Ausstellung zu Georges Braque:Das erste Kapitel Kubismus

Teaserbild Braque

Georges Braques' Kubismus: "Die Bäume", 1908, im Hintergrund ein Ausschnitt aus "Der Tisch der Bar Stout", 1912/13, der Zeitungsschlagzeilen mit einem fast abstrakten Stillleben verbindet.

(Foto: Bonn 2021 Statens Museum for Kunst København; Museum Ludwig, Köln/VG Bild-Kunst, Bonn 2021 (2))

Amnesie oder schlechtes Marketing? Eine Düsseldorfer Ausstellung feiert Georges Braque als Entdeckung. Doch ist der französische Maler durchaus kein Unbekannter - immerhin hat er vor Picasso den Kubismus erfunden.

Von Till Briegleb

Menschen, die sich ein wenig mit der Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts auskennen, müssen bei diesem Einleitungssatz stutzen: "Die Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen würdigt den in Deutschland bislang wenig beachteten Georges Braque als bahnbrechenden Künstler der französischen Avantgarde." So steht es auf der Eröffnungstafel in Düsseldorfs Museum K20, als wäre Braque eine Entdeckung. Der Erfinder des Kubismus "wenig beachtet"? Ein Maler, dessen Einfluss sich über Jahrzehnte bei Legionen von Künstlern und Künstlerinnen durch prägende Spuren nachweisen lässt, muss als "bahnbrechend" neu vorgestellt werden? Oder hat irgendwer in Düsseldorf Amnesiepillen ins Trinkwasser gemischt?

Die erste Ausstellung seit dreißig Jahren fiel im Winter in den Lockdown

Nun stimmt es, dass die umfangreiche Braque-Retrospektive im Hamburger Bucerius-Kunstforum vergangenen Winter, die vor und nach dem Lockdown nur wenige Tage zu sehen war, die erste Überblicksschau des Künstlers in Deutschland seit 30 Jahren gewesen ist. Doch gab es in den Jahren davor große Werkschauen in Paris und Wien. Und es ist auch richtig, dass Braque im Vergleich mit seinem Kubismus-Komplizen Picasso nach dem Ersten Weltkrieg stetig fort vom Siedepunkt der Prominenz rückte, weil er die Originalität seiner Jugend, als er die revolutionäre Überwindung geltender Kunstregeln einleitete, nie mehr erreicht hat. Trotzdem findet sich in der Literatur keine Erwähnung des Kubismus ohne den Namen Georges Braque, zuletzt vermehrt mit dem Zusatz, dass er, nicht Picasso, der eigentliche "Erfinder des Kubismus" war.

Georges Braque. Erfinder des Kubismus
25.9. - 23.1.2022

Die Ausstellung in Düsseldorf zeigt den ganzen Maler, angefangen mit Gemälden, die noch stark an Matisse oder Derain angelehnt sind. Wie seiner "Landschaft bei La Ciotat" (1907).

(Foto: Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf. © VG Bild-Kunst, Bonn 2021)

Was also kann eine Ausstellung mit dem Titel: "Braque - Erfinder des Kubismus" an neuen Einsichten bieten? Wo sie sich auf seine ersten acht Jahre zwischen 1906 und Kriegsbeginn beschränkt, in denen Braque sich aus dem sonnig durchfluteten Fauvismus löste und zur Auflösung von Perspektive und Form in einem Farbspektrum aus Grau, Braun und etwas Grün gelangte? Für diesen Abschnitt, so reklamiert es die Kuratorin Susanne Meyer-Büser, sei die Versammlung von 61 Arbeiten "Schwerstarbeit" gewesen, denn es gäbe nur 60 fauvistische und knapp 300 kubistische Werke von Braque aus dieser Zeit in der Welt (im Gegensatz zu Picasso, der ein Vielfaches produzierte).

Der Maler leuchtender Landschaften reduzierte seine Palette und wurde abstrakt

Die hier akribisch nachvollziehbare Wandlung, die Braque in seinen suchenden Jahren vorantrieb, lässt sich grob in drei Kapitel unterteilen. Die sinnliche Farbverstärkung von Häfen, Landschaften und Dorfansichten durch wenige Pinselstriche, mit der er die Nähe zu Matisse und Derain suchte. Die Übergangsphase ab 1908, als Braque unter dem Einfluss von Cezannes Idee, dass "die Natur gemäß Zylinder, Kugel und Kegel" darzustellen sei, figürliche Motive wie Gebäude, Stillleben, Gestein oder Pflanzen in kubistische Elemente zerlegte. Und schließlich der Durchbruch zur vielleicht entscheidenden Kurskorrektur in der Malerei des frühen 20. Jahrhunderts, als Braque im täglichen Dialog mit Picasso das Abbild immer weiter auflöste in eine Antithese von Körper. In farbarmer Flächigkeit reduzierte er Umrisse auf ein assoziatives Gerüst und die Plastizität auf den knappen Dialog wilder Linien.

Nun mögen Kunsthistoriker auf diese Fokussierung, die sich der stilistischen Werkentwicklung widmet, anders blicken als das kunstinteressierte Publikum. Die chronologische Hängung von Gruppen mit großer Ähnlichkeit bietet Experten die einmalige Gelegenheit, vergleichende Betrachtungen vor Originalen durchzuführen. Dem normalen Publikum aber muss das streng Komparative eher erscheinen wie ständige Wiederholung. Statt einem repräsentativen Bild vom Hafen in Antwerpen aus Braques fauvistischer Phase hängen hier gleich vier, plus Häfen in Südfrankreich. Und für die kubistische Hochphase von 1910 an, als die Askese der Erkennbarkeit dazu führte, dass ein Akkordeon aussah wie ein Gartenzaun, Hände wie Sicheln, Gesichter wie ein zerkratzter Schultisch und Körper wie Felsen bei Gewitterstimmung, sind es Säle.

Georges Braque. Erfinder des Kubismus
25.9. - 23.1.2022

Georges Braque hat die Abstraktion mit Werken wie "Klavier und Mandola, Winter" schon zwischen 1909 und 1910 souverän beherrscht.

(Foto: Solomon R. Guggenheim Museum, New York ©VG Bild-Kunst, Bonn 2021/bpk | The Solomon R. Guggenheim)

Im Vergleich zur Hamburger Retrospektive, die Braque als vielseitigen Maler präsentierte, der im Verlauf seiner wechselvollen Biografie bis zu seinem Tod 1963 bunte Einflüssen von Surrealismus bis Pop Art mit seinen Ideen von moderner Kunst in Dialog brachte, zeigt die Düsseldorfer Schau Braque ein bisschen wie einen langweiligen Stilisten. Zumal für jüngere Besucherinnen und Besucher, denen die Sprengkraft von Braques und Picassos Neuformulierung malerischer Möglichkeiten erst einmal sinnlich nahegebracht werden müsste, gibt diese Auswahl nicht gerade die Botschaft mit, was am Kubismus eigentlich so umstürzlerisch und spannend gewesen ist.

Dass die Bildergalerie mit Boxen ergänzt wird, die sehr detailliert und teilweise mit bizarren Informationen das aufregende Zeitalter vor dem Ersten Weltkrieg beleuchten, vergrößert in diesem Fall eher noch den Kontrast zu der grau-grafischen Kernbotschaft der Schau. In einer vor Erfindungslust, Opulenz, Größenwahn und gesellschaftlichem Wandel strotzenden Zeit vor dem Gewaltfiasko des Kriegs, aus dem Braque mit einem Granatsplitter im Kopf zurückkehrte, wirkt seine einflussreiche Suche nach der Multiperspektive in der Kunst hier gar nicht so bahnbrechend und avantgardistisch. Eher wie die Begleitausstellung zu einem Kunsthistorikerkongress. Aber vielleicht waren es auch die Fachkollegen, deren Beachtung mit dieser Ausstellung geweckt werden sollte.

George Braque. Erfinder des Kubismus. Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen K20, Düsseldorf, bis 23. Januar 2022. Der Katalog kostet 45 Euro.

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