Kunst aus Nordkorea in London:Traktoren im Abendlicht

Nordkorea aus den Augen seiner Künstler: "Abend in Taehong-dan von Jon Pyong Jin.

Pittoreskes Nordkorea: Eine abendliche Ansicht von Traktoren, die offenbar in einem Fluss gewaschen werden.

(Foto: Alexander Menden)

Nordkoreas Botschaft in London zeigt Kunstwerke aus der Volksrepublik. Sechs Künstler durften dafür in die britische Hauptstadt reisen. Was verspricht sich das Land davon?

Von Alexander Menden, London

Wo ist denn Kim Jong-un? Dass der Oberste Führer der Demokratischen Volksrepublik Korea persönlich auftauchen würde, war zwar kaum zu erwarten. Aber es überrascht doch ein bisschen, dass nicht einmal sein Konterfei an der Wand hängt, neben den Fotos seines Vaters Kim Jong-il und seines Großvaters Kim Il-sung. Aber man wusste ja sowieso nicht genau, was auf einen zukommen würde beim Besuch der nordkoreanischen Botschaft.

Hunderte Male war man an diesem Einfamilienhaus im Londoner Stadtteil Acton vorbeigefahren, nicht ahnend, dass sich darin die diplomatische Vertretung eines der schlechtest beleumundeten Staaten der Welt befindet.

Ein älterer Herr im grauen Jackett öffnet und winkt den Besucher herein. Keine Durchsuchung, keine Ausweiskontrolle, schon ist man im Flur der Botschafterresidenz, wo dann die Kunst hängt, wegen der Nordkorea für fünf Tage seine Türen hat öffnen lassen: Gemälde aus dem staatlichen Mansudae-Kunststudio in Pjöngjang.

Ein Sibirischer Tiger, anmutig dargestellt.

Majestätisch ruht die Raubkatze auf dem Gemälde "Koreanischer Tiger" von Kim Chol.

(Foto: Alexander Menden)

Links der Tür ein großer, ruhender Tiger. Rechts ein in traditioneller Tuschetechnik gestaltetes Pferd; darunter zwei fröhliche, sozialistisch-realistische Mädchen an einem Bach - "Campingtag". In dem anderen Raum, der zugänglich ist, warten an Stellwänden Blumen in Acryl, Holzschnitte von Bauern beim Reismahl, und auch ein paar Londoner Szenen: Trafalgar Square, Tower, Themse.

Künstler wurden anhand ihrer Fähigkeiten ausgewählt

"Diese Bilder sind erst im Oktober entstanden", sagt David Heather, der von der Botschaft bestallte englische Kurator der Ausstellung, der rege mit Besuchern und Offiziellen parliert. Die Künstler hätten sich "frei in London bewegen" und malen dürfen, "wonach ihnen der Sinn stand".

Heather ist Experte für kommunistische Kunst; er steht mit Künstlern des Mansudae-Studios in Kontakt, seit er vor zwölf Jahren einige von ihnen bei einer Kunstmesse in Simbabwe kennenlernte. Seitdem habe er immer wieder angeregt, einmal Mansudae-Werke in England zu zeigen.

Vermeintlicher Frauen-Alltag in Nordkorea

Zwei fröhliche, sozialistisch-realistische Mädchen an einem Bach: "Einen Campingtag" von Kim To Sun.

(Foto: Alexander Menden)

Vergangenen April seien die Nordkoreaner auf ihn zugekommen und hätten ihn gebeten, eine Auswahl zu treffen. Da hatte er sicher die Qual der Wahl. Immerhin arbeiten rund 800 Künstler in den staatlichen Kunstwerkstätten, die eher für ihre zukunftsgläubigen Soldaten und heroischen Reiterstatuen bekannt sind.

Um Propaganda soll es aber angeblich gerade nicht gehen bei der Londoner Botschaftsausstellung, sagt David Heather. Mansudae habe auch die sechs Künstler, die in London malen durften, allein nach ihren technischen Fähigkeiten ausgesucht. Der Vermerk "Verdienter Künstler" neben den Namen sämtlicher Maler auf den Erklärungskärtchen bezieht sich demnach allein auf ihre künstlerischen Fähigkeiten, nicht etwa auf ihre Linientreue.

Nordkorea als Kinderparadies

Laut Heather reisen die Mansudae-Künstler, sämtlich Absolventen der Kunsthochschule in Pjöngjang, sehr viel in ihrem Land herum, und malen, was ihnen gefällt. Der Londoner Auswahl nach zu urteilen, gefallen ihnen vor allem Kinder, deren Lieblingsspielzeuge Blütenblätter zu sein scheinen. Nordkorea: Kinderparadies.

Es gibt auch eine abendliche Ansicht von Traktoren, die offenbar in einem Fluss gewaschen werden, sowie das Brustbild eines Pferdes, das jeder englische Reiterclub sich sicher sofort ins holzvertäfelte Foyer hängen würde. Die Londoner Szenen ähneln jenen, die jeden Sonntag in der Bayswater Road Touristen zum Kauf angeboten werden.

Tausend Besucher täglich wollen das alles angeblich sehen, wobei es schwer ist, nachzuvollziehen, ob der Blick hinter die Kulisse die Menschen treibt, oder ihr Kunstinteresse. Die englischen, meist älteren Besucher, äußern sich jedenfalls durchweg positiv über die ordentlich gemachte, gegenständliche Malerei. Davon kriege man in westlichen zeitgenössischen Ausstellungen "leider weniger zu sehen", bemerkt eine Dame bedauernd.

Kunst aus Nordkorea in London: Die Porträts der früheren nordkoreanischen Machthaber Kim Il-Sung und Kim Jong-Il hängen in der Londoner Botschaft der Volksrepublik.

Die Porträts der früheren nordkoreanischen Machthaber Kim Il-Sung und Kim Jong-Il hängen in der Londoner Botschaft der Volksrepublik.

(Foto: AFP)

In der Eingangshalle zeigt der Mann im grauen Jackett den Besuchern derweil den Weg zur Gästetoilette. Mehr zufällig entnimmt man einem Gespräch mit anderen Besuchern, dass dieser Türhüter der Künstler Kim Chol ist; von ihm stammt der Tiger. Chol sei schon in Malaysia und China gewesen und habe viele Preise gewonnen, sagt der Dolmetscher.

Und, hat er auch ein paar Bilder von London gemalt? Nein, sagt der Übersetzer lächelnd, er ist erst zur Ausstellung eingeflogen. Gerade rechtzeitig, um seinen Job als Portier anzutreten. Bei einem Blick auf das Erklärungskärtchen fällt auf, dass Kim Chol auf dem Foto genau das gleiche Jackett trägt wie in seiner Funktion als Türsteher.

Seltene Einblicke in die Realität der Volksrepublik

Es fällt schwer, sich nicht in jedem Detail zu verlieren: Warum ist im Gästeklo neben der Schüssel auf Kniehöhe ein Schlauch mit Duschkopf an der Wand installiert? Was befindet sich gewöhnlich in den leeren Dunkelholzvitrinen, die hinter den Stellwänden hervorlugen? Warum ziert sich der Botschaftsangestellte so, als ihn ein Besucher bittet, ein Foto von ihm unter den Porträts der toten Staatschefs zu machen ("Nicht erlaubt!").

Immerhin stellt er sicher, dass auch eine der Stellwände mit im Bild ist. Und schließlich die spannende Frage: Was verspricht sich Nordkorea - mit "Absegnung von höchstmöglicher Stelle", wie David Heather betont - von einer solchen Ausstellung? "Es verschafft den Menschen einen Einblick in die Volksrepublik, den sie sonst nicht bekämen", behauptet der Kurator. Sicher hält er es für abwegig, das hier präsentierte Land mit seinem wohlgenährten Nachwuchs und seiner unberührten Landschaft nicht auch als propagandistisches Konstrukt zu lesen.

Dessen ist David Heather sich wohl bewusst, wenn er mit beschwörendem Unterton sagt: "Das soll alles so unpolitisch sein wie möglich!"

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