Kulturkritik:Der Papst kommt auch vor

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Gerhard Ludwig Müller war einmal Dogmatik-Professor, heute ist er Präfekt der Glaubenskongregation in Rom. In seinem Buch "Der Papst" geißelt er wieder einmal und wieder allumfänglich den Zeitgeist.

Von Rudolf Neumaier

Der ehemalige Dogmatik-Professor Gerhard Ludwig Müller, heute Präfekt der Glaubenskongregation in Rom, hat ein Buch mit dem Titel "Der Papst" verfasst. Der Untertitel "Sendung und Auftrag" klingt ein wenig forsch. Müller selbst jedenfalls, dieser von seinem hohen Weiherang ergriffene Kleriker, würde sich schön bedanken, schriebe ihm ein untergebener Theologe ins Stammbuch, was sein Auftrag sei. Kann Jorge Mario Bergoglio nun also bei Müller nachblättern, wenn er sich seiner Aufgaben als Papst vergewissern will? Ganz so ist es nicht. Müller schreibt über Gott und die Kirche und die Welt - dazwischen kommt auch der Papst vor.

Ungewöhnlich ist der mehr als hundert Seiten lange Einstieg in dieses Papstbuch. Da schreibt einer autobiografisch über den Pontifikat, und nicht nur die Kapitelüberschrift "Die Päpste meiner Lebensgeschichte" wirkt drollig. In dem sechs Seiten langen Abschnitt über Franziskus bringt es Müller fertig, auf vier Seiten seine eigene Stellungnahme bei der Bischofssynode im Herbst 2015 zu zitieren. In wörtlicher Rede! Dazu braucht es einen ziemlich starken Glauben - an sich selbst. Ein für Müllers Duktus beispielhafter Satz aus der ausführlich zitierten Wortmeldung: "Die Ehe ist als Sakrament eine vollkommene Analogie der hingebenden Liebe Christi am Kreuz, durch die er sich die Kirche als Braut erworben hat." Immerhin sind Papst Franziskus in späteren Abschnitten weitere Analysen gewidmet.

Relativismus ist ein katholisches Antischlagwort seit Joseph Ratzinger

Christus, Kreuz, Kirche, Braut - Kardinal Müller, 69, kann sich sehr salbungsvoll ausdrücken. Aber auch so akademisch-gestelzt, dass sich immer wieder die Frage stellt, welches Publikum er beim Schreiben vor Augen hatte: gottesfürchtige Laien oder fromme Geistliche, die Unterstützung und Erbauung suchen auf den steinigen Wegen des Erdentals, oder doch eher theologische Fachkollegen? Wer sich sein eigenes Bild von der Kirche zu machen wagt, indem er zum Beispiel das Neue Testament mit ihrer bewegten Geschichte abgleicht, ist sicher nicht Müllers Ansprechpartner, sondern sein Gegner. Es vergeht kaum ein Kapitel, in dem er nicht mit mal feinen Hieben, mal groben Schlägen auf die kirchenferne Welt losgeht. Es sei eine Anmaßung, schreibt er etwa, wenn europäische Staaten unter dem Druck der "Homo-Lobbys anstelle der menschlichen Vernunft oder der göttlichen Offenbarung definieren wollen, was Ehe ist".

Nein, für das katholische Haupt- und Stammpublikum, das zum Beispiel an diesem Wochenende in München bei den großen Patrona-Bavariae-Feierlichkeiten zu erleben war, kann dieses Buch kaum geschrieben sein, wenn der Autor abhebt, als säße er in einem Oberseminar. In einem der Kapitel des Papstbuches, in denen der Papst allenfalls beiläufig vorkommt, doziert der ehemalige Regensburger Bischof, vom "Phänomenalismus der Erkenntnis" führe der "kürzeste Weg zum Relativismus der Wahrheit". Relativismus ist ein katholisches Antischlagwort seit Joseph Ratzinger. Selbstverständlich rechnet Müller als Ratzinger-Protegé damit ab: "Der Relativismus der Postmoderne irrt, wenn er die Wahrheit überhaupt für unerkennbar hält, denn wenn es überhaupt Erkenntnis gibt, dann gibt es auch das ontologische und erkenntnistheoretische Kriterium, wahre und falsche Erkenntnis voneinander zu unterscheiden." Den Diskurs macht Müller zum sophistischen Wettbewerb und Glücksspiel, wenn er Argumente als "Trumpfkarten" behandelt, die seine Kontrahenten in der Hand zu haben glauben.

Über die Päpste und das Papstamt ist wenig Neues zu erfahren - sieht man davon ab, dass Franziskus deutliche ökologische Akzente setzt und Müller sie registriert. Das erhellendste Kapitel dieses kirchenoberlehrerhaften Was-ich-immer-schon-mal-wieder-sagen-wollte-Buches behandelt die Protestanten. Müller zeigt Differenzen auf und Grenzlinien. Luther kommt wesentlich besser weg als heutige Kirchenskeptiker.

Gerhard Kardinal Müller: Der Papst. Sendung und Auftrag. Herder-Verlag, Freiburg 2017. 605 Seiten, 29,99 Euro. E-Book 29,99 Euro.

© SZ vom 15.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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