Kunst am Bau:In die Röhre gucken

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Düsseldorf hat einen Ruf als Kunstmetropole zu verteidigen - nun wurde dort eine von Künstlern und Architekten gestaltete U-Bahn eröffnet: Wie reagiert das Publikum auf das größte unterirdische Museum der Welt?

Von G. Matzig

Es sind vier Dreiviertel- bis Vierfünftelmänner, zwischen 15 und 17 Jahre alt. Sie heißen Yannick, Lennart, Thomas und Kazim. Die Rolltreppe schaufelt sie nach oben ans Tageslicht. Sie nehmen gerade den U-Bahnausgang "Kirchplatz" in den Blick und halten, breitbeinig wie sturmgeschüttelte Seemänner, drauf zu. Der breitbeinige Auftritt ist nicht dem womöglich schwankenden Untergrund geschuldet, sondern hindert die offensichtlich erst in Höhe der Kniekehlen fixierten Hosen am weiteren Untergang. Zu den Hosen tragen die Jungs finster entschlossene Mienen, dreimal verkehrt herum aufgesetzte Baseballkappen und einmal ein Piratentuch. "Fuck" steht auf dem T-Shirt von Kazim. Man bekommt spontan Lust, mit diesen heiteren Knaben über die Kunst im Allgemeinen und jene des öffentlichen Raumes im Besonderen zu plaudern. Und natürlich über Düsseldorf.

"Häää?" Das ist Kazim.

"Der verarscht uns." Thomas.

"Wegen der Kacheln, oder?" Yannick.

"Ist doch nur 'ne U-Bahn, Alter. Du verstehst? Underground. Metro. Mannmannmann." Lennart.

Stadt der Fern-Universität? Heimat der Poggenpohl-Küche? VW-Stadt Golfsburg? Der Wettbewerb der Städte führt direkt in den Wahnsinn

Nur 'ne U-Bahn, Alter, das stimmt nicht. Wenn man also Lennart in aller gebotenen Behutsamkeit kurz mal darauf hinweisen dürfte: Die Metro ist hier eine ganz besondere U-Bahnlinie - eine Kunst-U-Bahn. Und eigentlich befindet man sich gewissermaßen im größten unterirdischen Kunstmuseum der Welt, wobei dieses Museum der zeitgenössischen Kunst im Nebenberuf auch Passagiere auf Schienen unterirdisch von A nach B transportiert und, zugegeben, über ziemlich viele Kacheln und ziemlich dunkle Tunnel verfügt.

Aber eben auch über einen ästhetischen, hellauf begeisternden Anspruch, der wohl einzigartig sein dürfte in der Welt des Untergrunds. Die Metrostationen in Moskau wurden zu Beginn des 20. Jahrhunderts erbaut als "Paläste des Volkes". Überall in der Welt dienen seither Architektur, Design und Kunst dazu, mit dem mobilen Leben im Untergrund zu versöhnen. Aber so radikal artifiziell wie in Düsseldorf hat sich noch nirgendwo eine U-Bahn in die Erde gefräst. Man hat, zumal in der Konkurrenz der Städte inmitten des urbanen Millenniums, ja auch etwas zu verlieren. Einen Nimbus etwa.

Das wissen die Städte, die nun emsig (und gelegentlich albern) bemüht sind um ihre Einzigartigkeit. Herford? "Heimat der Poggenpohl-Küchen". Hagen? "Stadt der Fern-Universität". Und Wolfsburg, wo VW halblegal vor sich hindieselt, hat sich mal für vier Wochen in "Golfsburg" verwandelt. So debil ist Düsseldorf natürlich nicht. Aber es hat doch auch einen gewissen Ruf zu verlieren, den der "Kunststadt" beispielsweise. Beziehungsweise: Düsseldorf muss sich als Kunststadt in der Konkurrenz gegen andere Kunststädte (München, Köln, Berlin, Weimar) durchaus etwas einfallen lassen. Die U-Bahn kam in Form ihrer Erweiterung gerade recht. Auf die Minute pünktlich. Und jetzt? Kann Düsseldorf Kunst?

Erstaunlicherweise ist es nun - tief unter der Kö vergraben - der Untergrund, der auf besondere Weise dazu geeignet erscheint, diese Frage zu beantworten und den nur behaupteten oder tatsächlichen Kunstsinn der Stadt am Rhein ans Licht zu bringen. Einen Tag lang U-Bahn fahren, von Dings nach Dings, von Kunst zu Kunst: Dann weiß man es, denkt man.

Dass Düsseldorf am Rhein liegt, hat die Stadt übrigens erst vor einigen Jahren bemerkt. Die Rheinpromenade und der mittlerweile umgestaltete Medien-Hafen schmücken nun eine Stadt, die auch sonst viel zu grandios ist, um als sogenannte längste Theke der Welt zu langweilen. Seit einiger Zeit wird die Stadt umgebaut, ja geradezu neu erfunden. Ambition liegt in der Luft. Man ist in der Baukunst stolz auf die modernen Bauten von Gehry, Libeskind, Ingenhoven und Co. Und in der Kunst, wo man sich schon seit den verschwenderischen Zeiten des kunstsinnigen, zum Glück angeberhaft gestimmten Johann Wilhelm II., genannt Jan Wellem, der eigenen kulturellen Bedeutung rühmt - bis weit über Joseph Beuys' Kunstakademie-Ära hinaus, in der Kunst nun geht es so richtig ab(wärts). Also nach unten. Die Stadt der Museen, Kunsträume, Galerien und auch der bestausgestatteten Malereizubehörläden mindestens der Welt hat nun den alleröffentlichsten, schnödest denkbaren Zweck-Ort, die U-Bahn, zum Raum der Ästhetik und der Kunst umgewidmet.

Thomas Stricker interpretiert den U-Bahnhof als Weltraumstation. (Foto: Joerg Hempel)

Das ist sehr smart. Aber auch ein bisschen verrückt, denn man kann sich schon fragen, ob die Leute, die mit der U-Bahn fahren, nicht am allerliebsten mit der U-Bahn fahren wollen - oder ob sie tatsächlich Kunst erfahren wollen. Also, so aus der Fuck-Perspektive zum Beispiel.

Eröffnet wurde die von der Rheinbahn betriebene, 3,4 Kilometer lange und knapp 850 Millionen Euro teure "Wehrhahnlinie", die sechs jeweils von Künstlern gestaltete U-Bahnhöfe umfasst und zwischen den S-Bahnstationen Wehrhahn und Düsseldorf-Bilk das Zentrum unterquert, nach 15-jähriger Bauzeit schon Ende Februar (SZ vom 20.2.). Das heißt: Inzwischen dürften sich die Düsseldorfer vertraut gemacht haben mit ihrem neuen Kunstareal, dessen Masterplan auf einen Architektenwettbewerb zurückgeht, den das Darmstädter Büro Netzwerkarchitekten im August 2001 auf visionäre Weise für sich entscheiden konnte.

Die auf experimentelle Art inszenierten U-Bahnhöfe sind ganz der Kunst verpflichtet - und garantiert als renditefreie Flächen ausgewiesen. Was anderswo in Form von riesigen Werbeplakaten, nervtötenden Kauf-mich-Filmchen oder als Auslagen der Billig-T-Shirt-Shops für Umsatz sorgt, ist auf dem großartig artifiziellen Terrain der Wehrhahnlinie tabu. Anderswo begegnet man im U-Bahnbereich dem Sperrengeschoß, der vom TÜV abgesegneten Fluchttreppe oder dem Hinweis "Rauchen verboten". Hier dagegen ist ein Museum zu betreten. Vorsicht, Kunst. Bitte die Türen freihalten.

Das ist ja so toll. Man steht also auf dem U-Bahnsteig, an der Pempelforter Straße zum Beispiel, und betrachtet interessiert einen Feuermelder. Dabei fragt man sich irgendwann sehr ernsthaft: Kunst?

Nein. Feuermelder.

In der einen Station fühlt man sich wie Major Tom, in der anderen wie eine Flipperkugel. Nur nach U-Bahn sieht das alles nicht aus

Täglich werden die neuen Stationen von mehr als 50 000 Menschen frequentiert. Und denen bleibt nun eigentlich im transitorischen Zwischenraum des Unterwegsseins, das ja immer auch aus Warterei auf die nächste U-Bahn besteht, gar nichts anderes übrig, als sich für die Kunst zu interessieren. Wenn sie denn als solche zu begreifen ist.

"Ach soooo", sagt der Junge im Fuck-Shirt, Kazim, "das soll also 'ne Schrift sein?!" Und dann wird es sehr schön irre, denn die Hip-Hop-Jungs in den Baggy Pants gehen nun im radikal weiß gekachelten U-Bahnhof Kirchplatz auf und ab, um das von Enne Haehnle ersonnene Kunstwerk mit dem Titel "Spur X" zu dechiffrieren. Sie tun das so partymäßig laut, dass sie bald umringt sind von weiteren Passanten, die sich daran beteiligen. "Hier ist ein ,und'", sagt einer. Ja, eindeutig: u-n-d. Und? "Da ist ein . . .was soll das heißen? Weiße Zwerge . . ." - "Nee, wart' mal, das heißt, äh, weiße Zwerge, schwarze Löcher . . . häää?"

Das ist wieder Kazim. Der halbe U-Bahnhof Kirchplatz ist nun unterwegs, um ein Rätsel zu lösen, das die Künstlerin der Stadt aufgegeben hat. Sie hat sich einen fragmentarisch-poetischen Text ausgedacht, "erzählt vom genügen / erzählt vom vergnügen", der an den Zugängen der Station oben beginnt, um die Fahrgäste in durchgehenden Textlinien aus leuchtend roten Stahlsträngen an Decken und Wänden bis zu den Bahnsteigen zu begleiten. Es ist ein mäanderndes Rätsel, das ein Ornament sein könnte, sich aber als Botschaft erweist. Steve, ein 51-jähriger Düsseldorfer mit lila Designer-Brille, findet sie aber "zu abstrakt", die Botschaft. Um gleich einzuräumen: "aber schon gut, die Aktion. So Kunst im öffentlichen Raum und so. Düsseldorf eben."

Der von Heike Klussmann als begehbares, mehrdimensionales Bild gestaltete Bahnhof. (Foto: Joerg Hempel)

Düsseldorf eben. Um hier gleich mal abzukürzen: Der Reporter ist die Wehrhahnlinie einen Tag lang auf und ab gefahren. Am Graf-Adolf-Platz hat er die von Manuel Franke gestalteten, leuchtend grünen Glastafeln als begehbaren Farbrausch empfunden; an der Benrather Straße stand er staunend vor vielen Weltraum-Monitorwänden ("Himmel oben, Himmel unten"), die Thomas Stricker nutzt, um mithilfe dreidimensional wirkender Sterne, Planeten und scheinbarer Fluglinien einen interstellaren Flug durchs All zu simulieren; da steht man nun, guckt in die Röhre, die ein Weltall ist - und hält sich langsam für Major Tom; und an der visuell sowie akustisch bearbeiteten Station an der Heinrich-Heine-Allee hat er, mitten in der Stadt, die U-Bahn und ihr schrilles Kreischen als rätselhafte, sich in den Gehörgang schmeichelnde Soundcollage erlebt. Unerhört.

Wer dort, an der Heinrich-Heine-Allee, mehrmals mit der U-Bahn einfährt, wer also eintaucht in den Raum, der keiner mehr der Geometrie ist, sondern der Klangwelten, der hört immer wieder "Hörst du das? Hörst du es?" Nadine, eine 19-jährige Studentin, nimmt sogar ihre weißen Kopfhörer heraus, um den von Ralf Brög und anderen Künstlern inszenierten Klangmustern zu lauschen. "Das will was heißen", sagt die Studentin. Und ihre Freundin nickt ernst. Offenbar ist Nadine nur höchst selten ohne Kopfhörer. Hier schon. Düsseldorf eben.

Tatsächlich trifft man an diesem Tag niemanden, keinen einzigen Menschen, der die Kunst nicht begeistert auf sein "That's Düsseldorf"-Schild heben würde. Die Düsseldorfer sind auch dann sichtlich stolz auf ihre neue Kunst-Bahn, wenn sie keine Ahnung haben, worum es eigentlich geht. Kunst eben.

An der Pempelforter Straße, wo Heike Klussmann den Bahnhof zum durchgeometrisierten Spiel mit den Dimensionen umfunktioniert hat, werden sogar Fotoaufnahmen gemacht. Vivien, 19, aus Düsseldorf, zieht immer wieder andere Schuhe an und bringt sich in Pose. Angel, ebenfalls 19, ihr Freund, der aus Melilla, Spanien, stammt, fotografiert sie. Warum hier? "Weil das so ein cooler Ort ist. Fantastic." - "Das ist übrigens Kunst." - "Oh, yeah, fantastic!" Und Vivien ergänzt: "Na ja, sehr schön jedenfalls."

Jedenfalls. Vielleicht ist das der Witz an der Kunst. Sie kann auch sehr schön sein. Können also die Düsseldorfer Kunst? Ja. Und falls nicht: Dann mögen sie die Kunst immerhin und betreiben hier die reinste Welcome-Kultur im Untergrund.

Als in München vor einiger Zeit die U-Bahn-Decke am Marienplatz neugestaltet und leuchtend orange-rot eingefärbt wurde, gab es erregte Debatten im Netz, ob man das machen dürfe. Sieht aus wie ein Bordell, meinte einer. Bordell, so ein anderer, das wäre doch eine Alternative zur öden U-Bahn. Die Alternative zum Bordell ist aber eindeutig: ein Kunstmuseum.

In Düsseldorf sagt man angesichts einer U-Bahnlinie, die sich der Kunst verschrieben hat, im schlimmsten Fall: pffffft. Und oft zuckt man mit den Schultern, sagt "toll, ganz toll" und denkt sich: Düsseldorf eben. Kunststadt halt. Keine Werbung. Kein Kiosk. Dafür Weltraum, Poesierätsel und ein Sound, der Nadine die Kopfhörer aus den Ohren klingelt. Eine U-Bahn in Auftrag geben und eine Kunstareal geliefert bekommen. Düsseldorf eben. Herrlich.

© SZ vom 14.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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