Süddeutsche Zeitung

Kulturpolitik:Welthaltig

Bei Bundespräsident Frank-Walter Steinmeiers "Kulturabend mit Musik, Kunst und Literatur der Roma und Sinti und der Jenischen" zeigen die größten Minderheiten Europas, dass sie längst mehr sind, als kulturpolitische Themengeber.

Von Lothar Müller

Seit seinem Amtsantritt nutzt der Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier das Schloss Bellevue als kulturpolitische Bühne. Am Dienstagabend hatte er zu einem "Kulturabend mit Musik, Kunst und Literatur der Roma, Sinti und Jenischen" geladen. Er wolle damit, sagte er in seiner Ansprache, "ein deutliches und - wie ich finde - längst überfälliges Zeichen setzen". Die Geste der Anerkennung der Kultur der Sinti und Roma als der größten Minderheit in Europa war unter Verweis auf die geringe Entfernung zwischen Schloss Bellevue und der Gedenkstätte "Topographie des Terrors" zugleich eine Geste der Gleichstellung. Ausdrücklich zitierte Steinmeier aus einer Rede seines Amtsvorgängers Roman Herzog die Sätze: "Der Völkermord an den Sinti und Roma ist aus dem gleichen Motiv des Rassenwahns, mit dem gleichen Vorsatz und dem gleichen Willen zur planmäßigen und endgültigen Vernichtung durchgeführt worden wie der an den Juden."

Die kulturpolitische Geste ist unanfechtbar. Das Interessante an einem solchen Abend ergibt sich aber aus dem Umstand, dass die geladenen Künstler in der Botschaft, die sie als Repräsentanten der Sinti, Roma oder Jenischen an das Publikum senden sollen, nicht verschwinden können und wollen. Delaine Le Bas, Installationskünstlerin aus Großbritannien und Witwe von Damian Le Bas, dessen Bilder "Gypsyland" oder "Come out now: Roma Stars" auf der Bühne eingeblendet wurden, legte Wert darauf, vor allem im eigenen Namen zu sprechen. Und man musste dem großartigen ungarischen Gitarristen Ferenc Snétberger oder dem aus Sevilla stammenden, von Isidor Suarez am Schlagzeug begleiteten Pianisten Dorantes nur ein paar Takte lang zugehört haben, um zu ahnen, dass im Individuellen der Künstler etwas Universalistisches steckt, ihre Teilhabe an einer Kultur, welche diejenige ihrer ethnischen Herkunft übersteigt.

Der Flamenco, die Musik der ungarischen Roma oder auch brasilianische Rhythmen sind in ihr Repertoire und ihre Improvisationen nach den gleichen Gesetzen eingegangen, nach denen ein Saxofonist wie Jan Garbarek auf die norwegische Folklore zurückgreift. Sie sind mindestens so sehr Teil der internationalen Jazzszene und ihrer Stile wie Repräsentanten ihrer Herkunftskultur. Darum ist ihre ästhetische Botschaft reicher und vielstimmiger als die kulturpolitische, die ihrem Auftritt als Motto dient.

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Quelle:
SZ vom 24.01.2019
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