Dürer-Ausstellung in London:Die Renaissance im Gepäck

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Albrecht Dürer suchte auf seinen Reisen zunächst nach der Kunst. So ist bekannt, dass er sich schon in Nürnberg mit dem Werk des Italieners Jacopo de'Barbari befasst hatte, dessen "Sparrowhawk" (1510) jetzt in der Londoner Ausstellung zu sehen ist. Auch unterwegs fertigte Dürer Skizzen für Porträts an wie den "Stifter" (1506). (Foto: The National Gallery, London; The Morgan Library & Museum, New York)

Albrecht Dürer reiste in niederländische Hafenstädte, überquerte die Alpen. Die epochale Schau aus Aachen dazu ist jetzt in London zu sehen. Doch die National Gallery verschiebt den Fokus.

Von Catrin Lorch

"Dürer's Journeys", der Titel der Ausstellung in der Londoner National Gallery, klingt schlicht. Doch hebt schon die Feststellung, dass der Künstler Albrecht Dürer reiste, ihn ab von seinen Zeitgenossen. Natürlich waren auch andere Maler und Bildhauer unterwegs, hangelten sich von Auftrag zu Auftrag, konkurrierten um Anstellungen bei Bischöfen oder an Fürstenhöfen. Allein der 1471 in Nürnberg geborene Dürer reiste in der Hoffnung, dass er mit der letzten Etappe wieder in seiner Heimatstadt ankommen wollte. Was aus der Vogelperspektive der Kunstgeschichte fast eigentümlich wirkt. Auch wenn Nürnberg nicht nur ein bedeutendes wirtschaftliches und kulturelles Zentrum in Europa war, so bleibt der Meister dort irgendwie allein - während die Kunst sich mit den Orten, die er bereisen sollte, über Jahrhunderte zu verbinden schien, vor allem mit Venedig und Antwerpen.

Grund für die Reise war auch der Ausbruch der Pest in Nürnberg

"Dürer's Journeys" ist die zweite Station eines gemeinsamen Ausstellungs-Projekts zwischen der National Gallery und dem Aachener Suermondt-Ludwig-Museum, das genau ein halbes Jahrtausend nach Dürers letzter Reise in den Norden hätte beginnen sollen, der Pandemie wegen aber verschoben werden musste. Die gewaltigen fünfhundert Jahre Abstand verkürzen sich aber ohnehin, wenn man weiß, dass Dürers Aufbruch im Jahr 1520 auch durch den Ausbruch der Pest in Nürnberg motiviert wurde. Überhaupt schien die Schau in Aachen erstmals auch den Menschen zugänglich zu machen: Direktor Peter van den Brink hatte nämlich nicht nur rare Leihgaben zusammengebracht, sondern auch die Tagebücher ausgewertet, berichtete vom Alltag eines Reisenden der frühen Neuzeit.

Und da fiel zunächst die Diskrepanz auf zwischen einem, dessen Genie die in Italien gerade erst aufblühende Renaissance für Nordeuropa künstlerisch erschloss und der sich meisterlich in die Präzision und Konzentration flämischer Malerei einfühlen konnte, dessen Tagebuch aber vor allem die täglichen Ein- und Ausgaben dokumentierte. Von den zehn Pfennigen, die ein gebratenes Huhn kostete, bis zum Preis von Socken. Dürer blieb einsilbig, wenn er notierte, dass er an einer Hinrichtung vorbei fuhr, bemerkte aber, dass besonders lange Kerzen bei einer Prozession durch Antwerpen getragen wurden. Und während er akribisch die Trachten der Niederländerinnen festhielt, oder das Oktagon des Aachener Doms, verzeichnete er die Akquise von Haifischflossen, Muscheln und Pfeilen. So nah, da war sich die Kritik einig, ist man dem Künstler noch nie gekommen.

Schon als Geselle, der bis nach Basel und Straßburg gereist war, hatte Dürer den Wert der unmittelbaren Anschauung verinnerlicht in Zeiten, in denen man Kunst aufsuchen musste. In den Jahren 1495 und 1496 überquerte er erstmals die Alpen, zwischen 1505 und 1507 hielt er sich in Venedig auf. Sein fast wissenschaftliches Interesse an Malerei paarte sich mit einer intuitiven Liebe zu allem Exotischen, Fremdem und Rarem, das er sich als Sammler einverleibte und als Kenner würdigte. Es sagt viel über die Neugier eines solchen Weltenbummlers aus, dass er, inspiriert von den Skulpturen auf dem Markusplatz, seinen ersten Löwen malt - und viele Jahre später seine Darstellung nach einem Besuch in der Menagerie von Brüssel vollkommen neu anlegt.

Der Maler begegnete Gelehrten wie Erasmus von Rotterdam

Dass vor allem die letzte große Tour in den Norden eine Dienstreise war, im Wortsinn, erweitert die Perspektive auf die Kunst. Anlass war Dürers - erfolgreicher - Versuch, Karl den Fünften nach seiner Krönung zu bitten, die jährliche Leibrente, die ihm dessen Vater gewährt hatte, weiterhin auszuzahlen. Und wie ein Handlungsreisender in Sachen Renaissance rüstete sich der Künstler mit Holzschnitten und Drucken, Büchern und Malutensilien. Er wurde dann von Zünften empfangen, begegnete Auftraggebern und Künstlern, Diplomaten und Gelehrten wie Erasmus von Rotterdam. Die Arnolfini-Hochzeit, Jan van Eycks schon damals berühmtes Gemälde, konnte er im Schlafgemach der Statthalter von Österreich in Mechelen inspizieren.

Mit der gebotenen Großzügigkeit und Umsicht plante Dürer Begegnungen wie ein Dinner mit João Brandão, dem Vertreter des Königs von Portugal, in Antwerpen. Als Gastgeschenke brachte er Bücher mit Holzschnitten mit, auch den berühmten Stich Adam und Eva. Sein Tagebuch verzeichnet dann eine Kiste mit Süßigkeiten, Marzipan, Pfirsiche, Kokosnüsse und einen kleinen grünen Papagei für seine Frau Agnes als Gegengabe. Am Ende sollte Dürer in Antwerpen für den König eine ganz neue Version des Heiligen Hieronymus malen, als Greis in seinem Studio. Während Skizzen das 93-jährige Modell noch mit gesenktem Blick zeigen, blickt der Heilige in der letzten Version seinen Betrachter direkt an, sein Finger, der einen Totenschädel zart zu berühren scheint, hat Dreck unter dem Nagel. Er ist genauso fein koloriert, wie das spiegelnde Tintenfässchen, der samtige Einband der Bücher oder das gemaserte Holzpult. Weil das Bild noch bis 1548 in Antwerpen blieb, wurde es zum Vorbild für Generationen.

Dreck unterm Nagel: Albrecht Dürers "Heiliger Hieronymus" (1521). (Foto: Instituto Portugues de Museus, Minstero da Cultura, Lisbon)

Die englische Version der Ausstellung verschiebt den Akzent der Schau nach Italien. Vielleicht weil die Begeisterung Dürers für die Hafenstadt Antwerpen, die er als Tor zur Welt empfand, in London, das selbst auf Jahrhunderte des Kolonialismus zurückblicken kann, nicht ganz so faszinierend erscheint. Jedenfalls zitieren die Kritiker in Großbritannien erfreut immer wieder Roger Fry, einen Künstler der Bloomsbury-Gruppe, der an den Aufzeichnungen des Künstlers fast verzweifelte und sich für Zollgebühren und die Kosten von Socken nicht interessieren mochte. Überhaupt fällt auf, dass in der Rezeption selten vom "Nordeuropäer" die Rede ist, sondern vom "Nürnberger", was kauziger und knurriger klingt. Gut zwei Drittel der Exponate wurden ausgetauscht.

Fasziniert interpretiert man im Katalog die Seeungeheuer, mit denen der junge Künstler seine apokalyptischen Szenen schmückt, als Niederschlag der Eindrücke aus dem Süden. Dass Dürer von seinen Reisen am Ende mehr mitbrachte als künstlerische Inspiration, beschreibt Jonathan Jones in seiner aufmerksamen Interpretation im Guardian. Der Künstler, der unmittelbar die Werke von Leonardo da Vinci, Michelangelo und Raphael erfahren hatte, verstand als erster nicht nur das Geniale ihrer Kunst, sondern was Genie an sich ausmacht. "Es war an Dürer, der die italienische Renaissance als Außenseiter erfahren hatte, das zu erkennen", stellt Jones fest.

Zurückgekehrt nach Nürnberg, wo er seine Mutter immer noch täglich auf den Markt schickte, damit sie dort seine Holzschnitte verkaufte, sah er sich selbst nicht länger als dienstfertigen Handwerker, der sein Vater gewesen war, ein Goldschmied. Seine Selbstbildnisse zeigen ihn als gottgleichen Geist von mystischer, kreativer Kraft. Es war Dürer, der so den Anspruch der Renaissance vollendete. Und es ist auch deswegen zutiefst bedauerlich, dass keines seiner drei Selbstportraits, die in München, Madrid und Paris hängen, auf die Reise gehen durfte.

Dürer's Journeys. Travels of a Renaissance Artist. Bis 27. Februar. National Gallery, London. Der Katalog kostet 30 Pfund. Der Katalog zur Aachener Ausstellung "Dürer war hier" kostet 60 Euro.

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