Süddeutsche Zeitung

Jugend- und Kulturförderung:Kulturgutscheine vom Staat

Von 2023 an erhalten alle 18-Jährigen vom Bund Geld für Konzerte, Theatertickets oder Bücher. Auch für die von Schließungen bedrohten Goethe-Institute ist noch Geld da.

Von Jörg Häntzschel

Am Freitag haben Kulturstaatsministerin Claudia Roth und Finanzminister Christian Lindner eine bemerkenswerte neue Form der Kultursubvention vorgestellt: den "Kulturpass". Alle, die im kommenden Jahr das 18. Lebensjahr vollenden, erhalten ein Guthaben von 200 Euro, das sie im Verlauf von zwei Jahren für Konzert- oder Theaterkarten, aber auch für Bücher und Tonträger ausgeben können.

Die Initiative hat zwei Ziele: Einerseits will sie Jugendlichen helfen, ihre Corona-Gewohnheiten hinter sich zu lassen. Sie sollen rausgehen und "Live-Kultur erleben". Andererseits unterstützt sie die Orte, wo Kultur erlebt, "erfahren und erprobt werden" kann, so die Pressemitteilung. Diese Orte hätten "noch immer mit einem dramatischen Publikumsschwund" zu kämpfen. Es handelt sich also zu gleichen Teilen um eine pädagogische bis sozialtherapeutische Maßnahme und eine postpandemische Hilfe für den Kultursektor, der seine Säle trotz Normalisierung des öffentlichen Lebens weiterhin kaum füllen kann.

Anders als üblich geht die Hilfe diesmal also nicht direkt an die Institutionen - Theater, Verlage, Opernhäuser -, sondern an das Publikum. Wie viel von dem Staatsgeld welchen Anbietern zugutekommt, darüber entscheiden nicht Ministerialbeamte und Jurys, sondern die 18-Jährigen selbst. Damit baut der Staat nicht nur ein bemerkenswertes marktwirtschaftliches Moment in die staatliche Kulturförderung ein, er verzichtet auch auf Bevormundung und Gängelung.

Vom zweiten Quartal 2023 an sollen zunächst alle 750 000 Bürgerinnen und Bürger im Alter von 18 Jahren dieses "kulturelle Startkapital" erhalten. Dafür stehen im kommenden Jahr 100 Millionen Euro zur Verfügung. Sollte die Initiative, deren Vorbilder ähnliche Modelle in anderen europäischen Ländern waren, die erhofften Effekte erzielen, soll sie auf alle Jugendlichen ab 15 Jahren ausgeweitet und zur Dauereinrichtung werden.

Wie genau das Geld bei den Jugendlichen ankommen wird und wie diese es für Konzertkarten oder Bücher ausgeben können, erscheint vorerst noch etwas nebulös. Eine App und Website soll als "Plattform" dienen, über die sich die Jugendlichen mit Kulturinstitutionen, Konzertveranstaltern, Buch- und Plattenhändlern "vernetzen" sollen. Gedacht ist an einen "virtuellen Marktplatz", auf dem etwa Kinobetreiber ihr Filmprogramm einstellen und die Kunden dann direkt ihre Tickets erwerben können.

Teure Einzelkäufe, "etwa einer Konzertkarte im Wert von 200 Euro", werden - so viel Gängelung dann doch - mit einer Preisobergrenze unterbunden. Für Bücher und Platten sollen nur lokale Händler zum Zug kommen. Große Verkaufsplattformen und Onlinehändler wie Amazon sind von der Aktion ausgeschlossen, ebenso Streamingplattformen, ob für Filme oder Musik. Warum physische Tonträger - die Pressemitteilung erwähnt ausdrücklich "Vinyl-Platten" - förderungswürdig sind, ein Spotify-Abo aber nicht, das dürfte in den nächsten Monaten ebenso leidenschaftlich diskutiert werden wie die Frage, welche Buchhandlung, welche Konzertagentur, welche Multiplexkette als "lokal" gilt.

Auch der Kahlschlag beim Goethe-Institut wurde abgewendet

Die Entscheidung für den "Kulturpass" war eines von vielen Ergebnissen der "Bereinigungssitzung" am Donnerstag, mit der der Haushaltsausschuss jedes Jahr im November Geld, das in den Haushaltsentwürfen noch nicht verplant ist, auf die verschiedenen Ressorts verteilt. Dabei werden nicht nur regelmäßig Liebhaberprojekte einzelner Abgeordneter bedacht, sondern auch Bereiche, die in den Entwürfen zu kurz gekommen waren. In diesem Jahr zählte dazu unter anderem die auswärtige Kulturpolitik.

Die Etats von Goethe-Institut (GI), Deutschem Akademischen Austauschdienst und der Alexander-von-Humboldt-Stiftung waren in den Haushaltsplanungen erheblich beschnitten worden. Das GI hätte mehrere Institute schließen müssen. Diese Einsparungen, zumal in Zeiten von Krieg, Populismus und Desinformationskampagnen, waren in den vergangenen Monaten auf großes Unverständnis gestoßen. Nun hat das GI zusätzlich 15,1 Millionen Euro erhalten, der DAAD 31,1 Millionen. Die Kürzungen des vergangenen Jahres sind damit nicht ganz ausgeglichen, aber die drohenden tiefen Schnitte wurden vermieden.

Mehr Geld gibt es auch für den Bundeskulturhaushalt. Er steigt gegenüber dem Etat von 2022 um vier Prozent (rund 94 Millionen Euro) auf 2,39 Milliarden Euro. Unter den Einzelposten sind beispielsweise zehn Millionen für zusätzliche Energiesparmaßnahmen für das im Bau befindliche Museum des 20. Jahrhunderts vorgesehen.

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