Kulturpolitik:Leere Paläste

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Während der Staat für Kulturbauten Milliarden ausgibt, leben viele Künstler prekär. In der Pandemie ist der Unterschied krasser denn je.

Von Jörg Häntzschel

Wie es in Theater, Oper oder Konzert jetzt zugehen wird, das hat diese Woche das Foto vom Zuschauerraum des Berliner Ensembles gezeigt. Hier ein Sessel, dort zwei, drum herum Leere. Doch die Kultur wird nach der Wiedereröffnung nicht nur mit Hygieneauflagen zu kämpfen haben, sondern auch mit Budgets, die nach Jahren herrlichen Wachstums sinken werden. Damit dürfte eine alte Debatte neu aufflammen: Die um die exorbitanten Summen, die in Neubau und Renovierung von Kulturbauten fließen. Passen teure neue Häuser wie das Berliner Museum der Moderne noch in die Zeit? Kulturstaatsministerin Monika Grütters bejaht entschieden: "Dieses Haus ist kein Luxus für gute Zeiten. Man braucht es mehr denn je." Andere sind skeptisch. Angesichts drohender Kostenzuwächse beim geplanten Münchner Konzertsaal hat der ehemalige bayerische Justizminister Winfried Bausback öffentlich gefragt, "inwieweit ein solches Projekt jetzt darstellbar ist". Was es auch ist, das Bausback zweifeln lässt: Die Frage ist nicht nur beim Konzertsaal berechtigt. Das Missverhältnis zwischen den Lebens- und Beschäftigungsverhältnissen in der Kulturbranche und den Palästen, die der Staat der Kultur gerne baut, ist seit Langem frappierend. Jetzt, da viele Künstler von Soforthilfen oder von Hartz IV leben, wird es noch krasser.

Auch die Armut der Institutionen wird zunehmen. Viele deutsche Museen laufen seit Jahrzehnten im Notbetrieb, mit wenigen, oft prekär beschäftigten Mitarbeitern. Sie sind im internationalen Vergleich schlecht besucht, hinken bei Vermittlung, Digitalisierung und Provenienzforschung hinterher. Auch für den Unterhalt der Gebäude fehlt das Geld.

Schön, wenn der Staat seine Wertschätzung für die Kultur auch in den Bauten ausdrückt. Doch bei vielen Projekten führen Baugesetze und feudale Sehnsüchte zu einem erstaunlichen Ausstattungsfetischismus. "Es muss bei öffentlichen Bauten in Deutschland immer der Mercedes sein, wo noch der Rücksitz klimatisiert ist, keiner will einen Golf", sagte dazu Wolfgang Dunkelau vom Bund deutscher Architekten. Nach außen hin muss das natürlich verschleiert werden. Deshalb werden Kosten oder Platzbedarf heruntergerechnet, bevor sie dann leider steigen. Teure Extras schleichen sich in die Planung ein. In München werden Details des Erbpachtvertrags für den Konzertsaal unter Verschluss gehalten. Was in den Häusern passieren soll, spielt oft nur eine Nebenrolle. Am extremsten war es beim Humboldt-Forum: Erst entschied der Bundestag, das Schloss wiederaufzubauen, dann wurde ein Inhalt gesucht. Die Räume im Schloss sind schlecht geeignet für das Museum, das dort jetzt eingerichtet wird; und weil man die Preußen-Vollausstattung wünschte, samt Kreuz und Schriftzug, wird das Haus für immer gegen das anarbeiten, was darin stattfindet.

In den letzten Monaten haben Museen, Theater, Orchester, Filmfestivals erstmals erlebt, wie es ist, wenn ihre Häuser geschlossen sind. Nicht alle hatten Erfolg beim Streamen und Zoomen. Doch dafür, dass das alles improvisiert war, gab es viele positive Überraschungen. Erst jetzt, so sagte am Donnerstag der Regisseur Milo Rau bei einer Diskussion im Maxim-Gorki-Theater, sei ihm klar geworden, wie "konservativ" die Institution Theater sei, wie sehr der Bau das Programm diktiere, und welche Freiheiten die Corona-Beschränkungen ihm beschert hatten. Nun konnten auch Interessierte aus dem Kongo sein "Kongo-Tribunal" ansehen oder andere, die sonst nicht ins Theater gehen. Die Institutionen sollten die Out-of-body Experience der letzten Monate als Geschenk begreifen und mit Unterstützung der Politik daran arbeiten, über sich hinauszuwachsen. Gebäude sind gerade besonders unwichtig.

© SZ vom 30.05.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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