Kulturkämpfe in Frankreich:Bis in Mekka eine Kathedrale steht

Nach den Protesten gegen die Homo-Ehe erobert ein neuer Identitätskatholizismus die politische Bühne. Er ist vielstimmig, aber die Konservativen sind besonders laut.

Von Joseph Hanimann

Schön, Heiliger Vater, aber sprechen wir nun von Frankreich - soll de Gaulle bei einer Audienz im Vatikan zu seinem illustren Gesprächspartner gesagt haben. Diese Neigung der "ältesten Tochter der Kirche" und zugleich der laizistischsten aller Nationen, ihr Schicksal auf dem höchsten Niveau der Glaubensfragen zu verhandeln, war in letzter Zeit etwas verschwunden. Nun ist sie wieder da, zum Selbstbewusstsein erwacht durch François Fillon, den Überraschungssieger der Primärwahlen bei den Rechten. Die Katholiken spielten bei seinem Erfolg eine erhebliche Rolle. Den Tag von Mariä Himmelfahrt habe er in der Abtei von Solesmes verbracht, bei den Mönchen der alten Benediktinertradition: "eine tausendjährige Geschichte" - hatte Fillon in einer Programmrede des Vorwahlkampfs gesagt. Diese für einen französischen Politiker ungewöhnliche Selbstverortung ist aber nur eines der Zeichen dafür, dass Frankreichs Katholiken auf die politische Bühne zurückkehren.

Wie vielstimmig ihre Sprache dabei ist, zeigt eine im Auftrag der katholischen Verlagsgruppe Bayard gerade publizierte Studie. Die Autoren Yann Raison du Cleuziou und Philippe Cibois haben unter den gut 50 Prozent als katholisch sich bezeichnenden Franzosen die beiden Kriterien "Religionspraxis" und "Gesinnung" im Hinblick auf Migranten und Front National gekreuzt. Sechs verschiedene "Clan-Gruppen" haben sie daraus abgeleitet. Fast die Hälfte machen die "Festtagskatholiken" aus, eine Gruppe, die für Anlässe wie Hochzeit, Taufe, Beerdigung gewohnheitsmäßig zur Kirche geht, den Migranten abweisend und dem Papst Franziskus skeptisch gegenübersteht und mitunter Front National wählt. Von dieser Gruppe reicht das Spektrum über die "Saisonkatholiken", kaum praktizierend, aber offen für schöne Weihnachts- und Ostermessen, politisch eher links und migrantenfreundlich, sowie die aktiv praktizierenden "Konziliarkatholiken" im Sinne des letzten Vatikanischen Konzils, auch sie eher links, bis zu den sehr aktiven "Glaubensstrengen", die an der traditionellen Liturgie festhalten, politisch stark rechts stehen und von Migranten, Ökumene oder moralischer Freizügigkeit nichts wissen wollen.

Verworfen wird auch die Anpassung an den freizügigen Lebensstil der Moderne

Entscheidend für die Rückkehr des charismatischen Katholizismus in die öffentliche Debatte war die einzige große Gesellschaftsreform der Ära Hollande: die Legalisierung der Homo-Ehe. Neue Ideenwerkstätten blühten auf, streitfreudige Internetblogs entstanden, attraktive junge Leute bekennen sich demonstrativ in den Medien zum katholischen Glauben. Entgegen den Erwartungen ist die Mobilisierung "Demo für alle" gegen die "Ehe für alle" nach der rechtskräftigen Einführung dieser Reform nicht abgeklungen, sondern hat wie ein in den Himmel geschossenes Feuerwerk eine Vielzahl von Leuchtspuren geworfen. "Padreblog" heißt ein von jungen Priestern aus der konservativen Diözese Versailles betriebenes Internetforum mit dem Emblem eines kreuzförmigen USB-Sticks und mit klaren Positionen gegen Schwulenkultur, Gender-Erziehung, Kinderadoption durch Gleichgeschlechtliche, kurz: für katholisch konservative Werte. Leere Kirchen in Moscheen verwandeln? - fragte Pater Amar auf dem Padreblog nach einer Anregung des Vorstehers der Pariser Großen Moschee in diesem Sinne. Und Pater Amar konterte: Erst, wenn in Mekka eine Kathedrale steht. Pater Amars Kollege Pierre-Hervé Grosjean vom Padreblog, ebenfalls Pfarrer in Versailles, lehnt in seinem gerade erschienenen Buch "Catholiques, engageons-nous!" Ökumene gegenüber dem expansiven Islam ebenso ab wie Anpassung an den freizügig individualistischen Lebensstil der Moderne und plädiert für ein selbstbewusstes Auftreten der Katholiken.

Die letzte große Protestbewegung von Frankreichs Katholiken war die Massendemonstration 1984 gegen das sozialistische Reformprojekt für Privatschulen, mit der Wirkung, dass die Regierung ihre Vorlage damals zurückzog. Die Gläubigen seien sich ihrer seither geringeren politischen Macht zwar bewusst, erklärt der Politologe Jérôme Fourquet, doch dass sie mit ihren Großdemonstrationen "Manif pour tous" die Homo-Ehe nicht verhindern konnten, sei für sie ein Alarmzeichen gewesen. Dramatische Ereignisse wie die Ermordung des Pfarrers Jacques Hamel im vergangenen Sommer während des Gottesdiensts sorgten für zusätzliche Motivation.

Ein Wort ist neuerdings besonders in den Vordergrund getreten: "Sens commun", Gemeinsinn. So heißt eine 2013 entstandene politische Gruppierung, die sich mittlerweile der Partei "Les Républicains" von François Fillon angeschlossen hat. Mit ihrer brillanten Sprecherin, der 27-jährigen Madeleine de Jessey, setzt sich die Gruppierung für die traditionelle Familie, klassische Geschlechterrollen, ein positives französisches Kulturverständnis ein und bekämpft In-vitro-Fortpflanzung oder das Fristenmodell bei der Abtreibung. Diese Identitätskatholiken hätten ihren Gramsci gelesen und begriffen, dass der Kampf auf der Ebene von Kultur und Gesellschaftsethik geführt werden müsse, stellen Beobachter fest. Dem Einwand, selbst der Papst habe sich für Offenheit gegenüber Andersdenkenden und Anderslebenden ausgesprochen, begegnen die Neokonservativen schlagfertig: Ganz einverstanden mit dem Papst - persönlich hätten sie nichts gegen Homosexuelle, sehr viel aber gegen deren in der Öffentlichkeit immer aufdringlichere Lebensformen. Mit ihrem resoluten Auftreten stellen die "Sens commun"-Protagonisten selbst die junge, sehr katholisch sich gebende Front-National-Abgeordnete Marion Maréchal-Le Pen in den Schatten.

Der Linkskatholizismus, der in Frankreich auf eine große Tradition zurückblickt, hat nicht kapituliert. Bedauert wird aber auf dieser Seite, dass das soziale christliche Engagement heute von den Fragen des Privat- und Intimlebens verdrängt werde. Mit Zeitschriften und Internetauftritten wie "Chrétiens de gauche" suchen die Linkskatholiken dieser konservativen Wende entgegenzuwirken. Die großen katholischen Schriftsteller Paul Claudel, Charles Péguy, Georges Bernanos, bis hin zum fulminant zum Katholizismus und zur Homosexualität sich bekennenden Theaterautor Olivier Py dienen als Wegweiser.

Auch die offizielle französische Kirche sieht sich indessen durch den Identitäts-katholizismus bedrängt. Schon den stolzen Begriff "Sens commun", unter dem die Bischofskonferenz ihre Anweisungen zur Soziallehre publizierte, muss sie gegen die Konfiszierung durch die Erzkonservativen verteidigen, deren Einfluss bis ins pluralistische Führungsgremium der französischen Bischöfe hineinwirkt.

Mit ungewohnt scharfen Worten beschwerte der Vorsitzende der Bischofskonferenz sich brieflich beim Staatspräsidenten Hollande über ein Gesetz, das offen ideologisch motivierte Publikationen gegen die Abtreibung unter Strafe stellt. Er hoffe, schrieb der Bischof, der Präsident werde eine solche Einschränkung der Meinungs- und Publikationsfreiheit nicht zulassen. Hat er aber. Das Gesetz wird verabschiedet. Frankreich schickt sich an, im Hinblick auf die Präsidentschaftswahlen eine politische Nebenfront aufzubauen, an welcher Leute in Soutane oder blauem Faltenrock mit klugen Reden versprechen, Homo-Ehe, individualistische Freizügigkeit und andere Spätfolgen des Zweiten Vatikanischen Konzils würden demnächst wieder abgeschafft.

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