Biennale-Eröffnung:Es fehlt der Dreck

Schmierige italienische Politikerporträts, eine Mafiahöhle und brennende Bierflaschen: Wenn an diesem Samstag die Biennale in Venedig eröffnet, will sie sich der Aufklärung widmen und gleicht doch eher einer allzu kritiklosen Lichtschau.

Kia Vahland

Wie schafft man die Kunst ab? China verhaftet seinen wichtigsten Künstler, Ai Weiwei. Das funktioniert nicht gut, seine Arbeiten werden seither umso eifriger ausgestellt und Kollegen zitieren Ais Bildsprache, wie jetzt auf der Venedigbiennale im Arsenale Song Dong aus Peking mit einer Installation aus Schranktüren, die den Durchgang verstellen.

Italien setzt in seinem Pavillon statt auf Zensur auf Überproduktion. Nicht von Kunst, sondern von Vogelscheuchen, die keine noch so billige Trattoria ihren Gästen antun würde: hyperrealistische Gemälde von Granatäpfeln, ein wollener Eisbär mit Knopfaugen, schmierige Politikerporträts, ein blutiger Italienstiefel am Kreuz. Einige der 150 von Prominenten ausgewählten - und meistens mit diesen verwandten oder befreundeten - Hobbykünstler haben schon einmal René Magritte oder Andrea Mantegna gesehen, aber nicht verstanden, andere messen sich gleich an den Straßenkünstlern vom Markusplatz.

"L'Arte non e' cosa nostra" nennt Kurator Vittorio Sgarbi die Schau, und meint damit, Kunst sei nicht das, was die "Mafia" aus Kuratoren und Kritikern als solche betrachte. "Kunst ist nicht unser Ding", ließe sich das Motto auch übersetzen, was die Sache genauer trifft.

Sgarbi hat der echten, mordenden Cosa Nostra einen schwarz ausgepinselten Unterpavillon gewidmet, eine ehrfürchtige Geisterbahn der Mafiakunst. Eine Wand schmückt das Relief einer in Beton versenkten Leiche, von der Decke hängen lebensgroße Ganzkörperfotos der bestgebauten flüchtigen Verbrecher. Bis zur Hochkunst haben es die Ehrenmänner in ihrer Repräsentation anscheinend noch nicht gebracht. Vielleicht interessiert sie Museumsniveau genauso wenig wie den Rest der Gesellschaft.

Die Veranstaltung hat auch ihr Gutes. Wer denkt, die etablierte zeitgenössische Kunst sei generell zu kompliziert oder zu irrational, zu verspielt, zu mächtig oder aus anderen Gründen zu bekämpfen, der wird nach einem Besuch in Sgarbis Baumarkt seine Meinung überdenken müssen. Und wer Gegenwartskunst mag, der weiß nun, dass ein förderndes System aus Museen, Biennalen, Galerien nicht selbstverständlich ist, sondern immer wieder neu verteidigt und begründet werden muss.

Das ist Aufgabe der Kuratorin der Hauptausstellung "Illuminations", Bice Curiger. Wer der Mafiahöhle entstiegen ist, fühlt sich in dem Arsenale und im Zentralpavillon tatsächlich vom Licht geblendet, sei es durch das blaurote Leuchten von James Turrells wunderbar weltferner Kammer oder durch die Kerzendochte, die Urs Fischers raumfüllende Wachskopie einer Statue Giambolognas zum Schmelzen bringen. Licht, Erleuchtung, Aufklärung hat sich Bice Curiger zum Thema gemacht und spannt den Bogen von der sakralen Malerei Tintorettos über Sigmar Polke bis zu Pippilotti Rist.

Lesen Sie weiter auf Seite 2, warum der Biennale mehr Punk gut täte.

Alles will Kunst sein

Das sorgt für starke Effekte, wenn auf weiße Räume Dunkelkammern folgen wie Roman Ondáks Video eines menschenvollen weißen Kunstraumes, der sich langsam leert. Nur: Licht ist die Metapher, auf die sich alle einigen können. Licht soll in der Antike im Schattenriss die Malerei begründet haben, Licht mögen auch die chinesischen Funktionäre, die gerade im Katalog der deutschen Aufklärungsschau in Peking den Kommunismus als sonnige Epoche feiern. Licht und Schatten lassen sich im Westen seit der Renaissance als kunsthistorische Kategorien untersuchen.

Biennale-Eröffnung: Die wunderbare weltferne Kammer des Licht - und Raumkünstlers James Turrell auf der Biennale.

Die wunderbare weltferne Kammer des Licht - und Raumkünstlers James Turrell auf der Biennale.

(Foto: AFP)

Aber reicht das, um den Stand der Gegenwartskunst zu fassen, ihre Dringlichkeit spürbar werden zu lassen? Um sich der Mafia im Nachbarraum und den anderen Übeln der Welt entgegenzustemmen?

Das war nicht das Anliegen von Bice Curiger, sie übt sich in Schweizer Neutralität. Sucht nach formaler Stimmigkeit und schickt den Besucher gleich zu Beginn in den schwarzen Raum mit hellen Fadenkreuzen, den der Strippenzieher Gianni Colombo 1967 konstruierte. Die Fäden schwingen und bringen den Orientierungssinn ins Wanken. Das gelingt auch Tintoretto (1518 bis 1594) in den nach hinten radikal verkürzten Bodenmosaiken seiner Darstellung von der Rettung des Markus-Leichnams. Zwei Figuren scheinen auf dem Marmor ausgerutscht zu sein und liegen danieder.

Das Publikum steht vor diesem und zwei weiteren Großformaten Tintorettos und staunt. Natürlich passt Tintoretto zu Venedig wie die Tauben Maurizio Cattelans, die unter den Decken hocken. Und natürlich beginnt die Moderne nicht erst in der Avantgarde, wie die Biennale von 2009 und die Documenta 2007 suggerierten. Perspektivische Abenteuer, Helldunkelkontraste, egomanische Künstler, Betrachter, denen übel wird vor lauter Sinnesverwirrung, das gab es schon in der Frühen Neuzeit.

Dass die Wahl jetzt gerade auf Tintoretto fällt, liegt an seiner Rezeption im 20. Jahrhundert: Spätestens seit Jean-Paul Sartre gilt der venezianische Färberssohn als verkannter, ehrgeiziger Außenseiter. Einmal hatte er in einem Malwettbewerb noch während der Ausschreibungsfrist sein Gemälde geliefert und montiert, um die Konkurrenten auszustechen. In dieser Unruhe, Eigeninitiative und Autonomielust erkennen die Kinder des Kapitalismus sich wieder. Rein künstlerisch aber war Tizians Antiklassizismus viel folgenreicher für die Moderne. Wie er seine Farben auf die Leinwand schlug, Konturen zerhub und Kompositionen zerfließen ließ wie blutende Körper, das prägt bis heute.

Curiger konfrontiert Tintoretto mit den zarten Blättern von Bruno Jakob. Er malt mit klarem Wasser auf Papier, kommentiert dies aber leider in einem triefenden Gedicht über "Weißes Lächeln", das auch ausgestellt ist. Damit beginnt die Konzeptlosigkeit im Zentralpavillon. Worum geht es hier eigentlich? Um Poesie, Malerei, poetische Malerei? Warum hängen in Sichtweite Tintorettos Jack Goldsteins effektheischende Gemälde vom Himmelsleuchten? Vermutlich, weil der Künstler sich mit dem banalem Geblitze von Abstraktion und Minimalismus absetzte.

Brennende Flaschen

Die allerdings werden an anderer Stelle wieder gepriesen, mit Zweitrangigem wie den optischen Tricks von Navid Nuur. Bice Curiger hat erstaunlich viel gefällige Wohnzimmerkunst geladen, etwa die konventionellen Frauenskulpturen und Stahlplatten von Rebecca Warren oder die süßlichen Degas-Tänzerinnen von Ryan Gander. Besonders bei einigen Italienern fragt man sich, wie sie hierher kamen: Luca Francesconi arbeitet sich an Schaufensterfiguren ab, als hätte es nie die Puppenmanie der Surrealisten gegeben; Giulia Piscitelli scheut sich nicht, Ährenmotive antiker Münzen auf große bunte Seidenvorhänge zu übertragen. Ein Bekenntnis zum Dekor, mehr nicht.

Auch in diesem Mischmasch aber lassen sich Funde machen. Dayanita Singh hat in Neu-Delhi in grafischer Präzision Aktenberge in Archiven fotografiert. Nie würde man hier eine Geburtsurkunde wiederfinden und doch besticht auf den Schwarz-Weiß-Aufnahmen die Ordnung in der Unordnung, der Sinn für das Stapeln vergilbten Papiers, die Struktur eines Raumes voller unbeschrifteter Jutesäcke.

Oder Monika Sosnowska, die ihr Tapeten-Labyrinth mit Fotografien von David Goldblatt kombiniert, der südafrikanische Verbrecher an ihre Tatorte begleitete.

Eher ungeplant wird die Venedigbiennale so an manchen Stellen politisch: Andro Wekua bildet die sozialistischen Bauten seines georgischen Heimatortes nach, doch seine Erinnerung reißt Lücken in die Silhouette und macht die Installation zur Geisterstadt. Und vor dem Arsenale verbrennen die Künstler der Gruppe Gelitin Flaschen Grünen Veltliners, die sie vorher mit ihren Kumpels geleert haben.

Mitten in der Glasbläserstadt häufen sich so die Scherben. Der Punk tut gut an den Voreröffnungstagen, an denen Milliardärsyachten den Blick auf die Lagune verstellen und sich vor den Werke nicht nur kunstferne Prominenz drängt, sondern auch deren Nachwuchs mit chinesischsprachigen Kindermädchen. Jeder will dabei sein, und Wolfgang Joop kann es nicht lassen, in einem mit Biennalelogo geschmückten Palazzo nahe der Rialto-Brücke seine rührselige Marmor-Engelchen auszustellen, die aus Eiern schlüpfen.

Alles will Kunst sein - umso mehr Schärfe, Abgrenzung und Herausforderung hätte man sich von Bice Curigers allzu vorsichtiger Lichtschau gewünscht. Es fehlt der Dreck, den es braucht, um gegen die Entwertung der Kunst durch ihre kriterienfreie Vermehrung anzustinken.

"Illuminations" in Venedig bis 27. November, Informationen unter www.labiennale.org.

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