, spätestens seit der Verschleppung Ai Weiweis und den Revolten in der arabischen Welt, dass Künstler aus Krisengebieten als beredte Botschafter einen besseren Ausdruck für all die Katastrophen finden als die Bilder der Medien. Alles andere erscheint derzeit als Verrat an der Zeit, am Aufwand, am Publikum, das den Freiraum der Kunst als informative Sonderzone wünscht.
Private Obsessionen können sich nur Künstler leisten, die in stabilen Regionen leben, man würde es wohl keinem Araber verzeihen, wenn er die Gnadenlosigkeit des Zufalls der Geburt beschwört, wie das Christian Boltanski im französischen Pavillon tut.
Unter besonderer Beobachtung steht dagegen, wer nah an Naturkatastrophe, Menschenrechtsverletzung oder Revolution arbeitet: Dass Tobaimo aus Japan eine Riesenwelle auf ein Video-Spiegel-Kabinett projiziert, ist allerdings keine postkatastrophale Illustration, sondern belegt, wie nah die Zivilisation in Japan am Gefahrenbereich gebaut ist - während die Volksrepublik China ungerührt ihre Halle am Ende der Arsenale mit Trockeneis und Tonfläschchen bestückt.
Ein Videotunnel wurde von Pan Gongkai mit Animationen ausgekleidet, in denen unaufhörlich ein Text über die Verbindung zwischen westlicher und östlicher Kunst wie Schnee herabrieselt, ein Effekt, den der Künstler in den Raum hinein mit weißen Plastikbuchstaben verlängert hat; jemand hat "Free Ai Weiwei" daraus gelegt.
In Requiem-Stimmung
Der Libanon musste absagen, einzig Ägypten geht offensiv mit der Herausforderung um, die Kuratorin Aida Eltorie hat mit "Thirty Days of Running in the Space" ein Werk von Ahmed Basiony noch einmal aufgeführt, der auf dem Tahrir-Platz erschossen wurde. Dafür mischte sie auf einer meterlangen Projektionsfläche die Videobilder einer Performance aus dem vorigen Jahr mit Footage aus der Kamera des Künstlers, der bis zu seinem letzten Tag die Ereignisse aufzeichnete - für viele steht damit der Gewinner des Nationenpreises schon fest.
Wobei auch der Deutsche Pavillon in Requiem-Stimmung ist, das Erbe Christoph Schlingensiefs bei jedem Auftritt beschwört und allen Anzeichen nach wohl auch mit einem Preis rechnen darf. In Riesenversalien ist "EGO" über die erste Silbe des "Germania"-Schriftzugs gepinselt; könnte sein, dass man das Schwarz nie von dem hellen Stein abgewaschen bekommt.
Dabei ist eine lautsprecherische Setzung wie "Germania gleich Egomania" im Fluxus-Tonfall höchstens nostalgisch zu rechtfertigen, in ihrer Plattheit muss sie der Generation von Allora & Calzadilla fremd bleiben, oder den ungefähr Gleichaltrigen Olafur Olafsson und Libia Castro, die für Island eine Sopranistin im Gondelboot durch die Kanäle schicken, die dort unentwegt den Refrain "Il Tuo Paese Non Esiste" singt, "Dein Land existiert nicht." Währenddessen fällt im US-Pavillon Chellsie Memmel, die im Jahr 2008 in der Sparte Gymnastik Olympia-Silber holte, in die Grätsche und vollendet damit "Body in Flight (Delta)".
So attraktiv, elastisch und perfekt sehen die Gemälde und Skulpturen der Jetztzeit aus, so weit und so beweglich ist ihr Begriff von der Nation.