Kulturpolitik in der Türkei:Am Ende der Staatskunst

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Seit Premier Erdogan erklärt hat, dass er das Atatürk-Kultur-Zentrum (AKM) abreißen lassen will, ist es besetzt (Foto: Getty Images)

Stahl und Glas als Gegenstück zu osmanischem Zierrat: Das Atatürk-Kulturzentrum in Istanbul gilt als Musterbeispiel der türkischen Moderne. Seine Nutzung mit Oper und Kino steht für einen westlichen Kulturbegriff. Womöglich genau deswegen will es Premier Erdogan abreißen lassen, doch ob er seinen Willen bekommt, ist längst nicht klar.

Von Christiane Schlötzer, Istanbul

Die Philharmoniker spielen nun im Gezi-Park. Statt Frack und kleinem Schwarzem tragen Geiger und Flötistinnen Shorts und Stirnbänder mit Protestparolen. Tausende türkische Künstler demonstrieren inzwischen ihre Solidarität mit der Taksim-Bewegung. In den unterschiedlichsten Formen, vom Musikclip bis zum Orchesterauftritt im Park.

Sie tun es auch, weil Regierungschef Recep Tayyip Erdogan schon gesagt hat, was er mit der Staatsoper und den Staatsorchestern vorhat. Sie sollen privatisiert werden. Ein Gesetzentwurf, der die staatliche Kunstförderung radikal verändern würde, soll noch im Juni ins Parlament kommen. Wenn es schon keine Staatsoper mehr gibt, dann braucht sie auch kein Haus in Istanbul.

Am vergangenen Sonntag hat der Premier auch erklärt, dass er das Atatürk-Kultur-Zentrum am Taksim-Platz, bekannt unter dem Kürzel AKM, abreißen lassen will. Seitdem ist das AKM besetzt. Bis auf das Flachdach des hochaufragenden Gebäudes haben es Protestler geschafft. Jeden Abend winken sie nun von da oben hinunter zu den Zehntausenden auf dem Taksim. Von unten sind die Demonstranten auf dem Dach ganz klein, aber man sieht, dass es viele sind.

Das AKM ist ein Symbol der Republik. Seine Stahl- und Glasfront ist ein Gegenstück zu osmanischem Zierrat. Das block-artige Gebäude gilt als ein architektonisches Musterbeispiel der türkischen Moderne. Die Nutzung mit Oper, Konzertsaal und Kino steht für einen westlichen Kulturbegriff, wie ihn Republikgründer Kemal Atatürk förderte. Per Gesetz wurde 1940 ein staatliches Konservatorium etabliert, es bildet seither Musiker, Sänger, Tänzer und Schauspieler aus. Die Pläne für ein Opern- und Konzerthaus am Taksim entstanden zur selben Zeit.

Das AKM ist ein Symbol der Republik

Das Atatürk-Kultur-Zentrum am Taksim-Platz in Istanbul (Foto: Bryce Edwards / CC-by-sa-2.0)

Der erste Entwurf für die markante Stelle der Stadt stammt von dem französischen Architekten August Perret, der als Pionier des Stahlbetonbaus gilt. Es wurde lange geplant, bevor wirklich gebaut wurde, und auch nach der Grundsteinlegung stoppten Finanzierungsprobleme die Arbeiten für Jahre. Der 1943 in die Türkei emigrierte deutsche Architekt Paul Bonatz, der Schöpfer des Stuttgarter Hauptbahnhofs, baute dann 1947 erst ein Opernhaus in Ankara, bevor er von 1953 an bei den Plänen für Istanbul mitwirkte. Aber immer noch ruhte der Bau, bis 1956 die Regierung das Projekt von der Stadtverwaltung Istanbul übernahm und den türkischen Architekten Hayati Tabanlioglu beauftragte.

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1969 wurde der Kulturpalast zu Ehren von Republikgründer Atatürk schließlich eröffnet. Nach einem Brand musste das Haus 1970 wieder geschlossen werden. Nach dem partiellen Wiederaufbau wurde das Kulturzentrum 1977 unter seinem jetzigen Namen AKM neu eröffnet. Der deutsche Architekturhistoriker Olaf Bartels, ein Istanbul-Kenner, nennt das AKM den "türkischen Palast der Republik".

Vom Berliner Palast der Republik existiert seit 2008 nichts mehr. Im selben Jahr musste auch das AKM geschlossen werden. Eine Asbestsanierung war nötig geworden, wie bei vielen Gebäuden aus den Siebzigerjahren, die Elektrik war marode und nicht mehr auf der Höhe der Zeit, die Bühnentechnik sollte ausgetauscht werden. Schon damals entspannte sich eine heftige Debatte darüber, ob das Gebäude nicht besser abgebrochen werden sollte.

Dann aber sollte die Sanierung des AKM zum Vorzeigeprojekt für die Europäische Kulturhauptstadt Istanbul 2010 werden. Leider wurde man wieder einmal nicht rechtzeitig fertig - weil ein Gerichtsprozess den Bau aufhielt. Am Ende gab es kein Kulturhauptstadtgeld mehr. Da half Güler Sabanci, die Chefin der zweitgrößten In-dustrieholding der Türkei. Sie spendierte im Februar 2012 eine Summe von 30 Millionen Lira (knapp 15 Millionen Euro) für das AKM. Der damalige Kulturminister Ertugrul Günay versprach, ebenso viel aus der Staatskasse dazuzulegen. Alles schien gut zu sein. Die Sanierungspläne zeichnete Murat Tabanlioglu, der Sohn des AKM-Schöpfers, der die Originalzeichnungen seines Vaters kennt. Die Wiedereröffnung war für den 29. Oktober dieses Jahres geplant, das ist der türkische Republikfeiertag.

Dann kam Erdogan und sagte: "Inshallah", so Gott will, werde das AKM abgerissen.

Murat Tabanlioglu weiß nicht, was nun werden soll. Das AKM, sagt er, sei ein "historisches Bauwerk erster Klasse", das hätten auch die staatlichen Denkmalschützer festgestellt. Ob das Erdogan interessiert? Womöglich nicht. Allerdings ist auch keineswegs gewiss, ob der Premier noch seinen Willen bekommt. Selbst in den Mainstream-Medien werden die Kommentare gegen den Regierungschef böser und das Lob für die Demonstranten lauter. Präsident Abdullah Gül nennt die friedlichen Taksim-Protestler "zivilisierte" Leute. Erdogan hatte sie als "çapulcular", als Marodeure, bezeichnet. Das Wort macht inzwischen Karriere. Im Gezi-Park gibt es jetzt eine "Çapulcu-Bücherei". Die Demonstranten malen Plakate, auf denen steht: "Weder links, noch rechts, çapulcu".

Die Fassade des AKM hat neuen Schmuck erhalten. Ein roter Stern gehört dazu, die größten Plakate aber sind symbolfrei und schlicht. "Kes sesini tayyip" steht auf einem der größten. Halt den Mund, heißt das. Die Gezi-Schützer haben in ihre Forderungen an die Regierung inzwischen die Erhaltung des AKM aufgenommen.

Kein Mut zum Experiment

Als die ersten Baumfreunde im Gezi-Park vor zwölf Tagen ihre Zelte aufschlugen, da nahmen die meisten türkischen Medien dies nicht zur Kenntnis. Gleiches galt für eine Demonstration von Opernsängern, Balletttänzern und Orchestermusikern in Istanbul, die praktisch zur selben Zeit stattfand.

Dieser Protest galt eben jenem Privatisierungsgesetz, das die Regierung damit begründet, es sei an der Zeit, sich von "Staatskunst" zu verabschieden. Es gibt ernsthafte Künstler in der Türkei, die dem durchaus zustimmen würden. Die kritisieren, dass den Staatsbühnen meist der Mut zum Experiment fehle. Aber diese Kritiker glauben auch, dass die Erdogan-Regierung mit der Neuordnung der Kunstförderung kaum mehr Freiheiten im Sinn hat. Das Misstrauen ist groß.

Das Gesetz sieht einen Rat von elf Personen vor, die das letzte Wort über die Verteilung von Kulturgeldern haben sollen. Dieser Rat wird von der Regierung bestimmt. Kunstförderung soll über einen Fonds erfolgen, der auch aus Mitteln der Staatlichen Lotterie gespeist wird. Die Regierung verweist auf die USA, wo Kunstförderung ebenfalls in den Händen privater Mäzene liegt. In der Türkei ist Mäzenatentum schon weit verbreitet. Neue Museen in Istanbul tragen die Namen prominenter Industriellenfamilien. Klassik- und Jazzfestivals, die Istanbuler Kunstbiennale - überall sind Sponsoren aus der Wirtschaft am Werk. Aber ohne die staatliche Förderung würden Opernhäuser und Orchester wohl kaum überleben.

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"Wir wehren uns, bis wir gewinnen": Erst ging es nur um einen Park, jetzt um Regierungschef Erdogan. In mehreren türkischen Städten ist es in der Nacht erneut zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Polizei gekommen.

Die Eindrücke in Bildern

Das fürchtet auch der türkische Pianist Fazil Say, einer der größten Klassik-Stars des Landes und bekannter Erdogan-Kritiker. "Über Popmusik, Arabesque und die Magazinkultur regt sich keiner auf, warum rührt man unsere Kunst- und Kulturinstitutionen an?" fragte Say in einem Beitrag für die Zeitung Radikal. Say erzählte schon vor einer Weile, er habe Erdogan in einer Ballett-Premiere gesehen. Der Regierungschef habe gar nicht auf die Bühne, sondern auf den Boden geschaut.

© SZ vom 07.06.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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