Immer öfter gehört zum Begleitprogramm von Staatsbesuchen aus Afrika, Asien oder Südamerika die Übergabe einiger ausgesuchter Museumsstücke aus dem jeweiligen Land. Der Parisbesuch des ägyptischen Präsidenten al-Sisi im Oktober war Anlass zur Rückerstattung von acht Statuen und Tafeln aus der frühen Pharaonenzeit und im vergangenen Monat gingen 18 präkolumbianische Objekte aus Deutschland, der Schweiz und Italien an Guatemala zurück. Meistens handelt es sich dabei um Raubgut jüngeren Datums und man beglückwünscht sich gegenseitig: Danke, die internationale Zusammenarbeit läuft gut.
Heikler ist die Sache, wenn es um die koloniale Vergangenheit geht. Wohl ist bei der Rückführung von menschlichen Überresten aus den westlichen Völkerkundesammlungen schon einiges geschehen. Frankreich trat die "Hottentotten-Venus" Saartje Baartman an Südafrika ab und gab 2010 eine Sammlung tätowierter Maori-Köpfe an Neuseeland zurück. Wie viele Überreste von Menschen liegen aber noch in westlichen Museen? Allein das Pariser Muséum national d'histoire naturelle hat 18 000 im Lager und die Stiftung Preußischer Kulturbesitz ließ unlängst in einer kuriosen Mitteilung verlauten, die in ihrer Obhut befindlichen rund tausend Schädel aus Ostafrika würden zunächst "aufwendig gereinigt" und dann in einem zweijährigen Provenienzforschungsprojekt auf eine eventuelle Rückgabe hin untersucht.
Ohne Umschweife versprach hingegen der französische Staatspräsident Emmanuel Macron in der vergangenen Woche bei seinem Besuch in Algerien, er werde 37 Schädel von Rebellen zurückerstatten, die 1849 als Kriegstrophäen nach Frankreich gekommen waren. Um offen gebliebene Wunden der Geschichte zu heilen, will er mit der Klärung des widersprüchlichen gemeinsamen Andenkens beginnen.
Schwierig wird es allerdings, wenn es um die Rückgabe von Beutegut aus den europäischen Kunstsammlungen geht. Unter Fachleuten wird die Frage mittlerweile zaghaft diskutiert. Politiker meiden vorsichtig das Thema, außer Macron, der sich mit klaren Worten vorwagte. Er könne nicht hinnehmen, dass das Kulturerbe zahlreicher afrikanischer Länder sich weitgehend in Frankreich und anderen westlichen Ländern befinde, erklärte er vor zwei Wochen auf seiner Afrika-Reise in der Universität Ouagadougou. Das afrikanische Kulturerbe müsse neben Paris auch in Dakar, Lagos und Cotonou gezeigt werden. Der Präsident kündigte an, er werde dafür sorgen, dass in fünf Jahren die Voraussetzungen für eine zeitweilige oder endgültige Rückkehr der Exponate nach Afrika geschaffen seien. Die Pariser Museumswelt ist in Aufregung.
Die afrikanischen Kulturschätze befänden sich fast ausschließlich in Europa und Nordamerika
Auf Rückgabegesuche aus Afrika antwortete Frankreich bisher meistens mit bedauerndem Abwinken und dem Hinweis, die Bestände staatlicher Sammlungen seien per Gesetz leider nicht veräußerbar. Das war auch die Position des Außenministeriums noch im vergangenen Jahr gegenüber einer Anfrage aus Benin um Rückerstattung des 1894 geraubten Königsschatzes von Abomey, der heute im Musée du Quai Branly aufbewahrt wird. So leicht will man es sich fortan offenbar nicht mehr machen. Macron stellt das Thema in den größeren Rahmen der kolonialen Vergangenheitsbewältigung. Von offiziellen Schuldbekenntnissen, Wiedergutmachung oder Schadenersatzzahlung will er nichts wissen. Es geht ihm allein um einen neuen Umgang mit den Kunstgütern. Mehr noch als für die in Afrika lebenden Menschen sei das für die aus Afrika stammenden Franzosen heute wichtig. Mit ihrer Identität können sie erst ins Reine kommen, wenn der Verwahrungsstreit um das Kulturerbe ihrer Vorfahren beigelegt sei. Macron denkt an neue Formen des gemeinsamen Hortens, Konservierens und Ausstellens.
Dagegen halten manche empört die Gesetzesparagrafen hoch. Der Präsident breche mit einem seit dem Edikt von Moulins 1566 geltenden Prinzip, wonach damals der König, heute der Staat keine Verfügungsgewalt über das habe, was Staatsgut geworden sei, protestiert der Kunstmarktjurist Yves-Bernard Debie. Für Einzelfälle wie die Maori-Köpfe könne man eine Ausnahmeregelung treffen, räumt er ein, doch das Prinzip der Endgültigkeit bei Staatssammlungen müsse unangetastet bleiben und der Gedanke einer zeitweiligen Rückgabe sei ein juristischer Unsinn. Und aufs Neue schwirrt in manchen Köpfen die Schreckensvorstellung einer Heimkehr der Parthenon-Friese aus dem British Museum nach Griechenland herum.
Dabei zeigen sich heute auch Verantwortungsträger in exponierten Positionen erstaunlich aufgeschlossen. Das afrikanische Kulturerbe sei ein besonderer Fall, meint der Vorsitzende des Pariser Quai-Branly-Museums, Stéphane Martin. Für eine Ausstellung über alte Kulturen Mexikos kämen die Objekte zwar auch aus Nordamerika und Europa, hauptsächlich aber aus Mexiko selbst. Die afrikanischen Kulturschätze hingegen befänden sich fast ausschließlich außerhalb des Kontinents in europäischen und amerikanischen Sammlungen. Martin plädiert für ein Modell, das nicht mehr auf bilateralen Staatsvereinbarungen beruht, sondern auf eine vielseitige Partnerschaft zwischen Staaten und Institutionen abzielt.
Die in Paris und Berlin lehrende Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy sieht einen entscheidenden Wandel im Gang. Ob auf Macrons Ankündigung auch Taten folgen würden, sei zwar noch ungewiss. Dass ein Politiker sich aber mit so klaren Worten hervortue, sei Anzeichen eines Paradigmenwechsels.
Provenienzforschung ist nach wie vor wichtig, sagt Savoy, "das Pochen darauf als Vorbedingung klang in letzter Zeit aber manchmal wie eine Verzögerungstaktik". Macron habe einen neuen Erwartungsrahmen gesteckt, der auch von der öffentlichen Meinung immer bereitwilliger akzeptiert werde. Statt sich vorschnell zu freuen, denken einige lieber an den nächsten Schritt. Sollten die "Voraussetzungen" für eine Rückgabe, von denen Macron sprach, einfach bedeuten, dass die Afrikaner sich dem Diktat der westlichen Museumsleute zu beugen hätten, schreibt der Beutekunstexperte Kwame Opoku, wäre das nur die nächste Ausrede für einen neuen Aufschub auf später.