Kulturpolitik:Aufbruch vertagt

Der Kunstraub in der Kolonialzeit soll aufgearbeitet werden. Doch Deutschland verzettelt sich - es fehlt ein Bekenntnis der Staatsspitze.

Von Jörg Häntzschel

Mit dem im Februar verabschiedeten Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD war etwas Erstaunliches geschehen: Erstmals wurde die Kolonialzeit in einem Atemzug mit dem Nationalsozialismus und der DDR genannt, als dunkles Kapitel der deutschen Geschichte, das bedacht werden müsse. Von der Aufarbeitung der Vergangenheit versprach man sich den Schlüssel für die Zukunft, für ein neues Verhältnis zu Afrika, für ein anderes Denken über Migration und Globalisierung. All das hatten die jahrelangen Forderungen von Postkolonialismus-Aktivisten möglich gemacht, gemeinsam mit der Kritik am Humboldt-Forum und der Ankündigung des französischen Präsidenten Macron, aus den Kolonien geraubte Kunst zurückzugeben.

Heute ist von dem Aufbruch kaum noch etwas zu spüren. Das fällt nicht nur den Grünen im Bundestag auf, die dem Thema eine Anfrage gewidmet haben. Weder der Bundespräsident noch die Kanzlerin haben bisher versucht, es Macron gleichzutun und Deutschlands Position in dieser Frage zu formulieren. Außenminister Heiko Maas hält sich zurück. Und die Staatsministerin für Auswärtige Kultur, Michelle Müntefering, deren Amt auch zu diesem Zweck geschaffen wurde, ist so gut wie unsichtbar.

Ihren ersten größeren Auftritt hatte sie vor drei Wochen. Sie gab von deutschen Kolonialisten geraubte menschliche Gebeine, die von Herero und Nama stammten, an deren Nachfahren zurück. Doch die Feier hinterließ einen bitteren Beigeschmack. Warum fand sie in einer Kirche statt? Warum mussten Vertreter von Opfern ihr Rederecht erzwingen? Und wie andere Regierungsvertreter vor ihr vermied auch sie es penibel, den Genozid an diesen Volksgruppen einzugestehen: "Die damaligen im deutschen Namen begangenen Gräueltaten waren das, was heute als Völkermord bezeichnet würde, auch wenn dieser Begriff erst später mit rechtlichen Normen unterlegt wurde." Macron ist inzwischen schon den nächsten Schritt gegangen. Er hat als erster französischer Präsident die Folterungen im Algerienkrieg anerkannt.

Auch in der Frage der Restitutionen von aus den Kolonien geraubten Gegenstände in deutschen Museen tut sich wenig. Im Mai hatte das Auswärtige Amt im Hamburger Völkerkundemuseum wichtige Vertreter der Debatte zu einer Konferenz eingeladen. Doch das Gespräch harrt der Fortsetzung. Im Oktober veranstaltet das Goethe-Institut in Ouagadougou ein Symposium zur selben Frage.

Gute Sache, aber was will man erreichen? Und Kulturstaatsministerin Monika Grütters, die Mitte des Jahres noch voller Tatendrang war? Tage vor der Hamburger Konferenz hatte sie den "Leitfaden zum Umgang mit Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten" des Deutschen Museumsbunds präsentiert - obwohl dieser eigentlich zuvor noch mit Vertretern aus ehemaligen Kolonialgebieten überarbeitet werden sollte. Kurz darauf restituierte die Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK) feierlich neun Grabbeigaben der Chugach aus Alaska.

Bei einer Rede vor der Unesco führte Grütters den Leitfaden und die Rückgabe als Beispiele für Deutschlands Vorbildlichkeit an: Macron redet, wir handeln. Die Grabbeigaben liegen indes bis heute in Berlin. Für Grütters scheint die Kolonialismusfrage mit mehr Geld für die Provenienzforschung weitgehend erledigt zu sein. Doch statt jedes der Hunderttausenden Objekte zu "beforschen", sollten die Museen lieber erst ihre aus dem 19. Jahrhundert stammenden Inventare aktualisieren. Deutschland verzettelt sich, mit einem "Dialog" hier, einer Restitution dort, und mit Forschung ohne Ziel. Lauter Maßnahmen, die ohne ein Bekenntnis von der Spitze des Staates weder viel bewirken noch es ersetzen können.

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