Kulturpolitik in Bayern:Die Macht der Schönen Künste

Walter Keim

Bei Kunst-Ministerialdirigent Walter Keim liefen 30 Jahre lang alle Fäden zusammen (rechts außen).

(Foto: SZ Photo)

Wie in Bayern schon in den frühen Fünfzigerjahren mit Kultur Politik gemacht wurde, belegt auf vielfältige Weise ein Buch von Thomas Jehle.

Von Oliver Hochkeppel

Kultur ist nie ganz unpolitisch. Man mag das heute angesichts der globalisierten, in jedem Moment verfügbaren Kulturindustrie gerne verdrängen, und nur, wenn etwa ein Ai Weiwei Reiseverbot bekommt oder ein amerikanischer Sänger einen Protestsong gegen seinen Präsidenten schreibt, bekommt man wieder eine Ahnung davon. Gerade in Deutschland sollte man die Erinnerung wachhalten, wie umfassend Kultur politisch vereinnahmt werden kann - nicht einmal ein Jahrhundert ist der faschistische Kulturbruch her, als die Nationalsozialisten Kunst in entartet und wertvoll einteilten und letzteres unter vollkommener Kontrolle ausschließlich ihrer Propaganda unterordneten.

Umso schwieriger war der Neuanfang deutscher Kulturpolitik nach dem Krieg, als man überhaupt erst wieder Anschluss an die internationalen Entwicklungen herstellen, aber inhaltliche Einflussnahme und zu starke Instrumentalisierung vermeiden musste. Bayern aufgrund seiner langen eigenstaatlichen Tradition und insbesondere München mit seiner zentralen Stellung als Kunst- und Kulturstadt nahmen wieder einmal eine Sonderrolle ein, zumal Berlin wegen seiner Teilung und Insellage als deutsche Kulturhauptstadt mehr oder weniger ausfiel. Der Münchner Historiker Thomas Jehle trug unlängst im Instituto Cervantes zusammen mit seinem Doktorvater Ferdinand Kramer vor, was er dazu in seiner 2018 bei Beck erschienenen Dissertation "Die auswärtige Kulturpolitik des Freistaats Bayern 1945 - 1978" herausgefunden hat.

Deutscher Botschafter Prinz Adalbert von Bayern bei Franco, 1952

Schlüsselfiguren auswärtiger bayerischer Kulturpolitik: Adalbert Prinz von Bayern, Sohn der spanischen Infantin Maria de la Paz, der 1950 schon die Deutsch-Spanische Gesellschaft in München mitgegründet hatte, wurde 1952 erster deutscher Botschafter in Madrid und legt hier dem General Francisco Franco sein Beglaubigungsschreiben vor, um als Botschafter akkreditiert zu werden.

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Sein Buch ist die erste umfassende Monografie zu diesem Thema. Warum dieses Feld so lange nicht auf der Agenda hiesiger Historiker oder Publizisten stand, erklärt sich nicht zuletzt aus einigen über Jahnkes Buch verstreuten Sätzen. "Eine institutionelle Verankerung der Außenbeziehungen oder auswärtigen Kulturpolitik existierte im Betrachtungszeitraum nicht", heißt es schon in der Einleitung, "eine übergeordnete Programmatik existierte nicht" im Fazit, und im Anhang findet sich ein Interview mit dem ehemaligen Kultusminister Hans Maier mit folgenden ernüchternden Passagen: "War der kulturpolitische Ausschuss des Landtags in die Außenbeziehungen des Freistaats involviert? ..." - "Nein, der war zu beschäftigt mit den sieben kulturpolitischen Gesetzen, vom Kindergartengesetz bis zum Hochschul- und Denkmalgesetz . . ." Kann man Ihre Aussage zum kulturpolitischen Ausschuss analog für das Amt des Kultusministers annehmen? ... " - "Ja, das muss man so sehen."

Der Grund dafür, warum ein formaler Rahmen für die auswärtige bayerische Kulturpolitik fehlt, liegt in der diffizilen verfassungsrechtlichen Ausgangslage: Nach dem Grundgesetz haben die Bundesländer die Kulturhoheit, Außenpolitik freilich ist ausschließlich Sache des Bundes. War Jehle also mit seinem Thema schlecht beraten, ist eine auswärtige Kulturpolitik Bayerns gar eine Schimäre? Nein, Jehle kann nachweisen, dass sich schon früh in den Fünfzigerjahren pragmatische Lösungen für diesen Verfassungskonflikt eingeschliffen hatten. Der Freistaat konnte Außenbeziehungen als Ausdruck bayerischer Staatlichkeit pflegen, indem er die Kultur in den Dienst der Politik stellte, gleichzeitig wirkte er sozusagen in einer Zwitterrolle bei vielen entsprechenden außenpolitischen Initiativen des Bundes mit. Somit bewahrheitete sich der schöne Satz des ersten Bundespräsidenten Theodor Heuß, mit dem Jehle sein Buch beginnen lässt: "Mit Politik kann man keine Kultur machen, aber vielleicht kann man mit Kultur Politik machen."

Mehr als bei institutionalisierten politischen Aufgaben wuchsen dabei Regierungsbeamten unterhalb der Ministerebene und sozusagen als verlängerter Arm Mitgliedern der Zivilgesellschaft enorme Gestaltungsspielräume zu. Leuten wie dem 1946 zum ersten "Staatssekretär für die Schönen Künste" ernannten Dieter Sattler, der sich nicht nur um den Wiederaufbau des kulturellen Lebens im Inneren kümmerte, sondern auch schon die Möglichkeit sah, nach zwölfjähriger Isolationen internationale Beziehungen wiederherzustellen: "Denn hier (gemeint sind die Schönen Künste) liegen die einzigen Schätze, die uns für die übrige Welt im Konzert der Völker noch bedeutungsvoll erscheinen lassen", schrieb Sattler in die Regierungserklärung zu den Aufgaben für das Kultusministeriums 1947. Als sein Amt 1951 aus verfassungsrechtlichen Gründen gestrichen wurde, ging er erst als Kulturattaché an die Deutsche Botschaft in Rom, um 1959 Leiter der Kulturabteilung des Auswärtigen Amtes zu werden, wo er ein wichtiger Ansprechpartner blieb.

Wilhelm Hausenstein, 1952

Der Name "Süddeutsche Zeitung" ist seine Erfindung: Wilhelm Hausenstein, der frankophile Wahl-Münchner Homme de lettres, entspann als deutscher Generalkonsul ein Netz kultureller und kulturpolitischer Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich - und nicht zuletzt zwischen München und Paris.

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Nicht zuletzt für Walter Keim, den Sattler selbst ans bayerische Kultusministerium geholt hatte, und der als Ministerialdirigent der "Abteilung IV (Kunst)" zur Schlüsselfigur der auswärtigen bayerischen Kulturpolitik werden sollte, 31 Jahre lang und unter fünf Kultusministern, bis er 1979 in Pension ging. Seine Initiativen reichten von großen Kunstausstellungen im Ausland schon während der Besatzungszeit bis "Rococo Art from Bavaria" in London 1954 (danach fanden sie vor allem aus konservatorischen Gründen ein Ende) über Auslandsgastspiele der Bayerischen Staatstheater bis zur Mitwirkung in internationalen Organisationen. So war Keim unter anderem Vertreter der Bundesrepublik in den Kommissionen des deutsch-ägyptischen und des deutsch-südafrikanischen Kulturabkommens, und er wurde für das Kultusministerium Mitglied der Deutsch-Spanischen Gesellschaft wie nahezu jeder wichtigen ähnlichen Vereinigung.

Bei deutsch-französischen Beziehungen, die auch in der bayerischen Kultur-Außenpolitik eine zentrale Rolle spielten, wurde der Münchner Schriftsteller und Kunsthistoriker Wilhelm Hausenstein eine prägende Figur. Der Humanist und Katholik, Mitarbeiter der Süddeutschen Zeitung, von Hochland, Frankfurter Hefte und Merkur, wurde 1950 erster Generalkonsul der Bundesrepublik in Paris und zog ein großes Netzwerk aus Künstlern und Kulturpolitikern auf, zu denen auch die Gleichgesinnten Dieter Sattler und Walter Keim gehörten.

Dieter Sattler

Einer von Hausensteins Ansprechpartnern war Dieter Sattler (unten rechts sitzend), der als ehemaliger "Staatssekretär für die Schönen Künste" die Grundlagen der bayerischen Kulturpolitik geschaffen hatte und von 1959 bis 1966 Leiter der Kulturabteilung des Auswärtigen Amtes war.

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Äußerst interessant sind die Schwerpunkte der bayerischen Kulturaußenpolitik und ihre Verlagerung im Lauf der Zeit, wie sie Jehle nachweist. Ging es während der Besatzungszeit durchaus noch um einen Beitrag zu einer bayerischen Eigenstaatlichkeit, die ja noch nicht vom Tisch war, so konzentrierte man sich nach der Gründung der Bundesrepublik auf die Instrumentalisierung der Kultur für die Föderalismus-Politik und zur Reintegration in die Völkergemeinschaft, bis in den Siebzigerjahren explizit die Aufgabe als Wirtschaftsförderung dazu kam. Stand in den Fünfziger- und frühen Sechzigerjahren noch die "Hohe Kultur" im Mittelpunkt freistaatlicher Repräsentation, so erweiterte sich danach der Kulturbegriff bis hin zur Volks- und Alltagskultur. Als Adressat ist die "alte vornationale Welt" auszumachen, wie es Hans Maier im erwähnten Interview formuliert. Man knüpfte - neben der westlichen Führungs- und ehemaligen Besatzungsmacht USA - an die traditionellen Verbindungen an. Neben Frankreich, Spanien und dem Vatikan vor allem Regionen wie Südtirol oder Kroatien. Mit der Entspannungspolitik kamen verstärkt Bemühungen um Osteuropa hinzu, wie unter anderem die Förderung der Europäischen Wochen in Passau zeigt.

Es ist schade, dass Jehle diesen brandaktuellen, aber schon damals aufgegriffenen Gedanken des vor allem kulturell definierten "Europas der Regionen" nicht weiterverfolgt. Auch die wichtigen Kulturinstitute anderer Länder in München wie das 1954 gegründete Institut français und das ebenfalls bereits 1956, mitten zur Franco-Zeit und bemerkenswerterweise in einem Gebäude der Residenz angesiedelte Instituto Español - das seit 1994 Instituto Cervantes heißt - sind ihm kaum mehr als einen Halbsatz wert. Hier wie an manch anderer Stelle wären Parallelen zur Gegenwart spannend gewesen. Freilich hätte dies wohl den Rahmen dieser Dissertation gesprengt. So muss man sich manch aktuellen Bezug dazu denken. So oder so kommt man auf überraschende Spuren der Politik in der bayerischen Kultur.

Thomas Jehle: "Die auswärtige Kulturpolitik des Freistaats Bayern 1945 - 1978", C.H. Beck, 2018

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