Österreich-Kolumne:Vom Glück der Live-Momente

German Chancellor Angela Merkel and Austria's Chancellor Sebastian Kurz attend a news conference in Berlin

Abschiedsbesuch mit Kulturgeschenk: Kanzler Kurz mit Kanzlerin Merkel.

(Foto: Kay Nietfeld/Reuters)

Blick zurück auf besondere Kulturerlebnisse im zweiten Pandemiesommer - und ein Blick nach vorn mit einem Geschenk von Kanzler Kurz an Angela Merkel.

Von Alexandra Föderl-Schmid

Der Tenor Jonas Kaufmann ist vermutlich noch nie so frenetisch bejubelt und beklatscht worden, weil er einen hohen Ton nicht getroffen hat. "Daran sehen Sie, dass es live ist. So was passiert nun mal im echten Leben", erklärte der Sänger seinen Patzer. Ja, echt und live waren in diesem Sommer Kulturveranstaltungen wie dieser Abend mit Wiener Liedern im "Theater im Park" wieder möglich. Und wegen der Erfahrungen der Pandemie verbunden mit dem Gefühl, dass das etwas Besonderes ist. Glücksmomente!

Es ist überhaupt nur dem Coronavirus zu verdanken, dass man in diesem bisher verschlossenen Stück Garten im Windschatten des Schlosses Belvedere unter riesigen Bäumen Künstlerinnen und Künstlern lauschen kann, wie etwa Campino, der eine witzige Mischung aus Lesung, Fußball-Livekommentar und Toten-Hosen-Songs zum Besten gab, und Schauspielern wie dem von Monty Python bekannten John Cleese. Schon im ersten Pandemiesommer stampften Kabarettist Michael Niavarani und der umtriebige Kleinkunst-Veranstalter Georg Hoanzl die Freiluftbühne aus dem Boden, um Kabarettistinnen und Sängern überhaupt eine Auftrittsmöglichkeit zu geben - im Freien eben.

Und der Osten Österreichs war in diesem Jahr mit viel Sonnenschein gesegnet - ganz anders als der Westen und auch Bayern. Davon profitierten auch andere Bühnen im Freien wie der Wolkenturm im niederösterreichischen Grafenegg, wo an diesem Wochenende die Münchner Philharmoniker zu Gast sind.

Der "Jedermann" als Lebenstraum, der in Erfüllung ging

Ebenfalls nur für den Kultursommer Semmering geöffnet ist das ansonsten verschlossene und seit Jahren nicht mehr genutzte Südbahnhotel. Die Besucher tauchen ein in eine Welt, in der die Zeit stehen geblieben zu sein scheint. Das Südbahnhotel ist ein seit 1882 bestehendes ehemaliges Grandhotel auf dem Semmering-Pass, das wie andere Häuser dort darauf wartet, dass einer der Investoren es wieder belebt - wie SZ-Korrespondentin Cathrin Kahlweit in ihrer Seite-Drei-Reportage "Stilles Örtchen" beschrieben hat (SZ Plus). Die Türen des Hotels öffnen sich nur für kurze Zeit im Sommer, wenn in dieser Kulisse mit morbidem Charme Corinna Harfouch als Hugo von Hofmannsthals "Elektra" mitreißt und Cornelius Obonya mit seiner betörenden Stimme Stefan Zweigs "Schachnovelle" neu erleben lässt.

Obonya spielte vier Sommer lang, von 2013 bis 2016, den "Jedermann" in Salzburg. Eine Rolle im Stück von Hofmannsthal, von der er sagt, sie habe im gesamten deutschsprachigen Raum "eine enorme Statusgeschichte". Auch für Lars Eidinger ging "ein Lebenstraum in Erfüllung". (Lesen Sie hier mit SZ Plus die Geschichte "Passt eh" über den Umgang des diesjährigen Jedermann mit dem Trachtenkult in Salzburg.)

Und vielleicht kam ihm sogar zugute, dass in diesem Jahr wegen des häufigen Regens zehn der, wie üblich, 14 Vorstellungen nicht auf dem Domplatz, sondern im Großen Festspielhaus stattfanden. Denn dort konnte sich der Bühnenberserker so richtig entfalten. Es ist gut, dass zumindest Lars Eidinger den Salzburger Festspielen im nächsten Jahr erhalten bleibt, wenn schon Helga Rabl-Stadler als Präsidentin nach 26 Jahren entschwindet (lesen Sie hier mit SZ Plus das Porträt "Die Kunst, für alle da zu sein"). Wer wird wohl im nächsten Jahr statt Rabl-Stadler die Besucherinnen und Besucher vor jeder Vorstellung mit der eigenen fürsorglichen Strenge ermahnen, nur ja das Handy auszuschalten und die Corona-Abstandsregeln einzuhalten?

Im Vergleich zu Bayreuth hat Kanzlerin Merkel in Salzburg Aufholbedarf

Vielleicht werden die auch gar nicht mehr nötig sein. In Salzburg saß man jedenfalls wie eh und je - wenn auch mit FFP2-Maske - nebeneinander, während in Bayreuth, wo im vergangenen Jahr wegen Corona überhaupt pausierte wurde, nur jeder zweite Platz besetzt sein durfte.

Wegen der Masken waren die Buh- und Hurra-Rufe etwas gedämpfter zu hören. Sie hielten sich die Waage bei der letzten der drei Vorstellungen der konzertanten "Walküre"-Aufführung, die Hermann Nitsch mit seiner Aktionskunst begleitete. Live und echt flossen die Farben zu den Tönen, nicht alle Musikkritiker waren begeistert. Aber es war wieder einer dieser berührenden Momente, als der 83 Jahre alte Nitsch, gestützt von "Wotan" Tomasz Konieczny, zum Abschluss auf die Bühne trat.

Die jeden Sommer unter Kulturinteressierten diskutierte Frage, Salzburg oder Bayreuth, beantwortete Nitsch in der SZ eindeutig: "Die Salzburger Festspiele sind eine profane Verwässerung. Bayreuth ist religiöser."

Eine überzeugte "Wagnerianerin" ist auch Angela Merkel, wie 19 Besuche auf dem Grünen Hügel seit dem Jahr 2000 beweisen. Am Dienstag stattete Kanzler Sebastian Kurz der deutschen Kanzlerin einen Abschiedsbesuch ab - und brachte auch ein Geschenk mit. In Berlin überreichte er ihr eine Dauerkarte für die Salzburger Festspiele. Im Vergleich zu Bayreuth muss die Bundeskanzlerin aufholen: Aufführungen an der Salzach besuchte sie im selben Zeitraum nur 13 Mal.

Unter welchen Bedingungen wird wohl der nächste Kultursommer stattfinden? Wird dieses Gefühl der Besonderheit, werden diese Glücksmomente, etwas echt und live erleben zu dürfen, anhalten?

Diese Kolumne erscheint am 3. September 2021 auch im Österreich-Newsletter, der die Berichterstattung der SZ zu Österreich bündelt. Hier kostenlos anmelden.

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