Süddeutsche Zeitung

Kulturpolitik:Verstrickung als Prinzip

Das Berliner Humboldt-Forum gründet auf einem schwindelerregenden System politischer Interessen. Das Ergebnis ist Lähmung, Intransparenz und Ideenlosigkeit - funktionieren kann es so nicht.

Von Jörg Häntzschel

Area 51, das ist das supergeheime Sperrgebiet in Nevada, wo die Aliens landen. Auch das Berliner Humboldt-Forum hat seine "Area 51". Es ist die Ausstellung, in der Identität, Religion und andere Dinge behandelt werden, die so heikel sind, dass über sie nicht gesprochen werden darf. Geprägt hat den Begriff Moritz Wullen, der als "Beauftragter der Gründungsintendanz" die Unterhaltung des Humboldt-Forums mit sich selbst steuert.

Mit der Welt spricht das Humboldt-Forum indes kaum noch. Das ganze Projekt - Deutschlands wichtigstes Kulturvorhaben seit Jahrzehnten - ist eine Art Area 51. Schon vor einem Jahr sollte "Gründungsintendant" Neil MacGregor sein Konzept erläutern. Nachdem nur Vages kam, stand Ende 2017 als neuer Termin im Raum. Nun wird erneut abgewunken, denn: "Es ist eine prozesshafte und agile Herangehensweise, die wir zurzeit umsetzen." Auch die Humboldt-Universität weiß noch nicht, was sie in ihrem "Humboldt-Labor" vorhat. Bei einer Veranstaltung an diesem Mittwoch wird sie nur die "inhaltliche Ausrichtung" bekanntgeben. Das Labor hat noch nicht mal einen Leiter.

Wer immer Kulturminister wird, muss diesen gordischen Knoten zerschlagen

Es gibt viele Gründe für diese Mischung aus Lähmung, Intransparenz und Ideenlosigkeit. Der Bundestag beschloss den Bau des Schlosses, ohne sich über den Inhalt Gedanken zu machen; der Widerspruch zwischen preußischer Fassade und außereuropäischen Inhalten bleibt unauflösbar; jahrelang war niemand verantwortlich, dann holte Kulturstaatsministerin Monika Grütters statt eines Full-Time-Machers MacGregor als Chef, einen Berater, der dem Forum nur ein Drittel seiner Zeit widmet und das Haus nicht leiten will.

Ein anderer Grund ist aber die labyrinthische Organisationsstruktur. Jetzt, zwei Jahre vor der geplanten Eröffnung, ist nicht mehr zu übersehen, wie abenteuerlich sie ist. Der nächste Kulturstaatsminister wird diesen gordischen Knoten zerschlagen müssen. Ohne, dass geklärt ist, wofür er zuständig ist, wird kein Intendant unterschreiben. Und weil, so Grütters' Mantra, ein "Haus aus einem Guss" entstehen soll, wird man nebenbei auch noch finden müssen, was dem Humboldt-Forum bisher abgeht: ein Konzept, eine Haltung.

Das Humboldt-Forum begann - Achtung, es wird jetzt kompliziert! - als Bauprojekt, inspiriert von der Rekonstruktion der Dresdener Frauenkirche und getrieben vom Schlossaktivisten Wilhelm von Boddien. Man hoffte, auch in Berlin würden die Bürger begeistert für die Fassade spenden. Damit sie dabei auch Steuern sparten, gründete man die gemeinnützige Stiftung Humboldt-Forum. Der Stiftung, die dem Bauministerium untersteht, gehört das Grundstück; sie beauftragte mit dem Bau das ebenfalls dem Bauministerium unterstehende Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBR).

Die Stiftung erlaubt es aber auch, die Unzahl beteiligter Institutionen an einen Tisch zu bringen: vier Ministerien, den Bundestag und die drei "Akteure", die das Humboldt-Forum bespielen sollen - das Land Berlin mit dem Stadtmuseum; die Humboldt-Universität und die Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK), die mit Exponaten aus dem Ethnologischen Museum und dem Museum für Asiatische Kunst zwei der vier Stockwerke füllen wird.

Genau hier lag der Geburtsfehler. Statt auf diesem Rangierbahnhof der Interessen aufzuräumen, ging man den umgekehrten Weg: Man lud alle zum Mitmachen ein, zwang alle in die Haftung. "Das System ist darauf angelegt, nicht öffentlich kritisiert zu werden. Alle relevanten Leuten sind schon an Bord. Man ersetzt die öffentliche Debatte durch ein Organisationstableau", so beschreibt es der Jurist Christoph Möllers.

Das Humboldt-Forum fußt auf einem System von redundanten und in alle Richtungen verflochtenen Strukturen. Dieselben Funktionäre bevölkern über- und untergeordnete Gremien, kontrollieren sich selbst und treffen sich immer wieder, in unterschiedlichen Sitzungssälen, aber immer mit derselben Absicht: das für sie nützliche Machtgleichgewicht am Leben zu erhalten. Grütters, die bei der Berufung MacGregors sagte: "Das Humboldt-Forum hat sich erfolgreich abgenabelt von der Politik", hat es am besten von allen verstanden, das System für ihre Zwecke zu nützen.

Dass man die Spendenfreude überschätzte - von versprochenen 105 Millionen Euro sind laut Stiftung erst 69 gesammelt - ist also das kleinere Problem. Schlimmer sind die irreparablen Schäden, die entstanden, weil die Aufgaben nach politischen, nicht inhaltlichen Kriterien verteilt wurden. So haben nicht die Museumsleute das Sagen über die Ausstellungsgestaltung, sondern Beamte des BBR. "Die Bauleute haben uns vor sich hergetrieben wie kleine Kinder", so Horst Bredekamp, der dritte Gründungsintendant.

Doch jetzt wird das Projekt von all dem eingeholt, was die Konsensmaschine lange unter den Teppich kehrte: vor allem die Fragen, wer das Sagen hat und was das Humboldt-Forum eigentlich sein soll. Ein kleines Vorspiel konnte man im Sommer erleben. Als Berlin signalisierte, die Stadt sei nicht bereit, die Regie über ihre Ausstellungsfläche an einen zukünftigen Intendanten abzugeben, drohte das Bundeskulturministerium (BKM) öffentlich, Berlin aus dem Humboldt-Forum zu drängen.

Parzingers Preußenstiftung ist Grütters zu mächtig. Wie kann sie seinen Einfluss beschneiden?

Der viel ernstere Streit betrifft die Autonomie der beiden Dahlemer Museen. Noch immer ist von deren "Umzug" ins Schloss die Rede. Anfangs waren sogar Depots und Werkstätten vorgesehen. Während die anderen noch redeten, waren die Ausstellungen fertig geplant. Doch dann holte Grütters im Alleingang den von ihr hochgeschätzten "Neil". Er sah die Ausstellung und fand, es müsse alles anders werden. Flexibler, weniger akademisch, populärer. Obwohl er als bloßer Berater niemandem etwas zu sagen hat, strich er ein Drittel der Ausstellungs-"Module" und baute die übrigen um. Die Dahlemer Kuratoren klagen, ihre Ausstellung ergebe keinen Sinn mehr. Andere Ethnologen halten die ursprüngliche Planung für ebenso misslungen wie die Überarbeitung. Für seine Vorab-Ausstellungen im Werbepavillon Humboldt-Box wurde MacGregor verhöhnt.

Doch nicht nur die Ausstellung, auch die Museen selbst werden gerupft. Die Berliner Zeitung spricht von "einer der gewaltigsten Reformen der Berliner Museumslandschaft seit dem 19. Jahrhundert". Klar ist das, seit die Stelle eines "Direktors für die Sammlungen im Humboldt-Forum" ausgeschrieben wurde, der die scheidenden Direktoren der beiden Museen ersetzen soll. Ethnologische Kenntnisse sind nicht erforderlich. Erst werden die beiden Dahlemer Museen also zusammengelegt, dann wird das Ergebnis in zwei Stücke geteilt: ein bloßes Schaufenster mit 14 500 Exponaten im Humboldt-Forum und den geplanten Forschungscampus in Dahlem.

Doch weil der neue "Sammlungsdirektor" nicht nur für die beiden Museums-Stockwerke, sondern auch für die Ausstellungen der Humboldt-Uni und des Stadtmuseums zuständig sein soll, wird das weltweit bedeutendste und größte ethnologische Museum de facto aufgelöst. "Wir möchten nicht museal arbeiten, die Sammlungsgegenstände sollen vielmehr der Anlass für eine interdisziplinäre Herangehensweise sein", so Grütters.

Ihr geht es aber weniger um Museumskonzepte als um Machtpolitik. Sie könnte das Sorgenkind Humboldt-Forum in die Hände von Hermann Parzinger legen. Doch als Herr von 2000 Mitarbeitern in 15 Museen, zwei Staatsbibliotheken und etlichen anderen Institutionen ist ihr Parzinger schon jetzt zu mächtig. Wie alle zu groß gewordenen Imperien ist auch seine Stiftung Preußischer Kulturbesitz von Trägheit und Selbstbezogenheit befallen. Die Häuser verlieren international den Anschluss. Aufgaben wie die Provenienzforschung wurden verschleppt. Ganz abgesehen davon hat man von Parzinger zum Humboldt-Forum in all den Jahren nie eine zündende Idee gehört.

Grütters hat also viele gute Gründe, Parzingers Reich nicht noch zu vergrößern. Doch dann hätte sie das Humboldt-Forum inhaltlich und strukturell auch so aufstellen müssen, dass ein künftiger Intendant nicht im Dauerclinch mit Parzinger steht. Stattdessen vergrößerte sie den Wirrwarr und nützt ihn, um sich einen möglichst direkten Zugriff auf das Prestigeprojekt zu sichern und Parzinger an den Rand zu drängen. Die Leidtragenden sind die Museen.

Ihr wichtigstes Instrument dazu ist das Fantasiegremium Gründungsintendanz, in dem sie Parzinger, Europas mächtigsten Kulturfunktionär, einem Berater mit 30-Prozent-Vertrag unterstellte. Das zweite ist die Humboldt Forum Kultur GmbH, eine Tochterfirma der Stiftung. Obwohl die Stiftung am Bauministerium angehängt ist, wird die Kultur GmbH vom BKM kontrolliert. Grütters' rechte Hand Günter Winands ist einziger Gesellschafter, sie selbst ist Vorsitzende des Aufsichtsrats und hat - ohne Ausschreibung - Lavinia Frey als Geschäftsführerin eingestellt, die wiederum im Vorstand der Stiftung sitzt.

Die Strukturen sind so komplex, dass selbst die Beteiligten nicht durchblicken. Laut BKM hat MacGregor einen Beratervertrag mit dem BKM und "Verwaltungsverträge" mit Stiftung und GmbH. Laut Stiftung berät er die Stiftung, nicht das BKM, das aber sein Honorar bezahle. Laut Kultur GmbH berate er alle drei und habe mit allen dreien eigene Verträge.

Offiziell ist die Kultur GmbH für alles verantwortlich, was SPK, HU und Berlin nicht machen: Veranstaltungen, "Akademie", Management, Kommunikation. Tatsächlich jedoch reißt sie immer weitere Teile des Humboldt-Forums an sich. Und während bei den Museen an jeder Stelle geknapst wird, stellt die GmbH laufend neue Leute ein. Zuletzt lag die GmbH mit 44 Stellen gleichauf mit dem Ethnologischen Museum. Bis zur Eröffnung soll sie laut Frey auf 350 Mitarbeiter wachsen. Darunter mögen gute Leute sein, andere kennen aber die Sammlungen nicht, mit denen sie arbeiten. Lavinia Frey, die sie einstellt, kommt vom Theater, hat kaum Ausstellungserfahrung und liest sich in Ethnologie gerade erst ein. Kleinlaut klagt der angeschlagene Parzinger über "ein gewisses Missverhältnis in der Personalausstattung", doch durchsetzen kann er sich nicht.

Wer ein "Haus aus einem Guss" will, muss beantworten, was das Humboldt-Forum sein soll

Immer mehr verkehren sich jetzt die vorgesehenen Funktionen. Statt die Kuratoren zu entlasten, bauen die GmbH-Leute deren Ausstellungen um. Die Wechselausstellungen wurden den Museen ganz aus der Hand genommen. "Das sind reine GmbH-Produkte", so ein Beteiligter. "Viele in Dahlem haben noch nicht realisiert, dass sie überflüssig gemacht werden."

Doch der Durchmarsch des Grütters-Flügels kommt nun an seine Grenzen: Zum einen ist unklar, wie sich die Museen und ihre 14 500 Exponate ohne die Zerschlagung der SPK aus Parzingers Verantwortung lösen lassen. Zum anderen wird man keine neue Governance-Struktur finden, ohne dass das hermetische System der Abhängigkeiten zerfällt. Auch Grütters' Idee vom "Haus aus einem Guss" wird ihr den Zugriff auf das Humboldt-Forum nicht sichern. Es zieht programmatische Festlegungen nach sich, die genau jene Debatten in Gang setzen, die man vermeiden will. Paul Spies, der Holländer, der seit einem guten Jahr das Stadtmuseum leitet und sich über die "Behörden- und Machtmentalität" sehr wundert, hält gerade diese Debatten für existenznotwendig. Er hat ein Kooperationsmodell für die Akteure ausgearbeitet, das liegt ja ohnehin nahe. "Das Humboldt-Forum wird nur gelingen in einem offenen, konstruktiven und aufgeschlossenen Geist." Wann, so fragt man sich, wird man auch bei der Politik verstehen, dass es dazu keine Alternative gibt?

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Quelle:
SZ vom 21.11.2017
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