Europäische Kulturhauptstadt Chemnitz:Kulturminister haben noch Fragen an die Jury

Chemnitz wird Kulturhauptstadt 2025

"Alle Bewerberstädte haben ein transparentes Verfahren verdient": die designierte Kulturhauptstadt Chemnitz.

(Foto: Jan Woitas/dpa)

Überraschend hat die Kulturminister-Konferenz der Länder die Entscheidung für Chemnitz 2025 nicht einfach durchgewunken. Erst einmal wollen die Politiker über den Vorwurf der Vetternwirtschaft reden.

Von Uwe Ritzer, München

Unter normalen Umständen wäre es reine Formsache gewesen: Die Kulturminister der Länder winken die Entscheidung einer internationalen Jury von Ende Oktober durch, wonach Chemnitz Europäische Kulturhauptstadt 2025 werden soll. Dieses Plazet wäre dann weiter an die für den Wettbewerb verantwortliche Europäische Kommission gegangen, und einer offiziellen Ernennung der sächsischen Stadt zur European Capital of Culture (ECoC) wäre nichts mehr im Wege gestanden. Doch die Umstände, unter denen Chemnitz von der Vergabejury gekürt wurde, sind, wie SZ-Recherchen ergaben, fragwürdig. Weswegen die Konferenz der Kulturminister jetzt erst einmal auf die Bremse trat.

Man stelle zwar weiterhin "in Aussicht", Chemnitz zur Kulturhauptstadt 2025 zu küren, und stehe diesbezüglich auch zu der sächsischen Stadt, heißt es in einer am Mittwochabend verbreiteten Erklärung der Kulturministerkonferenz. Aber im konkreten Fall wolle man vorher doch erst noch mit der Jury sprechen, was dem Vernehmen nach am 11. oder 12. Januar geschehen soll. Die für das Thema ECoC hierzulande zuständigen Länderminister wollen Jury-Chefin Sylvia Amann zu den Vorwürfen anhören, wonach persönliche Seilschaften und Vetternwirtschaft bis in die Jury hinein den lukrativen Wettbewerb und die Entscheidung für Chemnitz begleiteten. Amann habe ein solches Gespräch angeboten, hieß es. "Die Vorwürfe sollen ausgeräumt sein, bevor die offizielle Ernennung erfolgt", ließ Bayerns Wissenschafts- und Kunstminister Bernd Sibler als amtierender Vorsitzender der deutschen Kulturminister-Konferenz verlauten. Denn: "Alle Bewerberstädte haben ein transparentes Verfahren verdient."

Dem Vernehmen nach hat Sibler hinter den kulturpolitischen Kulissen um diese Entscheidung hart gekämpft. Den CSU-Politiker beunruhigen die in der SZ erhobenen Vorwürfe, die in Richtung eines Berater-Sumpfes rund um das Thema Europäische Kulturhauptstadt gehen, der offenbar nicht erst seit der Vergabe an Chemnitz am Werk ist. Auch sorgt der Umstand für Diskussionen, dass das tschechische Jurymitglied Jiří Suchánek über sein Pilsener Kulturunternehmen im Programm der Chemnitzer Bewerbung auftaucht. Und das, obwohl alle zwölf Juroren eine Compliance-Erklärung unterschrieben haben, die dergleichen ausschließt. Angesichts der Umstände war am Mittwoch auch die sächsische Kulturministerin Barbara Klepsch mit der Vertagung letztlich einverstanden. Alle Mitglieder der Ministerkonferenz hätten ja erklärt, dass Chemnitz die Siegerstadt sei, sagte sie. Aber um alle Zweifel auszuräumen, nehme man sich nun Zeit. Dem Vernehmen nach wollen die Kulturminister über das Gespräch mit Amann hinaus die EU-Kommission auffordern, die Regeln für den ECoC-Wettbewerb kritisch zu überprüfen.

Solche Formulierungen werfen allerdings die Frage auf, ob die Kulturminister sich von der österreichischen Juryvorsitzenden Amann lediglich mit Argumenten versorgen lassen wollen, um die Entscheidung für Chemnitz zu rechtfertigen. Oder ob sie wirklich Aufklärung betreiben und das auch von Amann verlangen werden. Bislang hatte sich die Juryvorsitzende lediglich von Juroren versichern lassen, dass diese korrekt gehandelt hätten. Wirklich hinterfragt und neutral überprüft wurde das bislang nicht.

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