Kunst:Ästhetische Erfahrung

Tony Cragg

Neu im Kochler Franz-Marc-Park: Tony Craggs Bronzeskulptur "Gabelung" (2018).

(Foto: www.collecto.art, Vg Bildkunst 2019)

Die Skulpturen von Tony Cragg im Museumspark in Kochel am See

Von Sabine Reithmaier, Kochel am See

"Letztlich alles, was existiert, bewegt sich, wimmelt, ist aktiv." An den Satz Jon Woods im Ausstellungskatalog sollte denken, wer vom Kochelsee hinauf zum Franz-Marc-Museum wandert und irgendwann - lang nach Alf Lechners "Hommage à Franz Marc" - in der letzten Kurve vor der "Gabelung" steht. Die Skulptur Tony Craggs steht noch nicht lang hier. Schon deshalb ist es ratsam, nicht statisch auf dem Weg stehen zu bleiben. Besser ist es, um das üppige Kunstwerk herumzulaufen und zu versuchen, den gestapelten, ineinander verschmolzenen Kreisen und Ellipsen auf die Schliche zu kommen. Aber die geringste Verlagerung des Standorts verwischt den Eindruck, den man sich Sekunden zuvor von der sich nach oben schraubenden Bronzeform gemacht hat.

Der englische Bildhauer und langjährige Rektor der Kunstakademie Düsseldorf, der seit 1977 in Wuppertal lebt und arbeitet, hat die Skulptur eigens für den Museumspark in Kochel geschaffen. Seine Arbeit soll, wie der direkt gegenüber dem Eingang platzierte "Torso-Ast" von Per Kirkeby, den Dialog zwischen Kunst und Natur unterstreichen, der auch den Malern des "Blauen Reiters" so wichtig war. Das passt, Cragg betont häufig, die Natur sei für seine Arbeit die wichtigste Inspirationsquelle. Auch wenn man genau das auf den ersten Blick nicht sieht. Cragg arbeitet meist in Werkreihen und -gruppen. Die "Gabelung" wurzelt in den "Rational Beings", orientiert sich am Aufbau einer Wirbelsäule. "In der Skulptur sind zwei identische Formen eingeschlossen: eine, die sich gerade nach oben richtet, und eine, die sich spiralförmig aus der anderen herausdreht", zitiert Jon Wood den Künstler. Die Präsentation der neuen Arbeit nutzte das Museum, um in einer Ausstellung Arbeiten des gerade 70 Jahre alt gewordenen Bildhauers aus den letzten 20 Jahren zu zeigen. 18 Skulpturen und 73 Zeichnungen ermöglichen einen Einblick in seine Arbeitsweise, zeigen, wie akribisch und gleichzeitig spielerisch er Formen und Ideen erforscht.

Unendlich viel ist in den Zeichnungen zu entdecken: Landschaften, Menschen, Buchstabenketten, Datenstränge, manchmal auch Wellen, Wolken, Gekräusel. Von da ist es nicht weit zu den Skulpturen, zum Pinienzapfen aus Bronze ("We", 2015), aus dem sich erst beim Nähertreten Dutzende Männergesichter schälen, oder zum "Visible Man" (2015) aus Glasadern, oder zu den hölzernen, fabelhaft organisch wirkenden Formen. Am besten lässt man die Arbeiten einfach auf sich wirken. Denn wie schreibt Cragg im Katalog: "Kunstwerke werden nicht bedeutend, in dem man sie mit Worten zudeckt, sondern dadurch, dass sie eine Erfahrung bieten, genauer gesagt eine ästhetische Erfahrung, die niemals nur das Ergebnis von intellektuellen Überlegungen und Logik sein kann, sondern die Gesamtheit unserer physischen Sinne einbezieht."

Tony Cragg. Skulpturen und Zeichnungen, bis 6. Oktober, Franz-Marc-Museum Kochel. Der Katalog ist bei Schirmer erschienen ( 119 S. 24,80 Euro)

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