Kulturpolitik:Bis die Ziffern rot werden

Ein Strudel aus Kompetenz und Ahnungslosigkeit, Engagement und Leerlauf: Der Kulturausschuss des Bundestags debattiert über Raubkunst und die deutsche Kolonialgeschichte.

Von Jörg Häntzschel

Der Kulturausschuss des Bundestags gilt als eher fades Gremium. Ihm fehlt wirklicher Einfluss, ihm fehlen auch echte Konflikte. Doch die Diskussion, die sich die Abgeordneten am Mittwochnachmittag mit prominenten Experten zum Kolonialismus lieferten, war packender politischer Sport. Gekommen waren auch Monika Grütters und Michelle Müntefering, die beiden für Kultur zuständigen Staatsministerinnen. Doch im Zentrum standen die neun Wissenschaftler und Museumsleute, darunter die Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy, die Historikerin und Aktivistin Manuela Bauche und Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Eingesperrt mit den Abgeordneten in einen der kreisrunden Sitzungsräume lieferten sie sich ein Rennen um Argumente und gegen die riesige, von der Decke hängende Uhr, die die erst fünf, dann drei, dann zwei Minuten Redezeit streng herunterzählte, bis die Ziffern rot wurden.

Die Wettkampfbedingungen waren also klar. Weniger klar war, worüber überhaupt gesprochen wurde. Zwei Anträge lagen vor, einer von den Grünen, einer von der FDP, mit denen die beiden Oppositionsparteien die vor drei Wochen von Bund, Ländern und Kommunen verabschiedeten "ersten Eckpunkte" zum Umgang mit Raubkunst aus der Kolonialzeit ergänzen und konkretisieren wollten. Tatsächlich kamen aber alle erdenklichen Aspekte der Aufarbeitung der deutschen Kolonialvergangenheit zur Sprache. Und weil wir damit, wie etliche Sprecher betonten, "noch ganz am Anfang" stehen, versteht vorläufig jeder etwas anderes darunter. Das beginnt schon im Koalitionsvertrag, wo neben der "NS-Terrorherrschaft" und der "DDR-Diktatur" diskret von der "deutscher Kolonialgeschichte" die Rede ist. Marc Jongen von der AfD charakterisierte sie als ein Entwicklungshilfeprojekt mit verbrecherischen Episoden. Baucha hingegen meinte, wenn es Deutschland ernst sei mit der Auseinandersetzung, müsse es den Kolonialismus zuallererst als Unrechtssystem anerkennen. Für Linke und Grüne ist der Kolonialismus einer der Schlüssel für Rassismus und Ungerechtigkeit der Gegenwart, nicht nur zwischen dem Westen und dem globalen Süden, auch im deutschen Alltag. Solange die Machtasymmetrie zwischen Täter und Opfer fortbestehe, so der Migrationsforscher Louis Henri Seukwa, sei kein echter Dialog möglich.

Die Debatte war sportlich - ein Konsens aber ist nicht in Sicht

Ähnlich weit lagen die Meinungen in der Restitutionsfrage auseinander, einer Debatte innerhalb der Debatte. Kirsten Kappert-Gonther von den Grünen verlangte, die Herkunftsländern sollten einen rechtlichen Anspruch auf gestohlene Objekte bekommen. Andere, wie Guido Gryseels vom Afrika-Museum im belgischen Tervuren, erwiderte: "Zurückgeben, gerne, aber an wen?" Für Savoy hingegen beginnt das Problem bei der Kultur in den Museen. Schon einmal, vor 37 Jahren, so Savoy, habe man Museumsdirektoren erlaubt, eine von Hildegard Hamm-Brücher angestoßene Restitutionsdebatte abzuwürgen (SZ vom 3. März). Deshalb dürfe man den Museen die Erforschung ihrer Bestände nicht alleine überlassen. Was jetzt schon existiere an Inventaren, müssten die Museen endlich zugänglich machten. Heute seien sie wie Bibliotheken ohne Kataloge, "Haufen von Dingen". Parzinger und Wiebke Ahrndt vom Überseemuseum Bremen wiesen die Schuld daran von sich. Das Geld reiche ja kaum, um die Anfragen nach einzelnen Objekten zu beantworten. Hartmut Ebbing von der FDP monierte den "Generalverdacht" gegen die Museen und beklagte den deutschen Hang zum "Perfektionismus" bei der historischen Aufarbeitung. Dass es ausgerechnet die Grande Dame seiner Partei war, die damals für Restitutionen eintrat, verwirrte ihn allerdings. Für die Historikerin Rebekka Habermas wird ohnehin zu viel von den Museen gesprochen und zu wenig von den kolonialistischen Wurzeln deutscher Erfolge in Wissenschaft, Kultur, Wirtschaft. Die Auseinandersetzung mit dem Kolonialismus muss in die Lehrpläne, muss breiter diskutiert werden, muss gesellschaftliches Projekt werden. Das waren in diesem Strudel aus Ernst und Desinteresse, Engagement und Leerlauf die Forderungen, die unverbindlich genug waren, um Zuspruch von allen zu finden.

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