Seilschaften um Kultursubventionen:"Sehr viel heiße Luft"

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Bei der Bewerbung um den Titel der Europäischen Kulturhauptstadt hat sich ein fragwürdiges, lukratives Netzwerk gebildet. Jetzt zieht der Wanderzirkus der Berater von Chemnitz nach Finnland weiter.

Von Uwe Ritzer

Die Karawane zieht weiter, ihr nächstes Ziel ist Finnland. Nachdem Chemnitz gerade zur Europäischen Kulturhauptstadt 2025 gekürt wurde, wird die zuständige, internationale Jury im kommenden Jahr festlegen, welche Stadt den Titel 2026 tragen darf. Innerhalb der EU ist dann Finnland dran. Drei Kommunen bewerben sich dort um den Titel der European Capital of Culture (ECoC), der dem Sieger viele Millionen Euro Subventionen einbringt und im Normalfall auf Jahre hinaus einen lukrativen Touristenstrom garantiert: Oulu, Savonlinna und Tampere. Letztere ist wohl Favorit. Die im 18. Jahrhundert gegründete Industriestadt wird auch "Manchester des Nordens" genannt.

Ulrich Fuchs war schon da. Der deutsche Kulturmanager und Dozent mit Wohnsitz Marseille tingelt nach Stationen als Kulturhauptstadt-Manager und Juryvorsitzender als oberster Nachhilfelehrer für Bewerberstädte über den Kontinent. Nachdem er den Verantwortlichen in Tampere per Videokonferenz bereits im Mai ein paar Ratschläge zugerufen hatte, erklärte Fuchs ihnen bei einem Seminar am 30. Juli 2020 genau, "wie man das ultimative Bid Book macht, um ECoC zu werden", wie die Stadt hernach verlauten ließ. Jenes Bewerbungsbuch also, das als zentrales Dokument die Vergabejury überzeugen soll. Einmal mehr im Schlepptau von Ulrich Fuchs: Seine Ehefrau Pia Leydolt-Fuchs mit ihrer Firma Capcult.

Wenige Tage nach dem Auftritt ihres Mannes erhielt sie nach SZ-Informationen in Tampere einen Beratervertrag und Aufträge. Leydolt-Fuchs wird für die Stadt im weiteren Bewerbungsverfahren unter anderem beim Thema Bürgerbeteiligung arbeiten, nicht umsonst, versteht sich. Dabei bringt die Kulturunternehmerin Erfahrungen aus Chemnitz mit, wo sie dem Kernteam der erfolgreichen Bewerbung für 2025 angehörte. Das Geschäftsmodell ihrer Firma Capcult basiert zu einem großen Teil auf dem Thema Europäische Kulturhauptstadt. Mit den Aktivitäten ihres beim gleichen Thema international gefragten Mannes hätten ihre Geschäfte aber nichts zu tun, sagt Leydolt-Fuchs, und verwahrt sich massiv gegen entsprechende Vorwürfe. Sie profitiere allein von ihren eigenen Kompetenzen und Netzwerken. Auch Ehemann Ulrich Fuchs verneint jeden Zusammenhang.

So viel Geld lockt Geschäftemacher an - auch schon bei früheren Bewerbungen

Seine Rolle bleibt diffus. Im Wettbewerb 2025 fungierte Fuchs im Auftrag der hierzulande federführenden Kulturstiftung der Länder zunächst als neutraler Experte für alle acht deutschen Bewerberstädte. Dann erteilte er einigen der Kommunen Einzelunterricht, und im weiteren Verlauf arbeitete Fuchs als eine Art Subunternehmer des Berliner Kulturstrategieberaters Patrick Föhl gleich für mehrere der untereinander konkurrierenden Städte. Obendrein gab Fuchs den Chemnitzer Geschäftspartnern seiner Frau Ratschläge und empfahl ihnen Mattijs Maussen als Berater. Einen von zwei Spezialisten, die zusammengerechnet für 18 der 22 zuletzt gekürten Kulturhauptstädte gearbeitet haben. Maussen und Fuchs kennen sich lange und gut; zuletzt waren beide in der österreichischen Stadt St. Pölten zugange, deren Bewerbung als ECoC für 2024 allerdings scheiterte.

Als Berater in Sachen Kulturhauptstadt überaus vielfältig tätig: Ulrich Fuchs. (Foto: Bodo Marks/dpa)

So mehren sich die Hinweise, dass es nicht nur bei der Vergabe des Kulturhauptstadt-Titels an Chemnitz fragwürdig zuging, wie die SZ berichtete. Auch bei früheren ECoC-Vergaben waren bis in die Jury hinein Seilschaften von stets denselben Kulturmanagern am Werk, die sich wechselseitig unterstützen und dabei ordentlich absahnen. Schließlich ist viel zu holen. Schon im mehrjährigen Bewerbungsverfahren geben Kommunen Unsummen aus, und wer es am Ende zum Titel schafft, bekommt noch mehr Geld, um sich als ECoC aufzuhübschen. So erhält Chemnitz für 2025 allein 51,5 Millionen Euro Zuschüsse von Bund, Land und EU. So viel Geld lockt Geschäftemacher an.

2018 war Leeuwarden in den Niederlanden Europäische Kulturhauptstadt, und wie fragwürdig es im Zuge der Bewerbung bereits fünf Jahre zuvor zuging, beschreibt der vor Ort ansässige Schriftsteller und Publizist Geert Mak in seinem neuen Buch "Große Erwartungen - auf den Spuren des europäischen Traums" aus eigener Erfahrung. "Der Kern der europäischen Jury bildete eine umherreisende Gruppe, die sich von den rivalisierenden Städten informieren und hofieren ließ", schreibt Mak. Als Gegenstück dazu habe eine "ebenfalls internationale Wandertruppe von Experten und Werbetextern" agiert. Auch dort war Mattijs Maussen an vorderster Stelle dabei.

"Diese Berater wussten genau, was die Jury hören wollte", erinnert sich Geert Mak im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung. Lokale Kulturschaffende seien bewusst ausgebremst worden. So sei das "Bid Book", das Bewerbungsbuch also, "präzise auf die Liebhabereien der Jurymitglieder hingeschrieben" worden. "Der Bürgermeister und die anderen Verantwortlichen wurden gedrillt, das zu sagen, was die Jury hören wollte", sagt Mak. "Nach meiner Überzeugung war das alles eine einzige, große Show, sehr viel heiße Luft".

"Diese Berater wussten genau, was die Jury hören wollte", erinnert sich der prominente Reiseschriftsteller Geert Mak an die Bewerbung seiner Heimatstadt Leeuwarden in den Niederlanden, die 2018 Kulturhauptstadt war. (Foto: Arno Burgi/picture alliance / Arno Burgi/dp)

Externe Berater zu engagieren und sich von ihnen Konzepte und Strategien basteln zu lassen, ist zwar nicht illegal, läuft Ansatz und Ausschreibungskriterien des ECoC-Wettbewerbs allerdings zuwider. Die Städte sollen ihre Bewerbung und ihr Profil als Europäische Kulturhauptstadt hauptsächlich aus sich heraus und maßgeschneidert auf die eigenen Bedürfnisse hin entwickeln. Sich dabei beraten zu lassen ist das eine. Etwas anderes ist es, wenn stets dieselben Manager in wechselnden Rollen und Funktionen kollaborieren und bisweilen sogar zeitweise als Juroren mitmischen.

Der Chef der Kulturhauptstadt Weimar nannte das System das "Beratungsrodeo"

Ihnen spielt die Art und Weise in die Karten, wie die Jury den ECoC-Titel vergibt. In den Anfangsjahren des 1985 erstmals ausgerufenen Wettbewerbs kamen mit Athen, Florenz, Amsterdam, West-Berlin oder Paris Kulturmetropolen zum Zug, die Berater von außerhalb nicht nötig haben. Seit einigen Jahren jedoch werden viele kleine Kommunen gekürt, so beispielsweise für das Jahr 2021 Bad Ischl in Österreich, wo gerade mal 14 000 Einwohner leben. Das befeuert die Geschäfte des Friends-and-Family-Netzwerks der Berater und geschieht daher womöglich nicht ganz zufällig. "Mein Eindruck ist, dass oft kleinere Städte ohne große kulturelle Erfahrung und Expertise genommen werden", sagt Geert Mak. "Die brauchen Berater von außerhalb, während große Kulturstädte diese nicht nötig haben." Auf diesem Nährboden gedeiht, was Bernd Kauffmann, 1999 Chef der Kulturhauptstadt Weimar, in einem Interview mit der Neuen Presse Hannover ein "Beratungsrodeo" nannte, "mit all seinen negativen Weiterungen, wie gegenseitiges Sich-Empfehlen, sich Posten und Aufträge zuschanzen".

Eine andere Expertin, die ihrerseits tief hinter die Kulissen des europäischen Kulturhauptstadt-Boheis geblickt hat, ist Kristina Jacobsen. Die Berliner Kulturwissenschaftlerin schrieb ihre Dissertation über ein Thema aus dem Kulturhauptstadt-Spektrum und arbeitete federführend für das ECoC Lab am Institut für Kulturpolitik der Universität Hildesheim. Obwohl auch Hildesheim zu den Bewerberstädten für 2025 gehörte, agierte das ECoC Lab wissenschaftlich übergeordnet. "Hinter dem Wettbewerb läuft eine Schattenwirtschaft der Berater ab", sagt Jacobsen. "Nach außen wird kommuniziert, wie toll es ist, wenn eine lokale Kulturinitiative passend zum Kulturhauptstadtjahr eine Mikrofinanzierung" bekomme. "Aber dass im Hintergrund Berater ein Vielfaches von diesen Beträgen erhalten, erfährt niemand. Das ist ein Skandal, weil das Budget ja zum größten Teil durch Steuergelder finanziert ist."

"Wenn die Öffentlichkeit davon erfahren würde, kämen zu Recht Fragen auf", sagt eine Expertin

"Teure Beraterverträge", so Jacobsen weiter, "werden nicht ohne Grund im Hinterzimmer geschlossen. Denn wenn die Öffentlichkeit davon erfahren würde, kämen zu Recht fragen auf." Zum Beispiel, "weshalb man Berater aus ganz Europa herfliegen muss, anstatt dass man auf die Kräfte vor Ort baut". Am Ende kommt heraus, was Kauffmann "standardisierte Kulturkonzepte von der Stange" nennt.

Das zu ändern, für Compliance-Strukturen zu sorgen und deren Einhaltung auch zu überwachen, dafür fühlt sich jedoch anscheinend niemand zuständig. Nicht die EU-Kommission, die lediglich darauf verweist, dass die Juroren sich ja zum Einhalten von Compliance-Regeln verpflichtet hätten. Die deutsche Kulturstaatsministerin Monika Grütters ist bei dem Thema abgetaucht, und die Kulturministerkonferenz der Länder, die sich an diesem Mittwoch mit der Vergabe an Chemnitz befassen wird, tut sich ebenfalls schwer damit.

Zwar ist die Verärgerung in den Chemnitz unterlegenen Bewerberstädten und den dazugehörigen Bundesländern angesichts der zweifelhaften Umstände der Entscheidung groß; doch mit öffentlicher Kritik hält man sich zurück, aus Angst, als schlechter Verlierer abgestempelt zu werden. Der sächsischen Stadt quasi im letzten Moment den ihr von der Jury zugesprochenen ECoC-Titel zu verweigern würde ein politisches Erdbeben auslösen. Und Politik spielt bei alledem eine größere Rolle, als das aufgeblasene Bewerbungsverfahren glauben machen will.

Bekam Ende Oktober den Zuschlag unter den deutschen Bewerbern: Chemnitz. (Foto: Hendrik Schmidt/dpa)

So halten Experten es für möglich, dass die Wahl von Chemnitz nicht nur kulturellen Fakten, sondern regionalem Proporzdenken folgte. Nachdem als letzte deutsche Stadt Essen 2010 ECoC wurde, sei nun "der Osten dran gewesen", sagt ein Insider. Auch Expertin Kristina Jacobsen hält die Osttheorie für zumindest denkbar. Sie verweist auf das überraschende, frühzeitige Ausscheiden von Dresden aus dem Wettbewerb 2025. "Der Jurybericht lässt für mich mitschwingen, dass die Dresdner noch so gut sein konnten, aber letztlich politische Gründe für Chemnitz überwogen haben."

Egal wie - die Kulturhauptstadt-Show wird weitergehen, der Wanderzirkus der Berater orientiert sich gerade nach Finnland. Und wer einmal in der Manege mitmachen darf, verliert seinen Platz sowieso nicht so schnell. Wie Jelle Burggraaff. Der Niederländer managte 2018 die Kulturhauptstadt Leeuwarden. Zur Überraschung von niederländischen Intellektuellen wie Geert Mak, denn: "In der kulturellen Welt der Niederlande ist er unbekannt." Inzwischen ist Burggraaff Mitglied der Jury, die den ECoC-Titel 2025 gerade vergab - an das von seinem einstigen Leeuwardener Geschäftspartner Maussen beratene Chemnitz.

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:Das Geschäft hinter dem Titel

Chemnitz wird Europäische Kulturhauptstadt - und hat damit einen Millionen-Jackpot geknackt. Nur: Die Umstände, unter denen der Titel vergeben wird, sind äußerst fragwürdig.

Von Uwe Ritzer

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